Das Bandoneon an europäischen Universitäten und Musikhochschulen

Joaquin Alem stellt einige Möglichkeiten vor, in Europa das Bandoneon zu studieren und interviewte dazu drei erfahrene Lehrstuhlinhaber.

14. Januar 2022

Lesezeit: 11 Minute(n)

Interviews

Das Bandoneon an europäischen Universitäten und Musikhochschulen

Text und Interview: Joaquín Alem (argentinischer Komponist und Bandoneonist mit Wohnsitz in Deutschland) Fotos: Cristian Strina, Florence Jamart, Michele Reginali, Mercedes Cimadevilla

Das Bandoneon wird in den meisten europäischen Ländern immer bekannter, vor allem dank des Interesses großer Musiker am Werk des argentinischen Bandoneonisten und Komponisten Astor Piazzolla und am Hauptinstrument seiner Musik, dem Bandoneon in Rheinischer Tonlage (auch argentinisches System genannt). Zu diesen großen Musikern zählen etwa Gidon Kremer, Daniel Barenboim, Yo-​Yo Ma, Gary Burton, Chick Corea, Al Di Meola, Marta Argerich oder Mstislav Rostropovich. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Verbreitung des Bandoneons in Europa ist, dass der Tango als Tanz in Mode kam.
Speziell in Deutschland zeigt das Konzert- und Musikpublikum Interesse daran, etwas über die Geschichte des Instruments zu erfahren, zu wissen, wie es funktioniert, die verschiedenen Systeme wie die Rheinische Tonlage oder das Einheitsbandoneon kennenzulernen. Deshalb findet man in Büchern, Artikeln und Interviews eine Menge theoretischer Informationen darüber. Es gibt auch einige Bandoneon-​Museen, Restauratoren für alte Instrumente sowie Stimmer und Hersteller neuer Instrumente.
Im Gegensatz dazu sind praktische Erfahrungen mit dem Instrument eher rar – es gibt nur sehr wenige professionelle Spieler. Das liegt daran, dass das Instrument in Europa immer noch ein Exot ist. Es leidet unter einem gewissen „touristischen Blick“, der von Klischees und Fehlinformationen beeinflusst wird.
Aber nur die Praxis des Bandoneonspiels, des Musizierens mit dem Instrument, die künstlerische Auseinandersetzung an sich, kann uns diesen wunderbaren Klang nahebringen, der uns so sehr bewegt. Aus diesem Grund gibt es heute in einigen europäischen Ländern die Möglichkeit, Bandoneon zu studieren oder Erfahrungen mit dem Instrument an Instituten der höheren künstlerischen Ausbildung zu sammeln, und zwar auf verschiedenen Ebenen, für jedes Alter und mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Ursprung

Juan José Mosalini und César Stroscio, große Persönlichkeiten des Bandoneons und des argentinischen Tangos, waren die ersten wesentlich Verantwortlichen für den Unterricht des Bandoneons auf höherem Niveau in Europa. Bereits Ende der 1980er-​Jahre leiteten sie den ersten europäischen Bandoneon-​Lehrstuhl am Conservatoire Edgar Varèse de Gennevilliers in Paris.
Die meisten der führenden europäischen Bandoneonisten haben die Klasse von Juan José Mosalini durchlaufen, so z. B. der norwegische Bandoneonist Per Arne Glorvigen oder der niederländische Bandoneonist Carel Kraayenhof.
Das Konservatorium nimmt derzeit französische und ausländische Studenten auf, darunter Amateure, Profis und auch Kinder. Es hat vier Lehrer, darunter den Bandoneonisten Juanjo Mosalini (Sohn von Juan José Mosalini), und verfügt über 21 Instrumente, von denen fünf Bandoneons eine kindgerechte Größe haben. Es bietet auch die Möglichkeit, in „Orquestas típicas“ (4 Bandoneons, 4 Geigen, Cello, Bratsche, Klavier und Kontrabass) und in anderen Ensembles zu spielen sowie in Kursen zum Schreiben von Arrangements und zur Orchestrierung des Tangos mitzuwirken.

Fabio Furia
Fabio-Furia_Copyright-Michele-Reginali

Fabio Furia

Fabio Furia (Foto: Cristian Strina)

„Das Bandoneon ist ein wunderbares Instrument, das Übung und ­Aufrichtigkeit erfordert.“
Fabio Furia

Italien

Conservatorio di Música G. P. Da Palestrina di Cagliari

Fabio Furia ist europäischer Profibandoneonist und hat mehrere Projekte zur Verbreitung der Bandoneonpraxis in Europa ins Leben gerufen. Aus Sardinien berichtet er uns Folgendes über den Entstehungsprozess des ersten italienischen Bandoneon-​Lehrstuhls an der Musikhochschule Conservatorio di Música „G. P. Da Palestrina“ di Cagliari:

  • Wie entstand der Bandoneon-​Lehrstuhl am Konservatorium von Cagliari?

Wir begannen 2014 mit einem kostenlosen Kurs, für den kein eigenes Instrument erforderlich war und an dem Schüler aller Alters- und Leistungsstufen teilnehmen konnten.
Der Kurs war von Beginn an ein Erfolg. Wir hatten 20 immatrikulierte Studenten und innerhalb kurzer Zeit erwarben sechs oder sieben Studenten ein eigenes Instrument.
Das Angebot dauerte drei Jahre, und aufgrund seines Erfolgs beschloss das Ministerium 2018, den ersten offiziellen italienischen Bandoneon-​Lehrstuhl an der Musikhochschule G. P. Da Palestrina di Cagliari zu genehmigen.

  • Was umfasst der Lehrplan?

Der Lehrplan zielt darauf ab, die Schüler im Bandoneonspiel auszubilden, zusammen mit einer umfassenden allgemeinen musikalischen Ausbildung. Wir wollen, dass die Schüler zu Musikern werden, nicht nur zu Bandoneonspielern. Wir nähern uns verschiedenen Musikstilen wie der Klassik, der zeitgenössischen Musik und den verschiedenen Strömungen des Tangos.
Die Studenten, die diesen Kurs belegen, erhalten eine universitäre Ausbildung und müssen alle Fächer des Lehrplans belegen: Theorie, Geschichte, Harmonielehre, Kammermusik, Ethnomusikologie usw.

  • Welche Erfahrungen machen deine Schüler, die vom Akkordeon kommen?

Viele der europäischen Bandoneonspieler kommen vom Akkordeon. In vielen Fällen beginnen sie mit dem chromatischen Bandoneon (unisonor) und machen dann den Sprung zum bisonoren Bandoneon (argentinisches System). Ich selbst habe auch mit dem Chromatischen angefangen, aber meiner Meinung nach hat das Chromatische im Gegensatz zum Bisonoren viele Einschränkungen.
Obwohl das Bandoneon und das Akkordeon eine völlig unterschiedliche Technik erfordern, möchte ich, dass die Akkordeonschüler ihr Wissen nutzen, um das Bandoneon zu lernen. Das Akkordeon hat mehr Möglichkeiten als das Bandoneon in Bezug auf die Technik, ist aber im Ausdruck weniger vielseitig. Ich glaube, das ist der Grund, warum fast alle meine Schüler, die vom Akkordeon kommen, sich dann ganz dem Bandoneon verschrieben haben.

Fabio Furia
Fabio-Furia_Copyright-Michele-Reginali

Fabio Furia. Foto: Cristian Strina

Fabio Furia (Foto: Michele Reginali)

  • Woraus bestehen die Bandoneon-​Masterclasses in Iglesias, Italien?

Meine ursprüngliche Idee war es, ein Format zu entwickeln, das dem Bandoneon mehr Sichtbarkeit verleiht. Wir begannen mit einem kleinen Meisterkurs. Ab der vierten Ausgabe entwickelte ich zusammen mit meiner Partnerin Yvonne Hahn (Bandoneon-​Lehrerin am Konservatorium von Avignon) die Idee, unseren Erfahrungsschatz zu erweitern, indem wir den Meisterkurs einmal in Cagliari und einmal in Avignon stattfinden ließen.
Im Moment haben wir einen Stab von Gastlehrern, die an verschiedenen Aspekten des Instruments arbeiten: Technik, Stilistik, Spiel „à la parrilla“ (eine Form der Improvisation im Tango). Außerdem haben wir immer einen besonderen Gast – Legenden des Instruments und des Tangos wie Juan José Mossalini oder Daniel Binelli. An der letzten Veranstaltung nahmen 20 Bandoneonspieler aus der ganzen Welt teil – u. a. aus Korea, Europa und Argentinien.

  • Welche sind die typischen Schwierigkeiten beim Erlernen des Bandoneonspiels?

Wir hören oft, dass das Bandoneon ein extrem schwer zu erlernendes Instrument ist, aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Der Beweis ist, dass man nach einigen Monaten des Übens ein kleines zweihändiges Stück ohne Schwierigkeiten spielen kann. Das ist bei Geige oder Trompete z. B. nicht der Fall, denn diese Instrumente liefern in der Regel auch nach jahrelangem Üben noch kein zufriedenstellendes Klangergebnis. Es gibt Tangotänzer, die es schnell lernen wollen, ohne sich anzustrengen, aber das Bandoneon erfordert, wie jedes andere Instrument auch, Arbeit und Zeit zum Üben.

  • Welche Befriedigung hat dir das Bandoneonspielen gebracht?

Ich war von Beruf Klarinettist, hatte meine Laufbahn erfolgreich absolviert, und ich kann sagen, dass ich mit dem Bandoneon eine andere Welt entdeckt habe – in meinem Fall war das eine andere Art, Musiker zu sein und eine viel interessantere künstlerische und leitende Position zu erreichen.
Ich tue viel für die Verbreitung des Instruments, es gibt immer mehr Bandoneonspieler und wir kommen in Kontakt.
Ich habe immer daran geglaubt, dass es mehr Arbeit gibt, wenn es auch mehr Instrumentalisten gibt, dass mehr Möglichkeiten für Konzerte und Unterricht ausgeschöpft werden können, dass ein gebildeteres und interessiertes Publikum da ist und dass auch Wege gibt, um die Preise für die Instrumente zu senken. Es funktioniert wie eine Wertschöpfungskette, die nur Vorteile bringen kann.
Was mir nicht gefällt, ist, dass es Hochstapler gibt, die sich Bandoneonspieler nennen, aber keine Ausbildung haben – die auf den Trend aufspringen und den Informationsmangel des Publikums ausnutzen, um Geld zu verdienen. Das Bandoneon ist ein wunderbares Instrument, das Übung und Aufrichtigkeit erfordert. Es ist kein Instrument, das man nur für Libertango und Oblivion spielt.

Conservatorio di Musica Luisa D’Annunzio di Pescara

Ein ganz besonderer Bandoneon-​Lehrstuhl wurde kürzlich am Conservatorio di Musica Luisa D’Annunzio di Pescara von Daniele di Bonaventura eröffnet. Er ist Künstler des renommierten deutschen Labels ECM und bekannt für seine Zusammenarbeit mit Musikern wie Enrico Rava, Stefano Bollani, Dino Saluzzi, Frank Morocco, Jaques Morelenbaum, Ivan Lins (führende Persönlichkeiten der brasilianischen Populärmusik) und vielen, vielen anderen.
Dieser Lehrstuhl bietet eine wunderbare Gelegenheit für diejenigen, die das Bandoneon in Sprachen wie Jazz, Weltmusik und Pop erforschen möchten. Hier lernen sie von einem Musiker, der Erfahrung mit Improvisation und moderner Kammer- und Orchesterkomposition hat.

Santiago Cimedavilla. Foto: Mercedes Cimadevilla
Santiago Cimedavilla. Foto: Mercedes Cimadevilla

Santiago Cimedavilla. (Foto: Mercedes Cimadevilla)

„In Bezug auf das künstlerische Endergebnis ermutigen wir die Schüler, ihre eigenen Versionen, ihre eigenen Arrangements zu produzieren.“
Santiago Cimedavilla

Niederlande

Codarts

Die Hochschule für Musik Rotterdam (Codarts) hat die Besonderheit, dass sie über eine Weltmusikakademie verfügt, an der man einen Master in klassischer indischer Musik, Flamenco, lateinamerikanischer (kubanischer und brasilianischer) Musik, klassischer türkischer Musik, Pop und argentinischem Tango absolvieren kann.
Die Tangoabteilung von Codarts wurde 1993 von dem Bandoneonisten Leo Vervelde (seit mehr als 20 Jahren für die Koordination des Programms verantwortlich) und Carel Kraayenhof gegründet. Diese Abteilung hat auch eine sehr wichtige Rolle bei der Ausbildung von professionellen europäischen Bandoneonisten gespielt. Ihr erster künstlerischer Leiter war Osvaldo Pugliese, Schöpfer eines der wichtigsten und bedeutendsten Stile des argentinischen Tangos. Derzeit liegt die künstlerische Leitung bei dem argentinischen Pianisten und Komponisten Gustavo Beytelmann. Seit 2019 ist Santiago Cimedavilla einer der Koordinatoren des Programms und Bandoneonlehrer dieser Einrichtung. Santiago informiert uns über die aktuelle Situation des Master-​Studiengangs Bandoneón bei Codarts wie folgt:

  • Worin besteht der Aufnahmetest für den Master-​Studiengang Bandoneón der Tangoabteilung von Codarts?

Grundvoraussetzung ist ein Bachelor-​Abschluss in Musik in den Niederlanden oder ein gleichwertiger Abschluss in einem anderen Land der Welt. Es gibt keine spezifischen Repertoireanforderungen, die die Studierenden spielen müssen, da der Master im Gegensatz zum Bachelor viel individueller ist.
Konkret müssen die Bewerber eine persönliche Auswahl an aufgenommenen Werken vorlegen und eine klare Vorstellung von den Zielen ihres persönlichen Studienplans haben.

  • Welche anderen Repertoires werden neben dem traditionellen Tango und den Werken von Piazzolla behandelt?

Im ersten Semester arbeiten wir mit einem sehr breit gefächerten Repertoire, das vom Team vorgeschlagen wird, darunter Werke für Tango-​Orchester, z. B. von Néstor Marconi oder Julián Peralta. Im zweiten Semester konzentrieren wir uns auf die eigenen Ideen der Studenten. Zurzeit recherchieren und transkribieren Studenten das Werk von Eduardo Rovira.
Aus diesen Erfahrungen stellen wir die Programme für die Konzerte zusammen, die die Schüler am Ende des Jahres geben.

  • Welche Rolle spielt die Produktion von Arrangements, Transkriptionen und Kompositionen im Master-​Studiengang?

Eine grundlegende Rolle. Die ganze Arbeit mit dem klassischen Material ist Studien- und Forschungsarbeit, d. h., wir spielen die Werke von Troilo, Puigliese und Piazzolla, um die verschiedenen Stile, die Yeites (Tangotricks) oder die Interpretationsweisen zu verstehen.
Aber in Bezug auf das künstlerische Endergebnis ermutigen wir die Schüler, ihre eigenen Versionen, ihre eigenen Arrangements zu produzieren. In vielen Fällen gibt es Schüler, die völlig neues Material schaffen. Gustavo Beytelmann betreut die Produktion von Arrangements und Kreationen im Gruppen- und Einzelunterricht.

  • Gibt es Interaktionen zwischen den verschiedenen Abteilungen?

Jede Abteilung hat ein bestimmtes Fachgebiet, aber da wir uns alle im selben Gebäude befinden, spielt jeder mit jedem, was in der Praxis ständig geschieht. Es gibt auch einige spezielle Projekte, bei denen Studenten aus verschiedenen Fachbereichen zusammenarbeiten, z. B. habe ich als Codarts-​Student etwas Flamenco mit dem Bandoneon gespielt. Außerdem gibt es einige Studenten, die gleichzeitig in zwei verschiedenen Bereichen tätig sind.

  • Warum würdest du empfehlen, Bandoneon und Tango bei Codarts zu studieren?

Wegen des Kontextes und der Möglichkeiten des Austauschs mit anderen Stilen, wie z. B. dem Jazz, oder mit anderen Disziplinen, wie z. B. der Komposition zeitgenössischer klassischer Musik oder der Musik für Filme. Vor einigen Monaten waren wir mit meinen Studenten auf Sardinien, wo sie unter anderem die Gelegenheit hatten, Unterricht bei Juan José Mosalini zu nehmen.

Victor Hugo Villena Foto: Florence Jamart
Victor Hugo Villena Foto: Florence Jamart

Victor Hugo Villena. (Foto: Florence Jamart)

„Das Bandoneon beginnt, ein Instrument zu sein, das sich der Welt öffnet.“
Victor Hugo Villena

Frankreich

International Institute of World Music

Victor Hugo Villena war mehr als ein Jahrzehnt lang Bandoneon-​Lehrer bei Codarts und ist einer der führenden Lehrer der Bandoneon-​Szene in Europa. Er hat eine beträchtliche Anzahl von professionellen europäischen Bandoneonisten ausgebildet.
Derzeit unterrichtet er am Internationalen Institut für Weltmusik in Aubagne, Frankreich, und gibt uns von dort aus seine Sichtweise zu diesem Thema.

  • Was sind die Unterschiede zwischen deiner Arbeit bei Codarts und deiner jetzigen Arbeit beim IIWM?

Es handelt sich um zwei unterschiedliche Trainingsstile. Bei Codarts ist das Bandoneon Teil einer polymodalen Ausbildung, die zu einem Universitätsabschluss führt. Das Studium befasst sich mit allen Aspekten des Tangos und die Studenten müssen viele theoretische Forschungsarbeiten anfertigen.
Das IIMM in Aubagne, Frankreich, ist eine junge Einrichtung, an der ich beschlossen habe, Bandoneon zu unterrichten, wobei der akademische Aspekt des Instruments im Mittelpunkt steht und als notwendige Ergänzung das Studium des Tangos und anderer Stile.

  • Welche sind die wichtigsten Punkte, die sich Schüler aneignen müssen, um eine gute Bandoneon-​Technik zu entwickeln?

Ich will keine Maximen aufstellen, aber für mich ist die Beherrschung des Balgs das Wichtigste in der Entwicklung eines Bandoneonisten. Ein Bandoneonist, der schnell spielt, gefällt mir weniger als einer, der es versteht, öffnend und schließend zu spielen, ohne störende Geräusche und mit Eleganz. Wir spielen das Bandoneon wegen der Magie seines Klangs, und die kommt hauptsächlich von der Art, wie wir den Balg einsetzen.
Auch die Arbeit mit Tonleitern scheint mir von grundlegender Bedeutung zu sein, vor allem in der Rheinischen Tonlage, denn es ist notwendig, die Hand in jeder Lage zu trainieren. Dies kann nicht nur durch das Spielen von Repertoire in ausgewogener Weise geschehen, sondern es muss Schritt für Schritt vorgegangen werden, bis die Hand in jeder Region der Tastatur trainiert ist.

  • Wird in deinem Unterricht aktuelle Musik für Bandoneon behandelt?

Meine Idee ist es, die Bandoneon-​Musik möglichst vieler Komponisten unserer Zeit einzubeziehen, wie die von Amijai Shalev (Kanada-​Israel), Gustavo Beytelmann (Argentinien), Claudio Constantini (Peru), Martin Sued (Argentinien) oder Per Arne Glorvigen (Norwegen). Ich hoffe, dass die Liste der Komponisten bald noch länger wird, mit vielen Nationalitäten, neuen Farben und Visionen.

  • Wie funktioniert die Organisation des Unterrichts an der IIWM für internationale Studenten?

Das IIWM bietet zwei Möglichkeiten für Studenten aus dem Ausland an: Sie können entweder ein Online-​Coaching oder einen Diplomkurs absolvieren. Im letzteren Fall müssen die Studierenden aus dem Ausland zusätzlich zu ihren Online-​Stunden an mindestens zwei Workshops pro Jahr am Institut teilnehmen. Der Unterricht ist individuell und findet zweimal im Monat statt. Die bisherige Bilanz ist sehr positiv.

  • Was sind die häufigsten Gründe, warum deine Schüler mit dem Bandoneonspiel begonnen haben?

In den 20 Jahren meiner Lehrtätigkeit habe ich viele Gründe gehört, aber der am häufigsten genannte war und ist noch immer „weil der Klang mich berührt“.

  • Wie sehen Sie die Bandoneon-​Szene in Europa im Allgemeinen?

Die Bandoneon-​Szene in Europa ist gewachsen und wächst weiterhin rasant, es gibt nicht mehr nur zwei Konservatorien, die Bandoneonisten ausbilden, wie es noch vor zehn Jahren der Fall war. Die Bandoneon-​Professuren haben sich in mehreren Ländern vervielfacht: Italien, Finnland, Belgien, Spanien … Auch die Bandoneonisten haben begonnen zu verstehen, dass sie das Bandoneon nicht auf ein einziges Genre beschränken sollten – was zu einer Bereicherung der Sprache und Technik des Bandoneons führt.
Meiner Meinung nach erlebt die Bandoneon-​Szene erst jetzt, was mit dem Akkordeon in den 70er-​Jahren begann. Aber es gibt noch viel zu tun, um das Niveau der akademischen Entwicklung und der offiziellen Akzeptanz zu erreichen, das die Akkordeonisten haben.
Das Bandoneon beginnt ein Instrument zu sein, das sich der Welt öffnet, und ich hoffe, dass wir in 20 Jahren das Bandoneon mehr und mehr als „Musikinstrument“ hören werden und nicht nur unter dem reduzierten Etikett eines „Tango-​Instruments“.

Deutschland

Carl von Ossietzky ­Universität Oldenburg

Die meisten Menschen in Deutschland überrascht es zu hören, dass das Bandoneon ein Instrument deutschen Ursprungs ist und dass es vor dem Zweiten Weltkrieg ein sehr beliebtes Instrument war. Genauso wenig ist ihnen bekannt, dass es über ein besonderes System der Tastenorganisation verfügt, mit charakteristischen Klangfarben, mit einer spezifischen Spieltechnik und Nomenklatur und mit einem charakteristischen Repertoire.
Von der deutschen Bandoneon-​Kultur ist heute nur noch sehr wenig bekannt. Trotzdem hat sich am Institut für Musik der Universität Oldenburg eine Bandoneon-​Bewegung entwickelt, deren Aktivitäten Teil des Lehrplans der Musikstudiengänge sind.
Zwischen 2020 und 2021 unterrichtete ich selbst das praktische Seminar „Bandoneon (Einführung)“ sowie das Seminar „Komposition für Bandoneon, Streicher und Gitarren“.
Ich habe auch das Komponisten-​Colloquium „Musik unserer Zeit, das Bandoneon in meiner Musik“ geleitet, bei dem Persönlichkeiten wie Mauricio Kagel oder Krzysztof Penderecki aufgetreten sind, mit einer Präsentation von Originalwerken für Solo-​Bandoneon. 2022 werde ich das Seminar „Analyse“ fortsetzen, das ganz dem Werk des argentinischen Bandoneonisten und Komponisten Astor Piazzolla gewidmet ist.
Es gibt noch viel zu tun – wir bleiben dran!

Conservatorio di Música di Cagliari
https://www.conservatoriocagliari.it

Conservatorio di Musica di Pescara
https://www.conservatoriopescara.it

Codarts
https://www.codarts.nl

International Institute of World Music
https://iimm.fr/

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
https://uol.de/musik

Erstmals veröffentlicht in:

akkordeon magazin #81
Dezember 2021
Fotos: Cristian Strina, Florence Jamart, Michele Reginali, Mercedes Cimadevilla

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