Erfahrungsbericht zur „Mattia“

Was verspricht der Neuling im Sortiment und wofĆ¼r steht das neue QualitƤtssiegel ā€žHohner made in Italyā€œ?

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30. MƤrz 2021

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Lesezeit: 7 Minute(n)

Erfahrungsbericht zur "Mattia"

Hohner wagt einen neuen Schritt

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Die „Mattia“ mit Klaviertastatur und 120 BƤssen

Gola, Morino: Spitzeninstrumente aus dem Hause Hohner haben sich Ć¼ber Generationen einen regelrecht legendƤren Namen gemacht. Was verspricht der Neuling im Sortiment und wofĆ¼r steht das neue QualitƤtssiegel ā€žHohner made in Italyā€œ?

Schon so manches Mal wurde bei Hohner die Handwerkskunst der namensgebenden Akkordeonbaumeister mit der Zeit zu einer Art Mythos. Das gilt noch Jahre nach dem Tod von Giovanni Gola und Venanzio Morino. Das Label ā€žMade in Germanyā€œ wurde fĆ¼r viele zu einem GĆ¼tesiegel und der Produktionsstandort Trossingen zu einem Kaufargument, das so manchen heimatverbundenen Harmonikaspieler immer noch mit Stolz erfĆ¼llt. Hohner konnte es sich leisten, fĆ¼hrende SpitzenkrƤfte wie Gola und Morino aus Italien nach Deutschland zu holen und ihnen gute Produktionsbedingungen zur VerfĆ¼gung zu stellen, so dass sie ihre Handwerkskunst optimal entfalten konnten. Bis heute besteht manch einer darauf, ein Instrument aus den 1960er beziehungsweise 1970er Jahren zu erwerben, das wirklich durch die Endkontrolle der GroƟmeister ging. Andere (mich eingeschlossen) schƤtzen die Fortschritte des modernen Akkordeonbaus und finden den legendƤren Geist in aktuelleren Instrumenten wieder, die auf den EntwĆ¼rfen der GroƟmeister aufbauen. FĆ¼r sie sprechen vor allem in punkto Gewicht und Tastenhub ein paar schlagkrƤftige Argumente. Den Traum von einer Gola teile ich seit einigen Jahren mit namhaften Topinterpreten und zahlreichen Fans auf der ganzen Welt. Ende 2018 halte ich den ersten Prototyp der neuen Serie in HƤnden. Es ist keine Gola, und zugleich keine Morino. Was ist das fĆ¼r ein Instrument, das fĆ¼r mich Ć¼berzeugend nach Hohner klingt, dabei aber einen ganz eigenen Charme hat?

Der Hohner Sound

Was macht den Hohner Sound aus? Slavko Avseniks Oberkrainersound, schweizer LƤndlermusik, Manfred Leuchters jazziger Weltmusiksound, der Orchestersound des Hohner-Akkordeonorchesters 1927, Stefan Hussongs Interpretationen zeitgenƶssischer Musikā€¦ Eine Liste, die sich lange fortfĆ¼hren lieƟe und jedes Genre scheint vƶllig andere Anforderungen an den Akkordeonsound zu stellen. FĆ¼r mich gibt es dennoch einen gemeinsamen Nenner: Eine gewisse KlangbestƤndigkeit und VerlƤsslichkeit. Bei italienischen Herstellern gibt es inzwischen Instrumente, die sich ganz individuell auf eine klangliche QualitƤt spezialisiert haben: von orgelartig pfeifend bis zu gedƤmpft sƤuselnd. Hohner Instrumente sind fĆ¼r mich persƶnlich immer ausgezeichnete Allrounder. Selbst wenn es schƶn ist, einen bestimmten Klang fĆ¼r einen bestimmten Stil voll ausreizen zu kƶnnen, schƤtze ich es, mit einem einzigen Instrument von zeitgenƶssischer Musik bis zu Folklore alles spielen zu kƶnnen und verschiedenen BĆ¼hnensituationen mit der Sicherheit meines gewohnten SpielgefĆ¼hls gewachsen zu sein. Der Hohner Sound mischt sich immer hervorragend auf Aufnahmen und in Kombination zu anderen Instrumenten: Unaufdringlich und doch prƤsent, warm und dabei nicht mulmig, glƤnzend und nicht gehypt, klassisch und zugleich zeitgemƤƟ.

Wenn ich nun also ein Instrument in die Hand nehme, das sich preislich mehr an der Morino orientiert, aber zwischen Morino und Gola liegt, und wenn das HohnermƤnnchen das Verdeck ziert, wobei ā€žMade in Italyā€œ Appetit auf mediterran macht, dann habe ich eine gewisse Erwartungshaltung. Luftknopf, dreimal tief durchatmen und eine Brise Italien vom herrlichen Duft eines fabrikneuen Balges verspĆ¼ren, einchƶrig AchtfuƟ, Finger auf Position und – oh! Ein schƶner resonanter Cassottoklang. Durchdringender und voluminƶser als eine Morino, offener und frontaler als die oboenartige Gola, sanglich, satt und doch schlicht, wenn es darauf ankommt. Eine Hohner also! Und dabei italienisch, ich behaupte, das kann man spĆ¼ren. Vom ersten Tastendruck an gewinne ich Vertrauen in die Synergie Castelfidardo-Trossingen.

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Die „Mattia“ gibt es auƟerdem als Knopfmodell mit 120 BƤssen

Ā VerlƤssliche Ansprache und Balance

Ich habe mir bereits einiges Ć¼ber Akkordeonbau erzƤhlen lassen und am Ende komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass mich Fakten auf dem Datenblatt nicht so interessieren wie das, was unterm Strich aus dem Instrument herauskommt. Wenn ich ein solches teste, beginne ich inzwischen frĆ¼h, ein StĆ¼ck zu spielen, denn es ist fĆ¼r mich weit entscheidender, wie das Instrument in der musikalischen Praxis auf mich reagiert und welche Ideen es mir gibt, als wie gut bestimmte Tƶne bei einzelnen TestĆ¼bungen ansprechen. Das erste, was mich interessiert, ist ein Bossa Nova, wo das AchtfuƟregister seine Sanglichkeit voll entfalten kann. Den Klang erlebe ich als poppig und modern, dabei fĆ¼r Jazz und Klassik ebenfalls geeignet. Von leise bis laut behauptet die rechte Hand ihr FĆ¼hrungspotential gegenĆ¼ber der linken, wobei ich links fĆ¼r eine kurz gespielte Begleitung sogar gut Tutti spielen kann: Die linke Hand unterstĆ¼tzt die rechte satt und tief, Ć¼bertƶnt sie allerdings nicht. Alle Register in der rechten Hand sind sorgfƤltig austariert zwischen hohen und tiefen Tƶnen: Die Tiefen verblassen nicht und die Hƶhen stechen an keiner Stelle unangenehm hervor. Es macht groƟen SpaƟ, SkalenlƤufe und Arpeggien Ć¼ber den ganzen verfĆ¼gbaren Tonraum zu spielen, und mit dynamischen Extremen von pianissimo bis forte fortissimo zu experimentieren: Der Klang bleibt in jeder Lage Ć¼berzeugend bestƤndig.

Die Tonansprache ist exzellent: Triller in den tiefen Lagen gelingen in niedrigsten Dynamikstufen, das Piccolo hƤlt auch bei fordernden Akzenten die Stimmung. Gerade das Piccolo ist etwas pfiffiger als bei einer Morino und lƤsst die Mattia im Vergleich mehr scheinen. Es macht sie zugleich noch offensiver gegenĆ¼ber der Gola. Ich bin empfindlich bei zu viel Hƶhenglanz, verliebe mich allerdings schnell in die MischklƤnge der Piccoloregister. Es kommt einiges raus aus dem handlichen Instrument. Neu fĆ¼r ein Hohnerinstrument ist der sogenannte Omni-Sound: Das offene Verdeck Ć¼bertrƤgt den Klang gut zum Publikum, und eine Klangƶffnung oben Ć¼bertrƤgt etwas Klang zum Spieler. So bekommt man selbst einen besseren Eindruck davon, wie das Instrument von vorn klingt. Manche Instrumente klingen Ć¼berraschend anders von vorn als aus Perspektive des Akkordeonisten. Der Omnisound kƶnnte gleichermaƟen im Orchester ausgesprochen nĆ¼tzlich sein, wo man hƤufig das GefĆ¼hl fĆ¼r sich selbst verliert und sich nun im Mischklang besser orientieren kann. Was ich ƶfters bei besonders charakterstarken Instrumenten beobachten konnte, ist ein groƟer klanglicher Unterschied zwischen weiƟen und schwarzen Tasten. Dieser fĆ¼r mich unerwĆ¼nschte Effekt tritt trotz dem neuen italienischen Hohner-Charakter hier nicht ein.

Kommen wir auf die linke Hand zu sprechen: Obwohl ich den vollen Klang groƟer Converter-Instrumente gewohnt bin, Ć¼berzeugt mich die kompakte vierchƶrige Mattia mit 120 StandardbƤssen. Die BƤsse sind satt, keinesfalls plump und polternd, und nicht so hƶhenlastig quakend wie manche Standardbassinstrumente. Die Ansprache stellt mich in allen Tempi in laut und leise und stets im VerhƤltnis zur rechten Hand Ć¼beraus zufrieden. Kleiner Minuspunkt fĆ¼r mein Testinstrument: Ich liebe es, den hohen Chor im Bass ausschalten zu kƶnnen und vermisse ein Register mit nur tiefen BƤssen und Akkorden. Vielleicht wird hier nachgearbeitet, beziehungsweise ein Customizing angeboten.

 

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Die vier Kinn-Register-Schalter

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Inspirierendes SpielgefĆ¼hl

Mein erster Eindruck der Mattia: ā€žHups, ist die leicht!ā€œ. Die 11,5 kg auf dem Datenblatt wurden so im GehƤuse verpackt, dass das Instrument hervorragend anliegt und optimal zentriert zwischen rechts und links ausbalanciert ist. Es fƤllt mir nicht leicht, das zuzugeben, jedoch gefƤllt mir persƶnlich das Handling sogar besser als bei einer neuen Standardbass-Gola. Die Bassknƶpfe sind sehr leichtgƤngig und sprechen frĆ¼h an, sodass ich ich bei schnellen LƤufen nicht ermĆ¼de. Der Tastenhub rechts lƤsst genug Gestaltungsspielraum und kommt dabei mit ganz wenig Weg aus, was schnelles und sauberes Spiel sehr erleichtert. Die Tasten haben kaum Spiel und alles fĆ¼hlt sich ausgesprochen hochwertig an. Trotz groƟer Ƅhnlichkeit haben die RegisterdrĆ¼cker eine solidere Haptik als bei der Morino und sind doch schmal und edel. Die vier dualen Kinnregister, die durch Drehen des jeweiligen DrĆ¼ckers eine Auswahl von insgesamt acht Registern mit dem Kinn ermƶglichen, finde ich Ć¼beraus praktisch. Als Bauteil, das immer noch in Trossingen hergestellt wird, fĆ¼hlen sie sich ebenfalls wertig an. Hier wĆ¼nsche ich mir ein Customizing in naher Zukunft, da ich die acht mƶglichen Register persƶnlich anders belegen wĆ¼rde, aber ich bin rundum zufrieden mit den Kinnregistern. ErwƤhnenswert ist, dass die Hohner Kinnregister einen spĆ¼rbaren Druckpunkt haben und weniger aus Versehen gestreift und gedrĆ¼ckt werden kƶnnen als manche andere Modelle. Die Originalriemen der Mattia sind gut gepolstert und fĆ¼hlen sich toll an, selbst wenn ich persƶnlich die ā€žaltenā€œ Riemen meiner Morino bevorzuge, die sich super schnell auf die richtige LƤnge festzurren lassen. Mit dieser Meinung stand ich unter Kollegen schon ƶfters auf verlorenem Posten und habe mich allmƤhlich damit abgefunden. Insgesamt fĆ¼hlt es sich fĆ¼r mich einfach ā€žrichtigā€œ an, auf der Mattia zu spielen. Es flieƟt und bringt mir eine Menge mĆ¼helose Spielfreude. Der Klang beseelt und inspiriert mich, und das Instrument reagiert auf mein Spiel, wie ich es erwarte.

Ā Elegantes Design

ā€žDesigned for Eleganceā€œ ist der offizielle Slogan zur Hohner Mattia. Zugegeben, ich tue mich schwer damit, ein Akkordeon vordergrĆ¼ndig nach Design und Eleganz zu beurteilen. Aber die klangliche Eleganz und das kompakte SpielgefĆ¼hl sind ja gewissermaƟen der Gestaltung innerlich und ƤuƟerlich zu verdanken. Rein optisch gefƤllt mir die Mattia: Sie ist gut verarbeitet, wirkt klassisch und doch lebendig, und das HohnermƤnnchen auf dem Verdeck empfinde ich als edel und gar nicht kitschig. Man kƶnnte sich mehr Verspieltheit bei italienischem Design vorstellen, etwa Strasssteinchen und Schnƶrkel. Aufbauend auf dem klassischen Morino Design finde ich das Mattia Verdeck und die Gesamterscheinung ƤuƟerst stimmig. Den Fokus vordergrĆ¼ndig auf Optik zu richten, wĆ¼rde der Mattia nicht gerecht. Ich bin der Meinung, sie kann sich mit inneren und ƤuƟeren Werten jedenfalls sehen lassen. Als SahnehƤubchen ist das Akkordeon mit einem sicheren und praktischen Transportkoffer schƶn verpackt.

Handwerkskunst ā€žMade in Italyā€œ

Den Namen Mattia kƶnnte man als eine schƶne Hommage an FirmengrĆ¼nder Matthias Hohner sehen. Vor allen Dingen gibt Handzuginstrumentenmacher Mattia Sampaolo aus Castelfidardo in bewƤhrter Tradition dem Instrument seinen Namen. Industria Musicale Castelfidardo (IMC) ist der Name des kleinen Unternehmens mit zehn Mitarbeitern, das in Zusammenarbeit mit Hohner in Trossingen dieses Instrument entwickelt hat und baut. WƤhrend es auch in anderen Branchen, beispielsweise der Automobilbranche, gƤngig ist, Teile auf der ganzen Welt zuzukaufen und durch die letzten Produktionsschritte in Deutschland Wertschƶpfung ā€žMade in Germanyā€œ zu betreiben, ist die Herstellung der Mattia transparent italienisch. GroƟe Teile von Konzept und QualitƤtssicherung stammen dabei aus Trossingen. Eine tolle Synergie, die nach einem vielversprechenden Anfang mit der Mattia weiterhin Akkordeongeschichte schreiben kƶnnte.

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Der Fortgang der Legende

Sich einen Namen wie die Gola und die Morino zu machen, ist fĆ¼r die Mattia heute kein leichtes. Das Angebot auf dem Markt ist groƟ, die Nachfrage nach hochindividuellen Instrumenten enorm, und der Preis ist zwar angemessen, allerdings sicher nicht gĆ¼nstig. Fest steht, dass Hohner einen groƟen Schritt gewagt hat: Eine Erweiterung der Firmenphilosophie und eine Weiterentwicklung des Hohnersounds, der sich doch treu bleibt. Das ist kein einfaches, aus meiner Sicht jedenfalls gelungenes Unterfangen. Die Mattia ist zeitgemƤƟ, klingt jugendlich, frisch und aktiv und motiviert zum Akkordeon spielen. Wer auf der Suche nach einem zuverlƤssigen Allrounder ist, wird mit diesem Instrument nicht enttƤuscht werden. FĆ¼r 2020 ist zudem der Verkaufsstart der Mattia Converter Modelle vorgesehen, sodass die Mattia fĆ¼r anspruchsvolle Akkordeonisten bis Ć¼ber das Musikstudium hinaus einen neuen Weg mit Hohner ebnen kƶnnte.

Erstmals verƶffentlicht in:

akkordeon magazin #72
Februar/MƤrz 2020

Fotos:

HOHNERĀ MusikinstrumenteĀ GmbHĀ 

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