Letztlich verhält es sich doch mit Musik wie mit dem Kochen. Varianten verschiedenster Gerichte, die auf einem kulturell erlernten Zutaten-Kanon aufbauen, vermitteln das Gefühl einer angenehmen Gewohnheit, die einen nicht nur vor Überraschungen, sondern auch vor herben Enttäuschungen bewahrt. Manchmal entfaltet sich die wahre Kulinarik allerdings erst, wenn man Dinge miteinander kombiniert, die zunächst einmal diametral entgegengesetzt erscheinen. Wenn das Akkordeon des Niederländers Dennis Weijers mit seinem Modular-Synthesizer in Dialog tritt, beginnt eine besondere Form des Energieaustauschs, welcher in der Lage ist, die Türen in eine Vielzahl neuer Klangwelten aufzustoßen.
Interview: Markus Thiel Fotos: Paulus van Dorsten, Milan van Zandwijk
- Kannst du uns etwas über deinen musikalischen Background erzählen? Wie hast du dich in die Musik und speziell in dein Hauptinstrument verliebt?
Ich fühlte mich bereits zum Akkordeon hingezogen, als ich noch viel zu jung für Unterricht war. Meine Großeltern gaben mir daher erst einmal alle Akkordeonmusik, die sie finden konnten. Hauptsächlich handelte es sich dabei um Platten von Die Kirmesmusikanten – einer Gruppe, die vor sehr vielen Jahren auch mal in Deutschland bekannt war. Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich eigentlich nur ans Musikmachen. Fußball und andere Spiele, mit denen sich „normale“ Kinder beschäftigen, waren eher nicht so mein Fall. Als ich alt genug war, bekam ich einen wirklich guten Akkordeonlehrer, Robert Baas. Er brachte mir das freie Bassspiel bei und zahlreiche zeitgenössische Musiker wie Stefan Hussong und Mie Miki näher. Als ich in die siebte Klasse und damit in die weiterführende Schule kam, führte er mich an Barock und moderne Musik wie Scarlatti und Solotarjow heran. Als 15-jähriger Teenager war ich dann so weit, mein Studium am Konservatorium zu beginnen. Dann infizierte mich die Rockmusik und ich begann, Hammond und Synthesizer in einer Band zu spielen.
Mit 24 schloss ich schließlich mein Studium am Konservatorium in Rotterdam ab. Ich verkaufte die Hammond, packte mein Akkordeon und meine Synthesizer ein und ging nach Berlin. Dort kam ich erstmalig intensiver mit der elektronischen Musik und den modularen Synthesizern in Kontakt. Plötzlich war da wieder dieses bekannte Gefühl, das ich 30 Jahre zuvor mit dem Akkordeon schon einmal gehabt hatte. Die Vielfalt an Sounds, die man damit erzeugen kann, ist einfach außergewöhnlich. Dazu sehen Modular-Synthesizer auch einfach extrem gut aus. Auf diesem Weg entdeckte ich auch die Berliner Schule mit Künstlern wie Klaus Schulze und Experimental-Musiker wie Pauline Oliveros. Schließlich verkaufte ich meine gewöhnlichen Synthesizer und begann viel zu arbeiten, bis ich mir endlich mein erstes Modular-System zusammenbauen konnte.
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- War die Kombination aus Akkordeon- und Modular-Synthesizer-Universum ein logischer Schritt für dich? Wie beeinflussen und bereichern sich diese beiden Welten gegenseitig?
Beide Instrumente entfalten für mich eine derartige Magie, dass es mir vollkommen logisch erschien sie zu kombinieren. Was die Modular-Synthesizer und Akkordeon unter anderem verbindet, ist die Tatsache, dass die meisten Menschen absolut keinen Schimmer haben, wie sie funktionieren! Für sie ist es nur eine Ansammlung von Knöpfen und Schaltern. Musikalisch gesprochen kann man keines der beiden Instrumente als zurückhaltend und entspannt bezeichnen. Sie sind beide auf ihre jeweils eigene Art sehr dominant, machen Eindruck, können schreien und dich überwältigen. Aber ihr Klang unterscheidet sich natürlich grundlegend – auf der einen Seite spannungsgesteuerte Oszillatoren und Verstärker, auf der anderen Seite Stimmzungen und ein Balg. Es ist wie ein Boxkampf zwischen zwei Giganten. Insofern kann sich eine Performance mit beiden schon einmal zu einer sehr intensiven Geschichte entwickeln.
Dabei versuche ich gar nicht erst, den Sound der beiden Instrumente so zu verändern, dass sie besser zueinander passen. Ich betrachte sie unabhängig voneinander und versuche auf diese Weise, ihre individuellen Stärken herauszuarbeiten. Es ist nicht so leicht, sie zu kombinieren. Ein Problem besteht darin, dass beide Instrumente aufgrund ihres reichhaltigen Obertonspektrums im Klang schnell sehr harsch werden können. Beim Synthesizer würde man hier üblicherweise mittels eines Low-Pass-Filters die hohen Frequenzen einfach wegschneiden, um das Tonsignal wärmer und runder zu gestalten. Mit dem Akkordeon klappt das so leider nicht. Zum Glück gibt es ja noch die Register, um den Sound heller oder dunkler zu färben.
@Modulation @Uncloud @Creative coding @Nijverheid_-32_Foto_Paulus van Dorsten
- Jedes deiner beiden Instrumente verlangt nach einem hohen Level an Spielfertigkeit und Kontrolle. Wie koordinierst du diese Symbiose – im Besonderen, wenn du komponierst?
Wenn ich Akkordeon spiele, kann ich meine Hände natürlich nicht gleichzeitig am Modular-Synth haben. Es gibt aber auch Parts, in denen ich kein Akkordeon spiele oder zumindest meine rechte Hand entbehren kann. Das sind die Momente, um an Knöpfen zu drehen oder Kabel zu stecken. Bei meinem aktuellen Programm Koyaanisqatsi hat das Akkordeon aber Priorität.
Die Töne des Modular-Synthesizers habe ich vorprogrammiert, sodass das System genau weiß, was es zu spielen hat. Timbre, Artikulation und Lautstärke des Modular-Systems müssen aber gleichzeitig auch dynamisch bleiben. Das ist sogar freihändig über einen sogenannten generativen Patch möglich. Ich möchte hier technisch nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es bedeutet, dass ich die Kabel zwischen den Modulen auf eine ganz besondere Art stecke, damit der Synth in der Folge seine Parameter unendlich variiert. Man ist also ein wenig vom Zufall abhängig. Das macht aber auch jede Menge Spaß, da der Synthesizer konstant Sounds erzeugt, mit denen ich zu keiner Zeit rechnen kann.
Ich entwickle außerdem ständig neue Techniken, um die Kommunikation und Interaktion zwischen Akkordeon und Modular-Synth zu intensivieren. Eines Tages könnte es dann möglich werden, komplett improvisierte Shows zu spielen. Aber wie gesagt arbeite und entwickle ich immer noch an diesem Konzept.
Testeq
- Was sind für dich die größten Herausforderungen bei einer Live-Performance?
Erst einmal: überhaupt zum Gig zu kommen. Als Epileptiker ist es mir verboten Auto zu fahren, das heißt, ich muss mein Equipment mit dem Fahrrad und dem öffentlichen Nahverkehr transportieren. Das ist sehr ermüdend und anstrengend. Aber zumindest bleibt man fit und gesund!
Was das Spielen selbst betrifft, ist da auch noch der technische Aspekt. Für meine Sets benötige ich fünf Netzteile, einen Computer, ein Audio-Interface, zwei Mikrofone und mehr als 70 Kabel. Wenn ein Kabel falsch steckt, kann einem das schon mal die gesamte Performance versauen. Ich habe mal ein Konzert per Livestream gegeben, bei dem meine Akkordeon-Mikrofone unbeabsichtigt stumm geschaltet waren. Die Signale der Mikros gehen normalerweise direkt in den Modular-Synthesizer, um den Sound des Akkordeons mit einem Effekt zu erweitern. Ich weiß nicht, ob den Zuschauern etwas aufgefallen ist, aber es lief zumindest nicht wie geplant.
- Gibt es bevorstehende Projekte oder Kollaborationen?
Ich arbeite eigentlich immer an vielen Dingen parallel. Zunächst einmal arbeite ich an meinem Debütalbum Accordion and Modular Synthesizer, welches ich auf Kassette veröffentlichen werde – ja, tatsächlich auf Band. Das Album enthält Stücke von Philip Glass und Steve Reich. Philip Glass veröffentlichte seine Originalaufnahmen 1982 ebenfalls ausschließlich auf Kompaktkassette, also dachte ich, dass das ziemlich gut passen würde.
Es gibt da aber etwas, was ich gerade noch viel aufregender finde, auch wenn sich alles in einem frühen Stadium befindet: Im April 2022 ist der 40. Jahrestag des Films Koyaanisqatsi. Ich performe bereits Teile dieses epischen Films live. Aktuell arbeite ich zusammen mit einem Freund, dem Gitarristen Thijs de Klijn, an der Umsetzung des Soundtracks mit Akkordeon, Modular-Synthesizer und E-Gitarre, den wir schließlich live zum Film aufführen möchten. Das bedeutet, dass wir die Musik inklusive Film in ausgewählten Theatern und Kinos präsentieren werden. Es ist ein riesengroßes Projekt. Wenn alles nach Plan läuft, wird die erste Show in der letzten Aprilwoche in Domplein, einem Stadtteil von Utrecht, in den Niederlanden stattfinden. Stay tuned!
Das Album Accordion and Modular Synthesizer von Dennis Weijers ist aktuell über Bandcamp und Streaming-Portale wie Spotify verfügbar.
Bandcamp: https://modularaccordion.bandcamp.com/album/accordion-and-modular-synthesizer
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