Andreas Hermeyer – einer der weltweit bedeutenden Akkordeonisten

Teil 1: Die Trossinger Jahre

30. Dezember 2022

Lesezeit: 11 Minute(n)

Sein feinsinniges Akkordeonspiel sowie eine gute Portion Humor führten zu musikalischen Freundschaften mit vielen bekannten Künstlerinnen und Künstlern – darunter Ulrich Tukur, Götz Alsmann, Nina Hoger, Botho Lucas, Hans Georg Brunner-​Schwer, und ganz besonders mit der Akkordeonlegende Hubert Deuringer. Die Rede ist vom 1964 im westfälischen Liesborn geborenen Andreas Hermeyer. Seit dem Akkordeonstudium an der Städtischen Musikschule in Trossingen (heute Hohner-​Konservatorium) Anfang der 1980er-​Jahre arbeitet er als konzertierender Künstler im In- und Ausland sowie als Musikpädagoge in Lippstadt und in Kiel. Werner Niehues, der 2021 verstorbene damalige Leiter der „Städtischen“ während Hermeyers Ausbildungszeit, äußerte sich später immer wieder begeistert zu Hermeyers CD-​Produktionen und verglich in einem Fall seinen Akkordeon-​Stil sogar mit dem eines frühen Hans Rauch. akkordeon-​magazin-​Autor Detlef Gödicke war selbst Studienkollege von Hermeyer, und dieses Interview mit dem „alten Freund“ wurde eine Zeitreise für beide.
Text: Detlef Gödicke Fotos: ­Archiv Andreas Hermeyer

Nehmen Sie Platz in Andreas Hermeyers „Lebens-​Zug“ – vielleicht haben Sie, wie der Autor selbst, schon zuvor mal darin Platz genommen – und genießen Sie die Fahrt!

  • Wann hatten Sie einen ersten Kontakt zum Instrument Akkordeon?

Andreas Hermeyer: Mein Vater hatte von seinem Vater einen recht großen Handwerksbetrieb übernommen, war darüber hinaus aber auch künstlerisch begabt und malte Ölbilder. In meiner Geburtsgemeinde Wadersloh-​Liesborn hängen noch viele „Hermeyer“ meines Vaters an den Wänden ( lacht).

  • Angeblich hängen auch einige seiner Batiken in Trossingen.

Stimmt, es gab von ihm sogar ein Bild des berühmten Clowns Grock, und Lars Andersen, ein Studienkollege von mir aus Norwegen, gab prompt eine Großbestellung an meinen Vater raus und schickte sie in den Norden, so sehr gefiel ihm die Batik.

  • Da fehlt aber noch der Musikbezug zum Vater …

Er spielte als Jugendlicher, um sich Geld dazu zu verdienen, in einem Tanzensemble Akkordeon und Geige. Für meinen fünf Jahre älteren Bruder kaufte er eine Hohner Lucia IV P. Mein Bruder bekam Unterricht und das Akkordeon stand bei uns im Haus. Dann wurde die E-​Orgel in den 1970ern populär, und mein Bruder wollte solch ein Instrument. So kam eine Farfisa in unser Haus; er spielte die dann, und ich als jüngerer Bruder lernte dann im Alter von acht Jahren Akkordeon, auf der viel zu großen Lucia … widerwillig!

  • Wie waren Ihre ersten Unterrichtserfahrungen als Musikschüler?

Mein erster Lehrer war eigentlich Klarinettist, unterrichtete nebenbei auch Akkordeon an der Kreismusikschule Beckum-​Warendorf und konnte mich überhaupt nicht motivieren. Nach einem Jahr wechselte er zu einer anderen Musikschule, für mich damals ein willkommener Anlass, meinen Eltern den Satz zu präsentieren: „Der Musiklehrer geht, ich geh jetzt auch!“ (lacht)

  • Und die Reaktion Ihrer Eltern?

Sie haben meinen Wunsch akzeptiert; allerdings verlangte mein Vater von mir, dem neuen Lehrer eine Chance zu geben, und so ging ich noch einmal zum neuen Lehrer.

  • Mit welchem Ergebnis?

Der neue Lehrer hieß Josef Röttger, er hatte neben sich im Unterrichtsraum eine Hohner Morino V M stehen. Er spielte etwas vor, und von dem Moment an war ich verzaubert. Wir saßen vor ihm in einer Dreiergruppe und jeder spielte etwas. Röttger lobte uns – was es vorher nicht gab – und mir war klar: Ich mache weiter. Es ging so weit, dass ich geweint habe, wenn wegen Krankheit eine Unterrichtsstunde ausfallen musste.

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Andreas’ Lehrer Josef Röttger

  • Wie ging es weiter?

Es wurde immer intensiver. Nach einigen Jahren hatte Josef Röttger die Idee, ein Chromonica-​Trio ins Leben zu rufen. Es gab schon seit den 1950er-​Jahren diese Trios, die teilweise mit großem Erfolg unterwegs waren – ein Beispiel: das Trio Herold. In diesem Trio spielte Josef die Solo-​Chromonica, ich eine Akkord- und mein zwei Jahre älterer Freund Raimund Haverkämper Bass-​Chromonica. Wir probten eifrig und meldeten uns eines Tages für einen Landeswettbewerb NRW in Oberhausen an. Ich war gerade zarte 13 Jahre alt. Wir fuhren dorthin, ohne an einen Erfolg zu glauben, und kamen mit dem Meistertitel und einem Pokal nach Hause.

  • Das Ende der Akkordeonkarriere?

Nein, im Gegenteil. Ich trat in Röttgers Akkordeonorchester ein, welches sich trotz des Sitzes in Oelde auch Hohnerklang nannte. Josef war mit Helmut Herold eng befreundet, hatte in Trossingen studiert, Unterricht dabei auch bei Hans Rauch, und gab seinem Orchester in Oelde Herold zu Ehren den gleichen Namen. Bis zu dem Beginn meines Studiums in Trossingen war die Zeit bei Röttger sozusagen meine „musikalische Wiege“.

  • Hatten Sie Abitur gemacht?

Nein, ich stand vor der Entscheidung: Oberstufe mit Abitur oder Musikstudium. Schule war mir immer ein Graus. Mein Vater schlug eine Banklehre vor, aber ich wollte wie mein Vorbild Josef Röttger Akkordeon in Trossingen studieren. Ich war erst 16 Jahre alt; mein Vater meinte, ein Studium in dieser Entfernung käme gar nicht infrage. Aber ich wollte unbedingt nach Trossingen, denn ich hatte durch die vielen Erzählungen Röttgers über Hans Rauch, Rudolf Würthner, Helmut Herold und Hubert Deuringer einen unbändigen Drang dorthin. Mein Vater schlug Dortmund als Studienort vor, der dortige Professor war sogar Studienkollege von Röttger, aber ich wollte da nicht hin.

  • Und wie kam es dann letztendlich doch zu Trossingen als Studienort?

Wir wollten in den Urlaub in die Schweiz fahren, fuhren über Trossingen und blieben dort drei Tage. Röttger hatte organisiert, dass wir dort Hans Rauch treffen konnten. Wir trafen uns in Bad Dürrheim, wo er damals wohnte, an einem Vormittag in der Metzgerei Härle und es entwickelte sich ein sehr nettes Gespräch. Rauch lud uns in der Folge zu einem Konzert am gleichen Abend ein, er leitete das Triberger Akkordeonorchester und gab in der Triberger Festhalle ein Jubiläumskonzert. Hans Rauch leitete die Veranstaltung derart souverän, dass mein Vater völlig begeistert von seiner Person war. Rauch hatte meinen Eltern mächtig imponiert und die Sympathie für den Studienort Trossingen rückte immer näher (lacht).

Mein Akkordeonlehrer spielte mir etwas vor, und von dem Moment an war ich verzaubert.

  • Kam dann gleich die Anmeldung?

Nicht ganz. Wir fuhren zunächst am nächsten Tag in die Städtische Musikschule und sprachen im Sekretariat mit Gisela Blickle, heutige Huonker. Gisela war derart nett, dass nach dem Gespräch eigentlich alles klar war. Allerdings kam ich an einer Aufnahmeprüfung nicht vorbei.

  • Wie lief die Aufnahmeprüfung?

Ich spielte mehr schlecht als recht den ersten Teil der Paganiniana von Hans Brehme – offensichtlich aber wiederum auch nicht so schlecht, denn ich bekam eine Benachrichtigung, dass man mich in die Seminar-​Vorklasse aufnehmen würde. Das war im Frühjahr 1980. Ich war wohl in der Warteliste für das reguläre Studium ganz oben und bekam sechs Wochen später die Benachrichtigung, dass ich aufgrund einer Absage doch schon regulär mit dem ersten Studiensemester beginnen könne. So konnte ich nach den Sommerferien 1980 loslegen.

  • Was bedeutete Seminar-​Vorklasse?

Wer sich an der Städtischen Musikschule in Trossingen für ein Musikstudium anmeldete, musste zunächst eine Aufnahmeprüfung in Form eines Vorspiels vor den Dozenten absolvieren. Wer gut genug war, wurde für das erste Semester angenommen, wer nicht, wurde abgewiesen. Es gab aber auch noch eine Zwischenstufe. Sollten die Dozenten ein gewisses Talent erkennen, konnte es durch die Seminar-​Vorklasse im Hause weiterentwickelt werden, um zum nächsten Semester den Sprung in das reguläre Studium nach erneutem Vorspiel zu schaffen. Aus heutiger Sicht eine gute Idee, Talente zu fördern und letztendlich ein Musikstudium zu ermöglichen.

  • Sie waren noch minderjährig, als Sie das Studium begannen?

In der Tat, es war für mich wie ein Sprung ins kalte Wasser, ich war ja erst 16 Jahre alt und man war zu der Zeit erst mit 21 Jahren volljährig. Alexander Jekic und ich waren damals die jüngsten Studierenden am gesamten Institut. Bei mir zu Hause war ich der „große Star“ auf dem Akkordeon und in Trossingen merkte ich auf einmal, dass ich eigentlich ganz klein war. Meine erste kalte Dusche kam, als ich dem Seminarorchester von Fritz Dobler zugeteilt wurde. Alle Neulinge sollten dem Orchester etwas vorspielen. Ich spielte die Ball-​Szene von Hellmesberger und wurde anschließend von Dobler nach Strich und Faden niedergemacht, mein Fingersatz wäre eine einzige Katastrophe und so weiter. Ich war am Boden zerstört.

Chromonica-Trio Röttger - Kopie (2)

 

Chromonica-Trio Röttger

  • Wie war Ihre Reaktion?

Ich saß abends bei meinen Eltern, die sich im Hotel Schoch einquartiert hatten, meine Mutter weinte und meinte zu meinem Vater: „Wir können doch den armen Jungen hier jetzt nicht allein lassen!“ Natürlich war ich innerlich bedrückt, weil ich zum ersten Mal zu hören bekam: „Du kannst ja nix!“ Andererseits habe ich ihnen klargemacht, dass ich das jetzt durchziehen wollte. Ohne es direkt meinen Eltern zu sagen, war ich auch froh, endlich auf eigenen Füßen stehen zu können. Meine Eltern blieben eine Woche, dann reisten sie ab. Von meinem Onkel habe ich später erfahren, dass meine Mutter noch lange brauchte, um die Situation akzeptieren zu können.

  • Erinnern Sie sich noch an den ersten Abend allein in Trossingen?

Ja, meine Eltern waren weg und ich traf abends auf Arno Hupprich und andere Studierende. Die kamen gerade aus dem Lokal Germania, und Arno lud mich ein mitzukommen – ich wäre doch „der Neue“ –, sie wollten noch zu ihm gehen. Danach hieß es „hoch die Tassen“, und ich war sofort mittendrin (lacht).

Danach hieß es ‚hoch die Tassen‘, und ich war sofort mittendrin.

Andreas 1979 / Abschluss-Semester 1983, Dritter v. rechts

  • Wo haben Sie damals gewohnt?

Ich wohnte in der Eberhardstraße in einem Gebäude ganz in der Nähe des Hotels Schoch. Es gehörte einem Fabrikanten namens Ritzi. Er hatte das Haus gekauft, die drei Stockwerke hergerichtet und nun vermietete er sie an Studierende. Ich hatte die Wohnung im ersten Stockwerk. Angelika Obele, die spätere Frau von Alexander Jekic, wohnte direkt über mir und in der Dachwohnung Thomas Svechla, unsere Freundschaft besteht nun seit über 40 Jahren. Klaus Link war ebenfalls Mitbewohner, und im Erdgeschoss wohnte Lothar Harnack, der elektronische Orgel an der Städtischen studierte. In dem Haus blieb ich bis zum Ende meines Studiums. Meine Miete betrug 260 Mark warm mit allen Nebenkosten.

  • Warum lachen Sie gerade?

Ich erinnere mich an einige Szenen mit Lothar. Er fuhr ein recht ausladendes Auto mit Karlsruher Kennzeichen, war eng mit Hans Rauch befreundet und oft mit ihm unterwegs zum „Bären“ in Schura. Sonntagabends kam Lothar dann mit seinem Schlitten – Fenster offen, Zigarette im Mundwinkel, auf die Uhr schauend, was bedeutete: „Gehen wir noch einen trinken?“ – wieder bei uns vorgefahren, ich sag nur: „Wunderbar!“

  • Wer war Ihr Dozent für Akkordeon?

Das war Hans Rauch. Ich kam vom Röttger, da war es wohl klar, dass Rauch nun auch mein Dozent werden sollte.

  • Ich habe damals wahrgenommen, dass es zwei Gruppen von Dozenten gab: die eher volkstümlichen und die progressiv modernen. Wie haben Sie das empfunden?

Es gab die Akkordeon-​Stars der 50er- und 60er-​Jahre – Hans Rauch, Karl Perenthaler und Hubert Deuringer –, und dann gab es die jungen Dozenten Jozef Bugala, Silvia Wenke und Hans-​Käre Jacobsen. Hans Rauch meinte einmal bei einem Treffen im „Bären“: „Hubert und ich fahren im Mercedes vor, andere kommen mit einer Ente!“

  • Können Sie in kurzen Worten sagen, was Sie bei Hans Rauch gelernt haben?

Das ist nicht einfach zu formulieren. Dieses Vorbild der alten Trossinger Schule, was Trossingen für mich ausmachte, haben in meinen Augen Menschen wie Hans Rauch, Rudolf Würthner – den wir leider nicht mehr kennenlernen konnten –, Karl Perenthaler oder Hubert Deuringer verkörpert. Wenn ich Hans Rauch auf seiner wunderbaren Gola in der Studentenklasse vorspielen hörte, war das für mich Inspiration genug. Fingersätze konnte ich mir für mein Spiel nach und nach auch selbst herausarbeiten. Ich durfte die Spielkultur erleben, wenn sie Akkordeon spielten, das war für mich genug.

  • Sie hatten genauso wie ich auch zweimal monatlich Unterricht bei Hubert Deuringer. Erzählen Sie davon.

Er war unnahbar und auch unnachgiebig, gefiel ihm etwas nicht ließ er verlauten: „Das ist Scheiße, was Sie da spielen, für so etwas ist mir meine Zeit zu schade!“

  • Was haben Sie für sich als Erfahrungswerte daraus gezogen?

Für mich waren Momente wie der Unterricht bei Deuringer bedeutender als die, ich nenne sie mal: akademischen Unterrichtsstunden der jungen Dozenten-​Generation. Ich war für diese Art des Akkordeonspiels sehr zugänglich und bin auch damit groß geworden. Ich möchte andere Wege zum guten Akkordeonspiel nicht bewerten, es hängt sicherlich auch damit zusammen, wie man in jungen Jahren sozialisiert worden ist.

  • Haben Sie in der Vergangenheit Wertungsspiele wie die Coupe Mondiale oder den Internationalen Akkordeonwettbewerb Klingenthal besucht?

Ja, ich erinnere mich an Stefan Hussong, den ich als Musiker sehr schätze, als er 1983 den Hugo-​Hermann-​Wettbewerb in Trossingen gewann. Er wurde damals gefeiert, und ich habe innerlich mitgefeiert. In der Reflektion glaube ich, damals schon ein Gefühl entwickelt zu haben, wer wirklich schön spielen kann, schön im Sinne von ästhetisch. Viele Jahre später bekam ich einen Brief von Werner Niehues, in dem er sich über meine zweite veröffentlichte CD in ähnlicher Weise äußerte und meine ästhetische Klangkultur betonte. Das erfüllt mich heute noch mit Stolz. Beim Lesen kamen mir damals die Tränen vor Rührung.

Hubert und ich fahren im Mercedes vor, andere kommen mit einer Ente

  • Wie stehen Sie zur modernen avantgardistischen Akkordeonmusik?

Mein Anspruch an die Ästhetik beim Akkordeonspiel hat nichts mit der Komposition an sich zu tun. Ich war damals genauso begeistert von Mie Miki, Hugo Noth oder Stefan Hussong, sie konnten in meinen Augen Akkordeon spielen, weil sie diese ästhetische Klangkultur beherrschen. Ich will es noch anders formulieren: Man kann eine musikalische Darbietung aufgrund der Virtuosität bewundern und bestaunen, oder man wird davon im Herzen berührt. Beides zugleich zu erleben ist das Optimale. Ich bin allerdings bei diversen Darbietungen oft nur beeindruckt, nicht berührt, und die Frage lautet: Was zählt mehr?

  • Und was bedeutet für Sie Virtuosität?

In meiner Jugend war Rudolf Würthner für mich der König der virtuosen Akkordeonspieler; mein Lehrer Josef Röttger nannte ihn mir gegenüber mal den „größten Akkordeonspieler aller Zeiten“. Ein namhafter, bedeutender Akkordeonist heutiger Zeit fand es in einem Interview nicht wichtig, Würthner mit Namen zu benennen, sprach lediglich von jemandem, der sein Instrument seitenverkehrt gespielt habe. Ich fand das etwas schade, denn für mich hat Würthner auch eine großartige Klangkultur für Akkordeonorchester geschaffen, die es durchaus wert ist, erwähnt zu werden. Wenn ich mal im Radio Originalmusik für Orchester, z. B. Aufforderung zum Tanz von Carl Maria von Weber, hörte, stellte ich mir als Jüngling immer den Solisten Rudolf Würthner am Akkordeon vor. Diese Projektion eines Orchesterklangs auf das Akkordeon habe ich mir bis heute bewahrt. Ich versuche bis heute, in meinem Spiel das Akkordeon wie ein Orchester zu behandeln und dessen Klangfarben nachzubilden.

  • Haben Sie einen Tipp „aus der Hüfte“?

Gerne. Sanfte Streicher bilde ich mit einem flachen Tremolo bei geschlossener Jalousie (Gola) im Diskant nach.

  • Zurück zur Studienzeit. Mit welchem Instrument spielten Sie beim Vorspiel an der Städtischen?

Mit einer Hohner Morino V N aus der Zeit mit Josef Röttger. Zuvor lernte ich auf einer Hohner Lucia IV P. Röttger kam eines Tages aus Trossingen zurück und brachte von Ernst Kratt, den man in Szene-​Kreisen auch „Tschess“ nannte, das Instrument mit. Meine Eltern hatten später Ernst kennengelernt und sich sofort mit ihm angefreundet. Ich habe noch Fotos eines legendären Abends in der Trossinger „Linde“: mit „Bier-​Wilhelm“ Messner, Ernst Kratt, meinen Eltern und mir. Röttger klingelte noch am Abend der Rückkehr aus Trossingen bei meinen Eltern und überfiel sie geradezu mit seinem Besuch und dem Spruch an der Tür: „Euer Junge braucht eine Morino!“ (lacht)

  • Wie war die Reaktion Ihrer Eltern?

Sie waren zunächst empört! Es war ein wenig so, als wenn er meinen Eltern am späten Abend ohne Vorwarnung erzählen wollte, es wäre Zeit für einen Porsche für den Jungen. Letztendlich haben meine Eltern ihn reingelassen. Das Instrument wurde ausgepackt, ich durfte darauf spielen und meine Eltern waren überzeugt. Ich war damals 14 Jahre alt und zum Glück groß genug, das Instrument überhaupt „wuppen“ zu können. Als nach der Aufnahmeprüfung in Trossingen klar war, dass ich angenommen werde, kam dann eine Hohner Morino VI N mit vorgelagertem Melodiebass-​Manual.

  • Wann und wie bekamen Sie eine Hohner Gola?

Kurz vor Ende meiner Trossinger Zeit tauchte die Frage auf, welches Instrument ich denn nun für meinen weiteren Weg brauchen würde. Ich wollte allerdings kein M3-​Instrument – wenn, dann eine Gola mit Standardbass-​Manual. Ich hielt den Wunsch innerhalb der Städtischen außer bei engen Freunden verborgen, um unangenehme Fragen aus der „Melodiebass-​Fraktion“ zu vermeiden. Aber ich wollte den Mainstream an der Städtischen nicht, denn ich wusste, meine musikalische Ausrichtung würde woanders hingehen. Außerdem störte mich das Gewicht des „Riesenkastens“. Mein Traumakkordeon war immer die Hohner Gola von Hans Rauch mit nur fünf Reihen im Bass: ein handliches Instrument, das man einfach mal so hochnimmt und spielt.

  • Wie hat ein Virtuose wie Hans Rauch die fehlende sechste Knopfreihe im Bass-​Manual kaschiert?

Er hat sein Spiel mit der linken Hand raffiniert geändert und Akkordknöpfe so miteinander kombiniert, dass verminderte Akkorde dabei herauskamen.

  • Und wo kam nun Ihre persönliche Hohner Gola her, die Sie noch heute spielen?

Die brachten meine Eltern mir kurz vor meinem Examen mit nach Hause, sie hatten sie, bei Ernst Kratt gekauft. In Trossingen benötigte ich für das Examensvorspiel ohnehin noch das Morino-​M3-​Instrument. Zu Hause im stillen Kämmerlein spielte ich dann nur noch die Gola und durfte im übertragenen Sinne dort schon ein wenig „Porsche fahren“ (lacht).
Teil 2 folgt …

Ich versuche bis heute, in meinem Spiel das Akkordeon wie ein Orchester zu behandeln (…).

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