Darf ich mich vorstellen?!: Darja Goldberg

Alle gemeinsam lauschen wir einer Melodie, welche einen Moment zur Ewigkeit verwandeln kann. Es werden neue SphƤren geschaffen, wenn man sich darauf einlƤsst.

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12. Oktober 2021

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Lesezeit: 7 Minute(n)

Darja Goldberg

Ich weiƟ, ich bin noch Studentin ...

Hallo liebes akkordeon.online Team,

mein Name ist Darja Goldberg, in der Akkordeon-ā€‹Szene nennt man mich Dascha. Warum man mich Dascha nennt? Ich stamme aus Russland, und fĆ¼r den Namen Darja wird dort Dascha als eine Art Spitzname oder Kosename verwendet. (Genauso wie fĆ¼r Maria Mascha gesagt wird oder fĆ¼r Alexander Sascha.)

UrsprĆ¼nglich hieƟ ich also nur im familiƤren oder im russischsprachigen Umfeld Dascha. Sehr frĆ¼h spielte ich schon in Orchestern, und meine Akkordeonlehrerin, die auch die Orchester leitete, fĆ¼hrte mich stets als Dascha ein, weil sie mich nur unter dem Namen kannte. So wurde Dascha auch von meinen Akkordeonfreund:innen und in spƤteren Akkordeonorchestern Ć¼bernommen. Anfangs war es fĆ¼r mich etwas ungewohnt, von deutschsprachigen Menschen Dascha gerufen zu werden, aber mittlerweile habe ich mich lƤngst damit angefreundet. Nicht so spannend, die Geschichteā€…ā€“ā€…aber so war es. (Anmerkung der Redaktion: Liebe Dascha, auch uns gefƤllt der Name.)

Darja Goldberg

Fotos: Michael Kutzera

 

Besonderheiten des Akkordeons

Ich studiere zurzeit Akkordeon und Musik-ā€‹Theorie an der Akademie fĆ¼r Tonkunst in Darmstadt und korrepetiere an der Opernschule am Klavier. Da ich keinen HaupftfachĀ­lehrer im Akkordeon habe und es leider nicht geklappt hat die Hochschule zu wechseln, besuche alle mƶglichen Kurse, um so viel es geht vom Musikstudium mitzunehmen.

An der Akademie unterrichtet Professor Tilman Hoppstock. Er bietet ein Bach-Seminar hauptsƤchlich fĆ¼r Gitarrenspieler an und gilt als DER Bach-Experte fĆ¼r Gitarre. Deshalb dachte ich: ā€žNutze die Chanceā€…ā€“ā€…Bach ist Bachā€…ā€“ā€…egal ob auf Gitarre, Cello oder Akkordeon. Musik ist und bleibt Musik.ā€œ ā€“ Und ich meldete mich zum Seminar an.
Es ist wirklich interessant, die Interpretationswelt der Gitarrenspieler kennenzulernen. Wir analysierten Bachs Lauten- und Cello-ā€‹Werke, hƶrten dazu Aufnahmen von verschiedenen Interpreten auf der Gitarre, manchmal auch auf dem Cello oder Klavier.
Ein groƟer Unterschied zwischen der Gitarre und dem Akkordeon ist, dass bei der Gitarre der Ton verklingt, am Akkordeon nicht. (Bei den anderen Instrumenten verhƤlt es sich wie bei der Gitarre.) Beim Akkordeon bleibt der Ton bestehen, so lange der Balg reicht. So kam dem Professor eines Tages die Idee, mich Bachs Lauten- und Gitarrenwerke auf dem Akkordeon vorspielen zu lassen, um die Harmonien, die auf der Gitarre verloren gehen, nochmal neu zu hƶren. Es war eine unglaubliche Bereicherung, so viele schƶne Harmonien, die sich verstecken, neu zu entdecken. Irgendwann meinte der Lehrer zum SpaƟ: ā€žWarum lernst du nicht eine ganze Suite?ā€œ ā€“ Naja … warum nicht?
Und so lernte ich die Lauten-ā€‹Suite in e-Moll von Bach, die wir im Bach-ā€‹Seminar gerade analysierten: BWV 996. (Ich bin immer auf der Suche nach neuen StĆ¼cken, die noch keiner kennt.)
Normalerweise studieren Akkordeonspieler:innen PrƤludien und Fugen fĆ¼r Klavier, Inventionen von Bach fĆ¼r ihr Repertoire. Diesen Weg wollte ich mƶglichst vermeiden. (Wieso soll ich das spielen, was schon alle spielen?) Aber mit der Lauten-ā€‹Suite BWV 996 ging der Schritt in (m)eine neue Richtung, wofĆ¼r ich bis heute dem Dozenten unglaublich dankbar bin.

Letztendlich habe ich vor zwei Jahren die Suite in meiner ZwischenprĆ¼fung gespielt. Ich besuchte auch einen Meisterkurs bei einem Gitarrendozenten (Professor Thomas MĆ¼ller-ā€‹Pering aus Weimar), weil zufƤllig ein Gitarrist abgesagt hatte. Inzwischen habe ich die Lauten-ā€‹Suite BWV 996 auch aufgenommen. Es hat, denke ich, noch niemand dieses StĆ¼ck auf Akkordeon Ć¼bertragen. Ich weiƟ, ich bin noch Studentin und habe noch vieles zu lernen, aber vielleicht sagt euch meine Interpretation zu.

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Statement

Oft frage ich mich: Warum Musik? Warum hast du dich dafĆ¼r entschieden? Dann wird mir jedes Mal meine eigentliche Motivation wieder bewusst: Es mag vielleicht etwas kitschig klingenā€…ā€“ā€…aber mit Musik kƶnnen Dinge ausgedrĆ¼ckt werden, fĆ¼r die Sprache ihre Grenzen hat. Alle gemeinsam lauschen wir einer Melodie, die einen Moment zur Ewigkeit verwandeln kann. Es werden neue SphƤren geschaffen, wenn man sich darauf einlƤsst. Das ist das Besondere an der Musik. Wir hƶren derselben Musik zu, aber die Gedanken und Bilder im Kopf sind bei allen, die zuhƶren, verschieden.

Mein Wunsch ist es, die Herzen der Menschen aller Kulturen und Sprachen der Welt zu erreichen, ihnen Musik nƤherzubringen, die sie sonst nicht gehƶrt hƤtten. Ich mƶchte in den dunkelsten Tag ein Leuchten bringen, Kraft schenken oder die Augen ƶffnen, Menschen zum Nachdenken bringen, auf Probleme und Ungerechtigkeiten aufmerksam machen, denen Trost schenken, die verzweifelt sind.

DafĆ¼r ist das Akkordeon sehr gut geeignet. Es ist ein transportables und flexibles Instrument, mit dem Ć¼berall und jederzeit gespielt werden kannā€…ā€“ā€…egal ob vor 5 oder 5000 Menschen.

Meine Werke und Aufnahmen

In der Corona-Zeit habe ich mir ein AufnahmegerƤt angeschafft ā€“ zum GlĆ¼ck. Ohne dieses wƤre ich bestimmt zehnā€‹mal ā€žgestorbenā€œ. Wenn man nicht regelmƤƟig Ć¼bt, vergessen Kopf und Kƶrper die gelernten StĆ¼cke und man muss viel Zeit damit verbringen, sie wieder-ā€‹zuā€‹erlernen. Da es wegen Corona kaum Mƶglichkeiten gab, vorzuspielen und musikalisch aktiv zu sein, habe ich endlich den Schritt gewagt, den ich schon lange gehen wollte. Die Arbeit irgendwie festzuhalten, aufzunehmen, um etwas zu haben, um zu zeigen, dass man etwas erarbeitet hat. Das hat mich immer beschƤftigt: Was ist, wenn ich heute nicht so spiele, wie ich es wirklich kannā€‰…ā€Š?

Bildende KĆ¼nstler haben wachsende Mappen mit Werken, ob sie wollen oder nicht. Die besten davon werden immer erhalten bleiben. Wir Musiker leben fĆ¼r den Moment. Umso bedeutender ist es, unsere Kunstwerke festzuhalten, aber geradezu magisch ist es, sie mit den anwesenden Personen zu teilen.
Mir ist es besonders wichtig, in Beziehung mit den Zuhƶrern zu stehen. Nicht kurz vorzuspielenā€…ā€“ā€…Applausā€…ā€“ā€…fertig, sondern ihnen etwas mitzugeben, mit ihnen einen Kontakt aufzubauen, einen Moment, einen neuen oder vergessenen Gedanken (wieder-)zuschenken. Deshalb notiere ich manchmal, wenn es passt, ein paar Worte zu meinen Aufnahmen.

Zum Internationalen Frauentag

Zum 8.ā€†MƤrz ā€“ dem Internationalen Frauentag ā€“ habe ich dieses Jahr ein StĆ¼ck von einer Komponistin aufgenommen, die ich nach langer Suche entdeckt habe. Hier der Link und die Worte zu der Aufnahme:

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Ich hƤtte nie geglaubt, dass eine Frau so etwas schreiben kann. Sie kennt alle geschickten Tricks des Komponistenhandwerks.

MĆ©lanie HĆ©lĆØne Bonis aka Mel Bonis (1858ā€“1937) ist eine von vielen Komponistinnen, die ihre Werke unter einem mƤnnlichen Pseudonym verƶffentlichen musste, um von der Gesellschaft gehƶrt werden zu kƶnnen. Trotz ihrer Auszeichnungen und hervorragenden Leistungen erhielt sie zu ihrer Zeit wenig Beachtung. Ihre kompositorischen Werke wurden kaum gespielt und verlegt.
Von ihrer Familie erhielt sie weder UnterstĆ¼tzung noch Interesse fĆ¼r ihre Leidenschaft. Dank des Einsatzes eines Freundes der Familie wird der Komponist CĆ©sar Franck auf die junge Frau aufmerksam, bei dem sie (mit widerwilliger Erlaubnis der Familie) eine musikalische Ausbildung am Konservatorium in Paris beginnt. 1883 wird sie gezwungen, das Studium abzubrechen. Ihre Eltern drƤngen sie dazu, einen 22 Jahre Ƥlteren Mann und Vater von fĆ¼nf Kindern zu heiraten. Als Ć¼berzeugte Katholikin sieht sie es als ihre Pflicht an, sich dem Wunsch ihrer Eltern zu fĆ¼gen, eine gute Ehefrau und (Stief-)Mutter zu sein.
Trotz des Studienabbruchs behƤlt sie den Kontakt zu Musikerfreundenund geht weiter ihrer Leidenschaft nach. Sie fĆ¼hrt ein Doppelleben: Das alltƤgliche Leben einer Familienmutter und das Leben einer KĆ¼nstlerin, in welchem auch ein heimliches Kind zur Welt kommt.
Mel Bonis war Zeitgenƶssin von Debussy, Saent-ā€‹SaĆ«ns, CĆ©sar Franck, Erik Satie; aber sie blieb unbekannt, trotz ihrer hervorragenden Leistungen. Das nur, weil sie eine Frau war.
Diese frauenfeindliche Einstellung macht auch Saint-Saens Kommentar Ć¼ber Mel Bonis Klavierquintett B-Moll deutlich: ā€žIch hatte nie geglaubt, dass eine Frau so etwas schreiben kann. Sie kennt alle geschickten Tricks des Komponistenhandwerks.ā€œ
Ein Beispiel von viel zu vielen, dassā€…ā€“ā€…auch heute nochā€…ā€“ā€…das patriarchalische Denken in der Gesellschaft fortbesteht. Es darf nicht sein, dass Menschen nur auf einen Faktor, den sie nicht beeinflussen kƶnnen, reduziert und dadurch verurteilt und benachteiligt werden.

Filmmusik

Ich nehme auch Musik von Filmen auf, die mir gefallen und zu denen mir Worte einfallen, die ich gerne mit der Welt teilen mƶchte, um Menschen zum Nachdenken anzuregen. Beispielsweise ein wunderschƶnes MusikstĆ¼ck des Films NausicaƤ aus dem Studio Ghibli. (Ich denke, es hat noch niemand ein Akkordeon-ā€‹Cover gemacht.)

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Im Ghibli-ā€‹Film NausicaƤ ist ein GroƟteil der Erde vom ā€žMeer der FƤulnisā€œ bedeckt, einem riesigen, giftigen Pilzwald, der sich stƤndig ausdehnt und auch die letzten der von den wenigen noch lebenden Menschen bewohnten Landstriche zu Ć¼berwuchern droht. Der Wald entstand nach den ā€žSieben Tagen des Feuersā€œ, einem groƟen Krieg.
NausicaƤ ist die Prinzessin des ā€žTals der Windeā€œ, hat ein besonderes GespĆ¼r fĆ¼r den Umgang mit Tieren und der Natur und untersucht die Pflanzen des Pilzwaldes, um das Menschenleben zu bewahren. In ihrem geheimen Garten zĆ¼chtet sie die vermeintlich giftigen Dschungelpflanzen und entdeckt, dass diese dort kein Gift versprĆ¼hen. So wird ihr klar, dass das Gift auf den Ć¼berall von Menschen verseuchten Erdboden zurĆ¼ckgeht. Der Wald hat sich mit dem Gift nur selbst schĆ¼tzen wollen, um die Parasiten (den Menschen) fernzuhalten.

Zeit

Die Umwelt leidet unter dem technischen Fortschritt. Die Folgen sind unter anderem Umweltkatastrophen, neue Krankheiten. Auch das Coronavirus? WƤre das Virus jemals ausgebrochen, wenn wir achtsamer wƤren, nicht so macht- und gewinnbesessen? Und wenn wir eine gesunde Beziehung zur Natur bewahrt hƤtten?

Ein weiser Mann sagte mir: ā€žAls ich noch ganz jung war, hatte die Welt 2 Milliarden Menschen, heute sind es ca 8 Milliarden. Die Welt ist aber gleich groƟ gebliebenā€…ā€“ā€…das regelt dann die Natur, denn sie ist viel stƤrker als wir Menschen.ā€œ

Ich habe auch das wunderschƶne StĆ¼ckĀ flight beyond timeĀ von Petri Makkonen aufgenommen und ein paar Zeilen zum Thema ā€žZeitā€œ verfasst.

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Was ist Zeit? | Zeit ist relativ. | Das ist bekannt. | EinĀ Moment wird zur Ewigkeit. | Jahre vergehen, | und wir sagen ā€šals wƤre es gestern gewesenā€˜.ā€†|

Ein Flug durch die Zeit. | Ein besserer Titel kann das StĆ¼ck nicht beschreiben. | Ich denke, mit diesem StĆ¼ck wird deutlich, | wie wirkungsvoll Musik sein kann.

Musik (jede Form von Kunst) hat die Macht,Ā | alte Ā­Gewohnheiten aufzulƶsen,Ā | Naturgesetze zu brechen, | Kraft zu schenkenā€…ā€“ā€…wenn man denkt, man sei am Ende, | von Hindernissen zu befreienā€†ā€“ā€†bei denen man denkt, es gehe nicht mehr weiter, | Sprache zu findenā€†ā€“ā€†wo die Worte fehlen.

Deswegen kam die Ā­Entscheidung, das Leben dieser FƤhigkeit zuĀ widmen.

Seit einigen Monaten habe ich begonnen, meine LieblingsmusikstĆ¼cke grĆ¶ĆŸtenteils mit dem Akkordeon aufzunehmen und zu bearbeiten. Leider ist mein AufnahmegerƤt kaputtgegangen, weshalb dieses und viele andere Projekte pausieren mĆ¼ssen. Zum GlĆ¼ck habe ich noch paar Aufnahmen in Reserve. Ich hoffe, die Reparatur des AufnahmegerƤts dauert nicht allzu lange.
Mittlerweile ist mein AufnahmegerƤt repariert und ich freue mich riesig, neue Projekten zu verwirklichen, (wenn die Zeit es erlaubtā€¦) Den Zuhƶrern fĆ¼r einige Minuten ein wenig Musik zu jederzeit, an jedem Ort zu schenken ā€“ das bedeutet mir sehr viel.

Herzlichste GrĆ¼ĆŸe
Eure Darja

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