Hand auf Herz: Wenn das Herz den Ton angibt

Jana und Anton über ihre künstlerische Verbindung und, was sie auf ihrem gemeinsamen Pfad musikalisch bewegt.

1. Dezember 2021

Lesezeit: 12 Minute(n)

Manchmal treffen im Laufe des Lebens unvermittelt zwei Menschen aufeinander, bei denen die Chemie einfach stimmt.

Hand auf Herz: Wenn das Herz den Ton angibt

Interview: Markus Thiel Fotos: Ulrike Gaede, Aileen Wosniak

Manchmal treffen im Laufe des Lebens unvermittelt zwei Menschen aufeinander, bei denen die Chemie einfach stimmt. Wenn es sich dann zufällig noch um Musiker handelt, kommt mit etwas Glück etwas wirklich Außergewöhnliches dabei heraus – wie das Projekt Hand auf Herz.

Das aus der Sängerin und Schauspielerin Jana Kühn und dem Bajanisten Anton Kryukov bestehende Duo verbindet nicht nur die Liebe zur Musik, sondern auch eine bestimmte Sicht auf die Welt, gekrönt von gegenseitigem Respekt und Einfühlungsvermögen. Angetrieben davon, sich der Wahrheit nicht nur nicht zu verschließen, sondern sie zum Kern des eigenen Schaffens zu erheben, begeistert Hand auf Herz mit authentischen Interpretationen aus einer Dekade umspannenden und Grenzen überwindenden Chanson-​Universum. Die unverstellt ehrliche Emotionalität entfaltet dabei eine facettenreiche lyrische Tiefe, wie sie nur das Leben selbst schreiben kann. Wir sprachen mit Jana und Anton über ihre künstlerische Verbindung und darüber, was sie auf ihrem gemeinsamen Pfad musikalisch bewegt.

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Foto: Ulrike Gaede

  • Wie ist es zu Hand auf Herz gekommen?

Anton: Bevor ich Jana zum ersten Mal sah, habe ich nur ihre Stimme gehört. Es war auf einer Probe für den Theaterball im Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin, wo Jana damals fester Bestandteil des Schauspiel-​Ensembles war und in einem Konzert zwei Lieder mit Klavierbegleitung singen sollte. Ich saß im Zuschauerraum und wartete auf unsere Nummern aus einer Produktion mit Ballett über Jacques Brel, in der ich als Aushilfsmusiker mitwirkte. Ich achtete nicht darauf, was auf der Bühne passierte, und plötzlich hörte ich das Lied von Edith Piaf L’accordéoniste auf Deutsch gesungen. – Aber diese Stimme! Sie hat mich komplett verzaubert. „Oh! Wer singt denn das?“ Neben dem Klavier stand ein Mädchen, das selber nicht viel größer war, als es dieses Klavier und mein erstes Gefühl waren: „Ich würde sie auch gerne einmal musikalisch begleiten!“ Was uns unser Bauchgefühl sagt, ist immer die Wahrheit, und die man kann vor sich selbst nicht verstecken. Dieses Bauchgefühl reichte aus, um mich fest davon zu überzeugen, dass wir irgendwann einmal zusammen musizieren werden. Noch am Tag des Konzertes lernten wir uns kennen und freundeten uns an. Zu dieser Zeit dachte bereits jeder von uns über ein Duo nach, aber es war eher ein kostbarer Gedanke, den wir genossen und bei uns trugen, als eine konkrete Absicht.
Jana: Das war 2012. Anton stand auf diesem Theaterball nachts, als schon fast alles vorbei war, auf dem Balkon. Er hatte noch sein Kostüm vom Auftritt an, ein 50er-​Jahre-​Outfit, und sah damit aus wie aus einer anderen Welt. Ein Gentleman, etwas verloren in der Moderne. Ich bin auf ihn zu und unser erstes Gespräch ging natürlich um die Musik, die Chansons von Jacques Brel und was Musik für eine Kraft für uns persönlich hat. Ein Jahr zuvor hatte ich mit dem Lied L’accordonist von Piaf und meiner freien Übersetzung davon im Bundeswettbewerb für Gesang den Walter-​Jurmann-​Chanson-​Preis gewonnen. Mein romantischer Wunsch damals: mit einem Akkordeonisten auf der Straße Geschichten zu erzählen. Ich glaube, Lieder sind fast wie Gebete oder Mantras. Ich habe mir den Akkordeonisten im wahrsten Sinne herbeigesungen. Deshalb ist es uns bis heute wichtig, welche Lieder wir ins Repertoire nehmen. Wir können nur über das musizieren, wovon unser Herz aus Erfahrung sprechen kann und will. Davon, was wir heraufbeschwören wollen.
Anton: Ja, wir wussten schon damals: Wir nehmen uns Zeit, um die Idee wachsen zu lassen, damit das Leben uns von selbst zu unseren Liedern und unserem Repertoire führt.

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  • „Für mich sind das Menschliche und das Musikalische nicht zu trennen. Der Mensch gestaltet die Musik und die Musik uns Menschen.“

    Jana

  • Was verbindet euch musikalisch und menschlich?

Anton: Musikalisch ist es vor allem der achtsame Umgang mit der Tonerzeugung. Bei Jana sehe ich die gleiche Liebe zum Sound bzw. zu jedem einzelnen, von ihr gesungenen Ton, die ich für jeden von mir gespielten Ton empfinde. Uns beiden ist es leidenschaftlich wichtig, wie wir qualitativ klingen und welches Timbre oder welche Farbe unser Sound hat. Ich verrate nichts Neues, wenn ich erzähle, dass uns die Dynamik sehr wichtig ist. Ich staune beim Einstudieren neuer Stücke oft darüber, wie ähnlich wir ein Lied empfinden, wenn wir uns auf die Suche nach der passenden charakteristischen Spannung für jede einzelne Stelle machen. Außerdem musizieren wir beide lieber rein akustisch als mit Verstärkung, auch wenn wir oft verstärkt auftreten müssen und daher natürlich damit klarkommen. Fazit: Unser Klang hat in unseren Herzen oberste Priorität. Menschlich verbindet uns zudem Reise- und Abenteuerlust, aber viel wichtiger ist die Tendenz, dass wir uns beide für die herausragenden oder schrägen Themen im Leben – die, die fast wehtun – interessieren und darüber nachdenken möchten. Wir gehören zu den Leuten, die die schockierenden Sachen begreifen wollen und manchmal auch können.
Jana: Für mich sind das Menschliche und das Musikalische nicht zu trennen. Der Mensch gestaltet die Musik und die Musik uns Menschen. Wir zwei mögen es, den Vergleich aufzumachen zwischen den Zeiten. Beispielsweise sind die Lieder von Friedrich Hollaender, einem jüdischen Lieblingskomponisten von uns, um die hundert Jahre alt, und trotzdem sind viele von ihnen noch so wahr im Heute. Das tut manchmal richtig weh. Hat die Menschheit nichts dazugelernt? Totalitäre Systeme, gewalttätige Auseinandersetzungen, Grenzziehungen … Anton und ich erzählen musikalische Geschichten vom Menschsein. Er mit den Knöpfen, als steckte in jedem Knopf und ihrer Kombination eine neue Geschichte, ich mit der Stimme, mit dem Körper, mit den Händen. Zusammen erschaffen wir klingende Gemälde für unser Publikum, das mittendrin sitzt, lauscht, lacht und weint. Das Musikalische lässt den Menschen im Moment menschlich sein. Es öffnet die Herzen und macht manchmal ganz weich. Für uns persönlich ist es auch wichtig, uns menschlich zu verstehen, ganz transparent zu sein in dem, was uns gerade bewegt und ausmacht, damit wir gute Musik miteinander machen können. Das ist nicht immer leicht und bedarf auch der Pflege. Mittlerweile verbindet uns auch die Zeit, gemeinsame Erlebnisse – schwierige und sehr, sehr schöne. Manchmal schauen wir uns auf der Bühne an und wissen, was der andere gerade denkt. Und das Tolle ist: In Konzerten nimmt auch das Publikum diese besondere Verbindung wahr und vertraut sich uns an.

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Foto: Aileen Wosniak

  • Wie habt ihr die letzten zwei Jahre (v)erlebt?

Jana: Die letzten zwei Jahre waren besonders. Wie eine Murmelbahn, die plötzlich ihre Regeln ändert: alle Murmeln in der ungewissen Schwebe und gleichzeitig wunderbar schwerelos. Und später dann die Frage: Wollen wir zurück auf die Murmelbahn? Und wenn ja, womit, mit wem und wie schnell wollen wir sein? Anton und ich haben uns eine Pause gegönnt in der Zeit, alles viel langsamer und ruhiger gemacht. Wir haben auch jeder für sich auf das Leben gehorcht. Es gab eh nicht viele Konzertanfragen und immer wieder Absagen. Wir haben unsere Planungen für Konzerte ausgesetzt, um nicht in den Stress des ständigen Umplanens zu kommen. Und wir haben jeder auch noch andere Projekte und Interessen weiterverfolgt oder neu entwickelt. Einige sind auf meiner Website (www.janakuehn.de) zu sehen. Ich habe viel in der Theatervermittlung mit hybriden Formaten (digital/analog) gearbeitet, habe musikalische Online-​Lesungen ausprobiert und eine deutsch-​ukrainische Künstler*innen-​Residenz (www.tworoots.de) online geleitet. Dank künstlerischer Stipendien konnte ich frei forschen. Was für ein Geschenk! Und ich habe Lieder für Kinder, aber auch Texte geschrieben, und irgendwann wird daraus vielleicht ein ganzes Buch. Hand auf Herz funktioniert nicht online. Das haben wir gar nicht in Erwägung gezogen. Ab und zu hat Anton auf der Straße gespielt, wie früher. Da lässt es sich ehrlich und direkt bleiben mit dem, was Hand auf Herz ausmacht. Jetzt, wo alles wieder mehr losgeht, haben wir auch wieder mehr Lust auf ein neues Repertoire.
Anton: Ich habe viel nachgedacht und endlich die Bücher gelesen, die bei mir noch auf der Liste standen. Und als die Pandemie ausgebrochen ist und öffentliche Auftritte abgesagt wurden, übte ich eine neue Tätigkeit als Fahrer aus: Ich habe in meiner Region die Kinder mit Behinderung morgens zur Schule und nachmittags zurück nach Hause gefahren. In diesem ganzen Zeitraum hatte ich die wertvolle Gelegenheit zu lernen, wie man zwischen zwei ganz unterschiedlichen Tätigkeiten umschaltet und trotzdem seine Disziplin fürs regelmäßige musikalische Üben beibehält. Das war schon spannend!
Jana: Dazu muss ich sagen, dass es in den letzten zwei Jahren wegen der Pandemie starke Probleme für Anton mit der Ausländerbehörde gab, und das wird nicht nur ihm so gegangen sein. Die Behörden haben auf Sparflamme gearbeitet, was sehr viel Unsicherheit ausgelöst hat. Vor allen Dingen für Menschen mit befristeten Aufenthaltstiteln wie Anton, oder sogar noch niedrigerem Status, war es sehr unsicher. Was tun, wenn du wegen eines Paragrafen ausschließlich als Musiker arbeiten darfst und in der Pandemie trotzdem nachweisen musst, dass du in der Lage bist, selbst für dich zu sorgen? Das hat uns viele Gedanken und große Gefühle gekostet. Es gab für Anton tolle solidarische Unterstützung von unserem Publikum, unseren Auftraggeber*innen und unseren Freund*innen. Dafür sind wir sehr dankbar. Letztendlich ist es für ihn gut ausgegangen und sicher wird das ein oder andere Lied zu diesen erlebten Gefühlen in unserem neuen Repertoire auftauchen. Aber diese zwei Jahre ließ es sich schlecht auf die Entwicklung des Duos Hand auf Herz konzentrieren.

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„Plötzlich hörte ich das Lied von Edith Piaf ‚L’accordéoniste‘ auf Deutsch gesungen. – Diese Stimme! Sie hat mich komplett verzaubert.“

 

Anton

  • Wie stehen bei euch Hand und Herz in Verbindung? Wofür schlägt letzteres?

Anton: In einer stromleitenden Verbindung, wobei der Strom für die lebenswichtige geistige Energie steht, die die Gefühle des Herzens durch unsere Hände real werden und auf unserer Arbeit übertragen lässt. Das Handgemachte fasziniert, berührt und begeistert eben nur dann, wenn es richtig mit und durch das Herz gemacht wird. Wir beide schätzen und respektieren auch im außermusikalischen Bereich des Lebens Handwerker und ihre Arbeit, denn wir sind davon überzeugt, dass alle Handwerker Künstler sind. Unsere Eltern sind zum Beispiel ebensolche. Mein Herz schlägt für die ehrliche, qualitative Arbeit, unabhängig von der ausgeübten Beschäftigung. Lieber arbeite ich langsamer, dafür aber mit mehr Qualität.
Jana: Ich mag es sehr, wie Anton die Dinge und die Welt beschreibt. Mein Herz schlägt für die poetische Betrachtung des Lebens, die es neben der praktischen auch geben muss, um für den Moment, der mit einem Flügelschlag sich selbst erschafft und wieder vergeht, vollkommen zu sein. Wie ein Ton, für das friedliche Miteinander der Menschen. Dafür musiziere ich mit Hand und Herz, um zu vermitteln. Im Sinne eines authentischen Seins: im Einklang mit mir und der Welt voller Demut das tun, was ich fühle und denke und sage.

„Das Handgemachte fasziniert, berührt und ­begeistert eben nur dann, wenn es richtig mit und durch das Herz gemacht wird.“

 

Anton

  • Wenn ihr euch einen ganz bestimmten Ort für ein Konzert wünschen könntet, welcher wäre das und warum?

Anton: Mir fällt sofort die Burg Hohenzollern bei Hechingen in Baden-​Württemberg ein mit ihren katholischen und evangelischen Kapellen, in denen wir bereits ein paarmal auftreten durften, was wir sehr zu schätzen wussten. Uns fasziniert es sehr, wie diese ganze Burg auf einem Berg aufgebaut wurde, welche Arbeit dahintersteckt und welche architektonische Kunst hier entstanden ist. Hier kommt mir wieder die Frage nach der Handarbeit in den Sinn, aber auch noch ein ganz neuer Gedanke: Geschichte, die nicht nur nett und hell, sondern oft tragisch und dunkel ist; das Leben mit seiner wahren Realität … Es lässt uns nachdenken – und wir lieben es nachzudenken. Das Musizieren an so einem besonderen Ort gibt die Möglichkeit, den Geist der Geschichte zu spüren. Außerdem kann jede alte Kirche ein gewünschter Ort für ein Konzert sein, denn außer oben genannten Gründen lieben wir die Akustik in solchen Räumen.
Jana: Wir haben ja schon an vielen inspirierenden Orten gespielt – auf dem Marktplatz in Stralsund, in kleinen versteckten Dorfkirchen, im Schloss Schwerin, in russischen Zügen, in einem Naturtheater in der Namib-​Wüste unter Sternenhimmel … Als wir in Spanien oben auf der Alhambra waren, da hätte ich mir ein Bajan gewünscht, um für die Landschaft vor uns zu spielen. Den Moment würde ich gern wiederholen. Auch die Straßen der Altstadt von Jerusalem wären spannend für mich, um sie klanglich zu erforschen. Zu musizieren ist wie ein Gespräch zu führen, und dort treffen viele Leben aufeinander. Sonst würde ich genau wie Anton sagen, dass Kirchen uns die liebsten Orte sind. Hier spielt die Akustik mit uns im Trio und das Bajan klingt wie eine Orgel. Das sind erhabene Momente.

  • Woraus schöpft ihr eure Inspiration?

Jana: Mich inspiriert das Leben mit den vielfältigen Begegnungen und Aufgaben jeden Tag, aber auch die Poesie, vor allen Dingen von Frauen wie Mascha Kaléko, Else Lasker-​Schüler oder Gertrud Kolmar. Manchmal tragische Figuren. Mich inspirieren befreundete Musiker wie Thomas Möckel, ein toller Pianist und Kenner der Chansonwelt, die libanesisch-​deutsche Band Masaa oder Markus Stockhausen mit seinem Forum für intuitive Musik. Die Natur ist auch eine Quelle. Ich liebe es am Meer zu stehen, vor allem wenn es ordentlich windet, und mich freizusingen. Mich inspiriert die Liebe mit all ihren Figuren und Bewegungen. Und ganz besonders inspirieren mich Kinder mit ihrem genialen Dasein und freien Spiel.
Anton: Ich schöpfe Inspiration aus vielen Momenten, Dingen und Ereignissen – guter Literatur, herausragenden Interpreten, monumentalen Kunst- und Gedenkstätten, beschrieben bei vorheriger Frage – und aus wertvollen, spannenden Erlebnissen, wie zum Beispiel im Gefängnis in Windhuk (Namibia), wo wir in einem Ensemble einen Auftritt zu Weihnachten gestalteten und wo uns im Anschluss vier Inhaftierte ein vierstimmiges Lied vorsangen. Das war was zum Hören! Ich kann das gar nicht beschreiben. Die wahre Kunst an einem anderen Ort, mitten im Leben! Es wurde einem fast schwindelig vor Lebensgefühl. Bravo!

  • Wie würdet ihr das Spannungsfeld zwischen Stimme und Bajan beschreiben?

Anton: Ich würde sagen, beide können gemeinsam oder synchron gleichmäßig atmen und präzise aufeinander eingehen, da beide vom Luftstrom leben. Die Lungen als verstärkendes Fundament verbinden die Natur der Tonerzeugung beider Instrumente, was uns bei der Interpretation im Aufbau einer gemeinsamen Dynamik unterstützt.
Jana: Ein guter Bajanist wie Anton hat mit seinem Instrument die Fähigkeit, nach meinen Lippen, nach meinem Atem, nach meinem situativen Gefühl zu spielen und mich als Sängerin in dem Gedanken, den wir über Text und Ton an das Publikum senden, zu stützen. Gleichzeitig können wir uns gegenseitig anschieben, bremsen oder mitreißen. Da entsteht mehr als nur Spannung zwischen uns und unseren Instrumenten. Das Publikum, der Raum, die Luft im Raum, im Balg, im Brustkorb, unsere unterschiedliche Kultur, unsere Gedanken zum Tag sind da mit einbezogen – sozusagen eine mehrdimensionale Spannung. Spannung ist hier nur positiv gemeint. Das Wunderbare am Bajan selbst, dem Orchester in einem Kasten, wie an meiner Stimme, die die Stimme einer Schauspielerin ist, ist, dass wir so viele verschiedene Färbungen und Gefühle vertonen können. Die im Konzert oft auch ganz spontane Kommunikation zwischen uns zwei reichhaltigen Interpreten ist für mich sehr spannend.

  • Wohin führt der aktuelle Weg? Was plant ihr für die Zukunft?

Anton: Mich interessieren sehr die wirtschaftlich ärmeren Länder Europas, wo man einfach musiziert oder Musik hört, ohne den Musiker zu fragen, ob er davon leben kann. Als ich mit neun Jahren in Kasachstan anfing gerne zu musizieren, fragte ich mich nicht, ob ich davon leben kann. Ich spielte Bajan, weil ich es liebte. Hier in Deutschland ist mir diese Frage mittlerweile eher lästig und störend geworden. Trotz meines aufrichtigen Respekts dem kulturellen Erbe Deutschlands gegenüber muss ich doch immer wieder feststellen, dass das Bajan hier nicht als Konzertinstrument anerkannt wird. Innerhalb der Musik denke ich nicht kommerziell, sondern musiziere eben mit der Hand auf dem Herzen. Um einen Veranstalter zu überzeugen mir/uns einen Konzerttermin zu gewähren, muss man zunächst eine enorme Managementarbeit leisten. Ich denke, bei den klassischen und Kammermusikern ist die Situation anders. Ich habe das Gefühl, dass das deutsche Publikum sich in diesem Punkt eher konservativ verhält. Bevor ich in absehbarer Zeit wieder ausreise, möchte ich aber noch zwei aktuelle Projekte ausbauen: eines mit einem russischen Opernsänger mit Bassstimme und eines mit einer kraftvollen rumänischen Violinistin.
Jana: Wir wollen uns gern weiterentwickeln, jeder für sich, aber auch gern miteinander in Hand auf Herz, je nachdem, was möglich ist und wie es uns damit gut geht. Neben der Musik sind es gute Wünsche und die Zeit, die uns verbinden wie zwei alte Freunde. Es gibt einige Veranstalter*innen, bei denen wir sehr gern sind, die uns für das nächste Jahr einplanen wollen. Die Pandemie hat uns einiges gelehrt. Ich will noch solidarischer sein und Menschen unterstützen, wo ich kann. Ich freue mich über jeden Tag, den ich vor Menschen musizieren und mit Menschen persönlich kommunizieren kann. Wir werden die Dinge noch bewusster und achtsamer angehen. Vor allem aber weiterhin mit viel Liebe und Ehrlichkeit zum Leben.
Anton: Ich möchte mich an dieser Stelle bei der ganzen Redaktion des für die großartige Arbeit bedanken! Mit Ihrer Arbeit unterstützen Sie unser Instrument, dafür wünsche ich Ihnen allen weiterhin viel Energie!

Jana Kühn studierte Schauspiel unter anderem an der Hochschule für Musik und Theater Rostock sowie später Kulturarbeit in Potsdam. Von 2007 bis 2013 war sie am Mecklenburgischen Staatstheater engagiert. 2011 wurde sie mit dem Walter Jurmann Chansonpreis beim Bundeswettbewerb für Gesang ausgezeichnet und ist seither freiberuflich in verschiedenen Ensembles unterwegs. Jana Kühn steht auf der Bühne, unterrichtet an der Hochschule, leitet internationale Kunstprojekte und moderierte 2021 das Akkordeonfestival Accordion Explosions im Theater am Rand.

Anton Kryukov studierte

  • von 1986 bis 1992 Musikschule in Karaganda (Kasachstan),
  • von 1992 bis 1996 an der Musikfachschule (Musikcollege) in Karaganda  (Kasachstan),
  • von 1997 bis 2000 an der Akademie der Künste in Voronezh  (Russland).
  • 2001 bis 2003 sammelte er als Wehrpflichtiger die wichtigen praktischen Kenntnisse für Ballett- und Gesangbegleitung im Marine-​Ensemble der Baltischen Flotte in Königsberg (Kaliningrad). Seit 2004 kam er immer wieder nach Deutschland für Konzertreisen. 
  • 2007 blieb er dauerhaft und hatte seitdem Engagements bei verschiedenen größeren Theatern und Orchestern sowie Theatern der freien Szene und kleineren Musik-​Ensembles. Er begleitet Produktionen beispielsweise im Berliner Ensemble, in der Berliner Volksbühne, beim Theater Vorpommern, beim Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, in der Taschenoper Lübeck, beim Theaterforum Berlin Kreuzberg und weiteren. 
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Erstmals veröffentlicht in:

akkordeon magazin #81
Dezember 2021
Fotos: Aileen Wosniak

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