Neza Torkar
Weltklasse-Akkordeon aus Slowenien
Die Liste internationaler Erfolge und Auszeichnungen der erst dreißigjährigen Slowenin Neza Torkar ist lang. Außerdem erspielte sie sich an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar die Konzertreife mit Auszeichnung und absolvierte beide Vorspiele statt im Zeitraum von einem Jahr in unglaublichen zwei Wochen. Was steckt hinter der jungen Powerfrau und was treibt sie an? Woher kommt ihre Begeisterung für die Neue Musik? Und wie schafft sie es, Unterricht, Konzertreisen als Solistin, im Duo oder Ensemble und seit Neuestem ihren Job als Geschäftsführerin eines Hotels unter einen Hut zu bekommen? Unser Autor hat in einem detaillierten Interview mehr über die talentierte Akkordeonistin erfahren.

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(Foto: Nik Bertoncelj)
- Frau Torkar, wie geht es Ihnen gerade?
Es geht mir wieder gut. Im letzten Jahr habe ich meine Aktivitäten wohl etwas übertrieben und in der Folge durchlebte ich Mitte Februar dieses Jahres einen Zusammenbruch, nennen wir es angelehnt an die aktuellen Ereignisse einen „persönlichen Shutdown“.
- Wie haben Sie sich aus der Krise geholfen?
Ich fuhr zu meinen Eltern nach Slowenien und ließ mein Akkordeon fast zwei Monate in der Ecke stehen. Die Coronakrise gab mir zusätzliche Zeit, mich zu entschleunigen. Obendrein durfte ich eine Zeit lang sowieso nicht wieder nach Deutschland einreisen. Meine Unterrichtstätigkeit an zwei Musikschulen verschob ich zunächst Woche um Woche und habe sie mittlerweile ganz aufgegeben.
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- Wie war die Situation bei Ihnen?
Ich habe unglaublich viel geübt, und trotzdem konnte ich bis zum Wettbewerb das Stück nie komplett durchspielen. Ich setzte auf den Adrenalinschub einer Bühnensituation vor Publikum und die innere Stimme, die einem sagt, beim Vorspiel nicht aufgeben zu dürfen. Hinzu kamen Zweifel an mir selbst. War ich womöglich die Einzige, die solche Schwierigkeiten mit dem Werk hatte? Die Frage quälte mich, wie die anderen damit klargekommen sind.
- Was sagten die anderen Teilnehmer bei der Ankunft in Spanien?
Es war kurios, alle meinten nur: „Scheiße, wir können das Stück nicht spielen!“.
- Wie ging das Ganze für Sie aus?
Ich gewann den Wettbewerb und bekam dazu einen Sonderpreis für die beste Interpretation. Die zweite Preisträgerin, eine Spielerin aus Spanien, erzählte mir ein Jahr später anlässlich des Preisträgerkonzertes der Vorjahressieger, dass sie zwei Tage vor unserem Wettbewerb 2017 das Stück bei einem Solokonzert spielen wollte. Sie hatte es begonnen, aber mitten im Stück abgebrochen und auf der Bühne vor dem Publikum angefangen zu weinen. Zum Glück konnte ihr Freund Trost spenden und sie dazu bewegen, den Wettbewerb in Spanien doch zu versuchen.
- Diese Competition war nur einer der Wettbewerbe, an denen Sie teilgenommen haben. Wie fing das mit den Competitions an?
Im Alter von 13 Jahren nahm ich 2003 an meinem ersten Akkordeonwettbewerb in Slowenien teil, zusammen mit der Tochter meiner damaligen Akkordeonlehrerin, Romana Simbera, am Cello. Romana ist übrigens heute noch meine Partnerin in unserem Duo Accellorandom und setzt derzeit ihr Studium in Freiburg fort.
- Gestatten Sie uns einen Zeitsprung samt Ortswechsel in Ihre Vergangenheit. Wie und wodurch kamen Sie in Slowenien zur Musik?
Ich wurde im Mai 1990 im Sternzeichen Stier als Einzelkind in Jesenice geboren. Der Ort liegt im Norden von Slowenien, nicht weit von der Grenze zu Österreich entfernt. Die nächstliegenden Großstädte im Nachbarland sind Klagenfurt und Villach.
- Ihre erste Akkordeonlehrerin stammt aus demselben Ort?
Nicht ganz, sie und ihre Tochter Romana wohnten in Gorje, einem Nachbardorf von Jesenice.
- Wer hatte die zündende Idee für Sie als kleines Mädchen, eine Karriere als Akkordeonistin zu starten?
Ich war fünf, und meine Mutter schickte mich zu einem Kinderchor. Ein Jahr später machte ich eine Art Musiktheorie-Kurs als Vorbereitung auf die Musikschule. Eine liebe Freundin, die ebenfalls Neza heißt und vier Jahre jünger ist als ich, spielte mit gerade dreieinhalb Jahren für mich zu meinem siebten Geburtstag ein Lied auf einem Akkordeon in unserem Haus. Ich fand das toll und sagte zu meinen Eltern: das will ich auch können. Letztendlich war es also meine Idee (lacht).
- Wie haben Ihre Eltern reagiert?
Sie haben mir zunächst ein kleines graues Akkordeon von der Musikschule geliehen. Mein erstes eigenes Akkordeon war ein slowenisches Melodia-Instrument mit Tasten im Diskant. Das habe ich bis heute.
- Wie gestaltete sich der Musikunterricht in Ihrer Musikschule?
Bei uns in Slowenien ist der Unterricht an Musikschulen in der Regel so aufgebaut: Zweimal in der Woche Instrumentalunterricht, einmal Orchester oder Kammermusik, einmal Theorieunterricht.
- Das klingt nach einer besonderen Förderung der Musikkultur in Ihrem Land. Wie ging es für Sie weiter?
Mit 15 wechselte ich an das Musikgymnasium unserer slowenischen Hauptstadt Ljubljana und wohnte in einem Internat. Die Aufnahmeprüfung spielte ich mit einem Tasteninstrument im Diskant. Nach den Sommerferien begann ich dort aber mit einem Knopf-Instrument in B-Griff-Anordnung.
- Wer hatte die Idee zu dem Wechsel?
Das ist eine interessante Geschichte. Meine Eltern hatten für mich über die slowenische Außendienstmitarbeiterin von Pigini in Italien im Werk bereits ein Tasten-Instrument bestellt, der Auftrag war eigentlich klar. Sie fragte im Gespräch, ob es nicht besser wäre, ein Knopf-Instrument zu bestellen. Laut ihrer Aussage war es ein Trend, auf dieser Instrumentenversion weiter zu lernen.
- … und dann?
Es gab einige Verwirrungen innerhalb unserer Familie, der Auftrag wurde zunächst storniert. Dazu kam, dass mein Professor Erno Sebastian in Ljubljana meinte, kein Mensch könne sich schnell von Taste auf Knopf umstellen und alles neu lernen. Die anderen Studierenden hätten ihr Manual seit Jahren quasi blind im Kopf, da hätte ein Umsteiger keine Chance.
- Taste oder Knopf … wie haben Sie sich entschieden?
Meine Eltern bestellten für mich bei Pigini die Knopf-Version. Ich hatte die Sommermonate und die Ferien Zeit, mich umzustellen. Als ich zu den ersten Unterrichtsstunden zu meinem Professor kam, war dieser besonders streng, aber er sah, dass ich gute Fortschritte machte und war besänftigt.
- Welche Manual-Art spielte Ihr Lehrer?
Er konnte beides, ist aber ebenfalls erst spät auf ein Knopf-Instrument umgestiegen. Übrigens war er während seines Studiums in Weimar ein Kollege von Ivan Koval, bei dem ich später dort studierte.
- War das der Grund, in Weimar studieren zu wollen?
Ja, einer der Gründe. Ein weiterer war, dass ich beim Abschluss des Musikgymnasiums in Ljubljana an der Musikhochschule noch nicht das Fach Akkordeon belegen konnte. Es gab wie in ganz Slowenien keine Professuren dafür. Viele Slowenier haben deswegen in Graz oder Klagenfurt studiert, in Deutschland neben Weimar auch in Trossingen, in München bei Hugo Noth oder in Nürnberg.
- Gab es für Sie Alternativen zu einem Musikstudium?
Nein, der Großteil meines Lebens zu der Zeit drehte sich nur um Musik. Es war meine Leidenschaft und ich wollte in Zukunft nichts anderes machen.
- War das Instrument Posaune nicht für eine Zeit eine Konkurrenz zum Lieblingsinstrument Akkordeon?
Nicht wirklich, aber Sie haben Recht, während meiner Zeit am Musikgymnasium belegte ich das Fach Posaune. In früher Teeniezeit versuchte ich mich dazu an Schlagzeug und Mandoline. Mit der Posaune absolvierte ich sechs Prüfungen. In Slowenien bekommt man dafür ein Zeugnis und ich war stolz.
- Akkordeon und Posaune, eine recht kuriose Kombination?
Ich kenne einige Akkordeonisten in meinem Land, die Posaune spielen können (lacht). Zu den Freunden meiner Familie gehörte ein Musikprofessor für Posaune. Er war übrigens der Vater der zweiten Neza, die an meinem Geburtstag Akkordeon spielte und wegen der alles begann. Er war in Ljubljana am Gymnasium mein Lehrer.
- Ist Oberkrainer-Musik in Slowenien sehr verbreitet?
Ja, sehr. Slavko Avsenik aus Begunje ist das berühmteste Beispiel dafür. Der Ort liegt ganz in der Nähe meines Geburtsortes Jesenice. Das Trompeten-Echo, seine wohl bekannteste Komposition, heißt in der Landessprache im Original na golici und der Golica ist ein Berg in Slowenien.
- Wie ging es für Sie in Weimar weiter?
Im Alter von 19 Jahren spielte ich meine Aufnahmeprüfung in Weimar, absolvierte allerdings eine weitere in Ljubljana, denn genau in dem Jahr wurde ein Studium in unserer slowenischen Hauptstadt möglich. In Weimar waren die Prüfungsfächer zur Aufnahme an der Hochschule Akkordeon, Klavier, Theorie und Deutsch.
- Deutsch? Wie erlernt jemand aus Slowenien die Sprache?
Am Musikgymnasium in Ljubljana wählte ich Deutsch als zweite Fremdsprache. In Deutschland zu leben und zu studieren ist allerdings etwas völlig anderes.
- Wie lief Ihr Studium im Weimar ab?
Als ich in Weimar begann, hieß der Abschluss noch Diplom. Ich studierte vier Jahre und machte dieses Diplom. Danach studierte ich zwei Jahre für den Masterabschluss und zuletzt absolvierte ich das Konzertexamen.
- Wie waren die Anforderungen an ein Konzertexamen und wie gingen Sie damit um?
Aufgabe war, sich ein Konzertprogramm zu erarbeiten und ich spielte es vor 15 Musikprofessoren der Hochschule. Jeder Professor hat dabei nur die Möglichkeit, anschließend mit ja oder nein zu stimmen. Ich bekam von allen ein ja, obwohl mein Akkordeonprofessor gar nicht dabei war. Das bedeutete für mich: bestanden mit Auszeichnung.
- War es das dann?
Nein, man hat ein weiteres Jahr Zeit, um ein zweites Programm zu erarbeiten, darauf folgt die gleiche Prozedur. Ich habe mein zweites Konzert nach 14 Tagen gespielt und bekam wieder von allen ein ja, womit ich endgültig bestanden hatte.
- Ist Ihr Pigini-Instrument noch das, welches Sie für das Musikgymnasium in Ljubljana gekauft hatten?
Nein, das habe ich vor dem Beginn des Studiums in Weimar verkauft und mein jetziges Akkordeon erworben. Es ist ein Pigini Super Bajan Sirius mit C-Griff-Anordnung im Diskant und wiegt knapp 14 Kilo.
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Neža Torkar – Concert dreams [OFFICIAL VIDEO]
- Kennen Sie die Familie Pigini persönlich?
Ja, ich war mit meiner Duopartnerin Romana Simbera zu einem Wettbewerb in Castelfidardo. Die Familie lud uns zu einer Werksbesichtigung ein, sie sind sehr nett. Auf der Internetseite von Pigini gehöre ich ja mittlerweile zu den weltweiten Künstlern.
- Sie haben sich mittlerweile erholt und neu fokussiert. Was ist Ihnen für Ihre persönliche Zukunft wichtig?
Ich konnte durch meinen eigenen „Shutdown“ erkennen, dass das Pensum im letzten Jahr mit Unterricht an zwei Musikschulen, Konzerten auf höchstem Niveau, Proben, Ensemblearbeit und dazu dem Job im Hotel einfach nicht durchführbar ist, das schafft kein Mensch. Es nützt niemandem, wenn ich bei allem ständig erschöpft bin. Ich möchte weiter Konzerte spielen und offen sein für Neue Musik, aber ebenso musikalische Freunde aus der ganzen Welt in unserer Ölmühle in Eberstedt begrüßen können. Im Kopf sind jede Menge Pläne und Ideen. Das ist mehr als Arbeit genug, sie unter einen Hut zu bekommen, und ich freue mich sehr darauf!

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Mit dem Ensemble Via Nova (Foto: Caren Pauli)

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Neza Torkar in Bled in Slowenien, 2019 (Foto: Dominik Čepon)
Auszeichnungen Neza Torkar
- Seit 2003 Preisträgerin verschiedener Wettbewerbe für Solo-Akkordeon, Kammermusik oder Akkordeon-Orchester in Slowenien, Kroatien, Italien, Deutschland und Belgien
- 2008 und 2011 – Slowenien: 1. Preis beim Nationalen Akkordeon-Wettbewerb
- 2011 – Beltinci, Slowenien: 1. Preis beim internationalen Wettbewerb
- 2012 – Belgien: 3. Preis des Internationalen Akkordeon-Wettbewerbs
- 2013, 2016 und 2018 – Pula, Kroatien: 1. Preis des Wettbewerbs (2018 im Duo mit Cellistin Romana Simbera)
- 2016 – Bad Liebenwerda, Deutschland: Sonderpreis des Cultural Festival for Soloists at the International Brothers Graun Competition for baroque music
- 2017 – Jesenice, Slowenien: Preis des Bürgermeisters
- 2017 – Klingenthal, Deutschland: 3. Platz in der Kategorie Solisten ohne Altersbegrenzung
- 2017 – Arrasate, Spanien: 1. Preis und Sonderpreis für die beste Pflichtstück-Interpretation
- 2018 – Klingenthal, Deutschland: 2. Platz in der Kategorie Duo mit Cellistin Romana Simbera
- 2018 – Castelfidardo, Italien: 1. Preis mit Cellistin Romana Simbera
Website: ensemble via nova

Erstmals veröffentlicht in:
akkordeon magazin #75
August 2020
Fotos: Nik Bertoncelj, Dominik Cˇepon, Caren Pauli, Luka Vabicˇ, PIF Castelfidardo, Ksaver Sinkar, Anže Grabeljšek, Maja Pernuš
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