Momir Novakovic ist ein klassischer Akkordeonist serbischer Herkunft, der in Estland zu Hause ist. Seine Ausbildung absolvierte er mit Auszeichnung an der serbischen Musikschule Kragujevac, zudem besitzt er einen Masterabschluss von der Musikhochschule Conservartorio della Svizzera Italiana in Lugano. Als Solist und Kammermusiker war Momir Novakovic bereits in der ganzen Welt zu Gast. Er gewann über 40 Preise bei internationalen Musikwettbewerben, darunter der Coupe Mondiale 2008 in Glasgow. Er hat bereits mehrere zeitgenössische Werke für Akkordeon uraufgeführt, wobei ihm immer daran gelegen war und ist, Estlands Originalliteratur für klassische Akkordeonmusik zu erweitern und zu bereichern. Heute ist er als künstlerischer Leiter und Mitbegründer des Akkordeonfestivals Estland „ACCORDIONF[est]“ aktiv und schreibt an der Musikhochschule in Tallinn seine Doktorarbeit. Als Dozent ist er außerdem an der Estnischen Akademie für Musik und Theater, an der Musikhochschule Heino Eller in Tartu und an der Lasnamäe Musikschule in Tallinn tätig. Sein Instrument ist eine Sonderanfertigung des „Extreme X“-Akkordeons von Scandalli.
Momir Novakovic hat sich der Erweiterung des klassischen Akkordeonrepertoires und der Zukunftsgestaltung in Bezug auf dieses Instrument verschrieben. Im Interview mit akkordeon.online spricht er über seinen Weg, seine Ansichten und seine Ziele.
Text & Interview: Araceli Tzigane, Fotos: Jake Farra; Übersetzung aus dem Englischen: Daniela Höfele
Momir, wie bist du zum Akkordeon gekommen und warum ist es genau dieses Instrument geworden?
Ich habe mit acht Jahren angefangen, Akkordeon zu spielen. Wie viele Kinder in Serbien wurde ich sehr von der traditionellen Musik des Landes beeinflusst und von der großen Beliebtheit, die das Instrument dort bis heute besitzt. Ich fing also ganz regulär an, denn die erste Klasse beginnt an öffentlichen Musikschulen in Serbien erst ab dem Alter von acht bis neun Jahren.
Mittlerweile lebst du in Estland, wo du sehr erfolgreich bist und unter anderem gleich an drei verschiedenen Institutionen unterrichtest. Bietet das Land besonders gute Bedingungen um sich eine Karriere im Bereich des klassischen Akkordeons aufzubauen, oder bist du aus anderen Gründen dorthin gekommen?
Nach Estland kam ich aufgrund bestimmter Lebensumstände, nicht in erster Linie wegen des Akkordeons. Aber das Land bietet definitiv eine der schönsten Umgebungen für das klassische Musikleben und seine Weiterentwicklung. Es gibt unglaublich viele Konzerte, und zahlreiche gute Musiker machen das Land zu einem perfekten Ort, um ständig dazuzulernen und sich künstlerisch weiterzuentwickeln.
Kannst du uns mehr über das Instrument erzählen, das du spielst? Es ist das Modell „Extreme X“ von Scandalli im italienischen Castelfidaro, eine Sonderanfertigung speziell für dich. Welche besonderen Anforderungen hattest du an das Akkordeon und warum hast du dich genau für Scandalli entschieden?
Die Spezialanfertigung beruht auf meinen persönlichen Vorlieben im Hinblick auf die Spielweise. Und es ist ein Modell mit drei Stimmen in der linken Hand, eine Doppel-8 und eine 2, und natürlich ist es ein Konzertinstrument in voller Größe. Derzeit überlege ich aber auch, ob ich mir ein Akkordeon nur mit melodischen Bässen anschaffen soll, da ich die Standardbässe sehr selten nutze.
Spielst du manchmal auch nicht-klassische Musik?
Ich habe schon viele unterschiedliche Musikrichtungen ausprobiert, sowohl während meines Studiums als auch danach. Das war vor allem Musik von Piazzolla und Musik aus der Region in Serbien, aus der ich komme. Ich mag wirklich alle Musikstile, mir hat das Ausprobieren verschiedener Richtungen immer großen Spaß gemacht und ich habe viel dabei gelernt.
Inwiefern hat sich die Rolle des Akkordeons in der klassischen Musikszene in den letzten Jahren weiterentwickelt?
Das kommt sehr auf die Region an. Meiner Wahrnehmung nach ist das Akkordeon in Deutschland und vor allem in Polen in der klassischen Musik sehr präsent und üblich. Wir sollten alle hart dafür arbeiten und dazu beitragen, die Rolle des Akkordeons in der klassischen Musik zu stärken. Dabei finde ich es wichtig, dass auch lokale Akkordeongemeinschaften, die selbst keine klassische Musik spielen, dies dennoch unterstützen, indem sie sich für die Förderung der klassischen Akkordeonmusik und der Anerkennung des Akkordeons als Standardinstrument im Ausbildungsbereich einsetzen.
Welche Akkordeonisten haben dich besonders beeinflusst?
Im Hinblick auf die klassische Musik haben mich tatsächlich eher Personen beeinflusst, die nicht aus dem Akkordeonbereich kommen. Auch wenn ich von Akkordeonisten-Kollegen ebenfalls immer viel gelernt habe. Aus der nicht-klassischen Akkordeonszene finde ich Art Van Damme, Ljubisa Pavkovic und Franz Marocco sehr beeindruckend.
Kannst du weitere Akkordeonisten empfehlen, die man nicht sich nicht entgehen lassen sollte?
Da gäbe es eine lange Liste, aber ich möchte an dieser Stelle einige Akkordeonisten der jüngeren Generation nennen: Ander Telleria, Vincent Lhermet und Samuele Telari.
Gibt es Komponisten, deren Musik du besonders gern spielst, und hast du ein bestimmtes Lieblingsstück?
Im Hinblick auf Transkritionen liebe ich Bach und Rameau, besonders die Bach-Partiten und Rameaus Suite in G-Dur. In Bezug auf Akkordeon-Originalliteratur gefällt mir alles von Gubaidulina.
In deiner Biografie heißt es, du konzentrierst dich derzeit auf die „Erweiterung und Bereicherung der estnischen Originalliteratur für klassisches Akkordeon“. Könntest du näher darauf eingehen, inwiefern du dich hier einbringst?
Meine wichtigste Aufgabe als Künstler sehe ich darin, dort, wo ich aktiv bin, originales Musikrepertoire für das Akkordeon zu schaffen. Ich bemühe mich sehr darum, Stücke in Auftrag zu geben und Komponisten dabei zu unterstützen, sich möglichst unkompliziert in die Welt des Akkordeons begeben und sich auf diese einlassen zu können. Dies geschieht auch durch unterschiedliche Aktivitäten wie die Organisation von Konzerten und Auftritten, sowohl für mich selbst als auch für andere, und dadurch, dass meine Konzertprogramme immer Werke estnischer Komponistinnen und Komponisten beinhalten.
Neben deiner Tätigkeit als Musiker bist du auch als künstlerischer Leiter des ACCORDIONF[est], des Akkordeonfestivals Estland, aktiv. Wie gehst du bei der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler sowie der Werke für das Festivalprogramm vor? Liegt der Schwerpunkt hier ausschließlich auf klassischer Musik?
Beim ACCORDIONF[est] liegt der Fokus auf klassischer Musik, aber auch auf Improvisationen auf dem Akkordeon mit freiem Bass-System, also zeitgenössischer Musik und Jazz. Meine wichtigste künstlerische Leitlinie ist, dass jedes Konzert eine Geschichte erzählen und eine hochwertige kreative Erfahrung bieten sollte – je „originaler“, desto besser. Ich lege großen Wert auf die einzigartige musikalische Sprache eines Künstlers und suche immer nach Möglichkeiten, einem Konzert einen passenden Rahmen zu geben.
Welche Träume oder Visionen hast du im Hinblick auf das Akkordeon und deine Musik? Wenn alles möglich wäre – von einem 100-köpfigen Akkordeonorchester bis hin zur Wiederauferstehung eines legendären Akkordeonisten für ein Duett: Lass deiner Phantasie gerne freien Lauf!
Mein größter Traum wäre, dass die Instrumententechnik standardisiert würde, ebenso wie die Ästhetik des Hochschulrepertoires.
Gibt es abschließend noch etwas, das du unseren akkordeonbegeisterten Leserinnen und Lesern mitteilen möchtest?
Besucht Estland, ihr seid herzlich willkommen!
Vielen Dank für das Interview!
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