INTERVIEW: EVA GEIGER-HASLBECK, ANDREA IVEN
TEXT: EVA GEIGER-HASLBECK FOTOS: PHILIPP BROMBERGER, FABIO LOVINO
Ein wunderschöner Abend Ende Mai. Der Nürnberger Serenadenhof sieht ein wenig aus wie eine Kulisse aus der Cinecittà: Wilder Wein rankt an den Wänden des Innenhofs der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Aus alten Mauern sprießt üppiges Grün, die Luft flirrt. Und dann wird der Ort auf einen Schlag erfüllt von dem mitreißenden Groove einer Jazzband. Einer Jazzband die, wie wir später lernen werden, leidenschaftlich gerne und sehr virtuos Schlager spielt. Im allerbesten Sinne! Mit „Sag mit Quando, sag mir wann“ beginnt Götz Alsmann sein Nürnberger Konzert der Tournee „In Rom“. Seit Mai 2017 spielt der Münsteraner diese fulminante Revue voller Canzone, italienischer Schlager, Tanznummern. Das gleichnamige Album schließt eine Trilogie meisterhaft produzierter Alben mit Evergreens aus verschiedenen Musikmetropolen ab: Alsmann war in Paris, am Broadway und schließlich in der italienischen Hauptstadt. Mitgebracht hat er ein vielschichtiges Repertoire an Gassenhauern, allesamt mit deutschen Texten. Das Publikum im Serenadenhof ist hingerissen: von der lässig groovenden Band, besetzt mit Vibraphon, Schlagzeug, Percussion, Bass und natürlich Alsmann selbst am Klavier; von den nonchalanten Ansagen und Anekdoten, die der Entertainer zwischen den Stücken einstreut; und, natürlich, von den Liedern selbst, die den meisten der Zuhörer – ob jung oder alt – noch lange fröhlich im Ohr hängen werden. Alsmann schöpft aus einer Art musikalischer DNA, die alle gemeinsam zu haben scheinen. Die Stücke sind allesamt bekannt, aber in der Neuinterpretation überhaupt nicht ausgelutscht.
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Vor dem Konzert hat Götz Alsmann sich Zeit für ein Gespräch mit dem akkordeon magazin genommen.
- Herr Alsmann, man kennt Sie aus Funk und Fernsehen – aber die Musik, so scheint es, war immer ein wichtiger Teil Ihres Lebens. Richtig?
Musik war eigentlich das Einzige, was mich wirklich interessiert hat. Neben der Archäologie vielleicht. (lacht) In all den Jahrzehnten meines beruflichen Schaffens war es auch so, dass der Beruf des Musikers einfach den größten Zeitanteil ausgemacht hat. „Zimmer frei“ zum Beispiel, eine Fernsehsendung, die in Spitzenzeiten 42 Folgen pro Jahr hatte – das waren maximal 35 Arbeitstage. Bleiben noch 330 Arbeitstage. Dazu kam natürlich der Hörfunk, das Radio, aber es ist doch immer die Musik gewesen, die die größte Zeit beanspruchte.
- Auch vom Herzen her?
Ja. Keine Frage. Auch das Sichbeschäftigen mit Musik, das Notenschreiben, das Songschreiben, all diese Dinge. Das liegt mir schon sehr.
- Musik und Archäologie sind Ihre Leidenschaften. Sie haben ja Musikwissenschaft studiert. Ein schöner Brückenschlag – die Archäologie der Musik?
Was mich abgehalten hat von der Archäologie war gar nicht die Musik, sondern die Tatsache, dass ich die alten Sprachen, außer Latein, nicht wirklich gelernt hatte; und auch das hatte ich nicht wirklich gelernt. Mir war aber klar, dass das die Voraussetzung war. Die Musik war in der Hinsicht klarer Sieger. Ich habe ja auch schon sehr, sehr früh angefangen, professionell Musik zu spielen. Meine erste Tournee machte ich mit 15 Jahren, die erste CD mit 17, jetzt bin ich 61. Sie können sich vorstellen – wir reden hier von 1972, 1974 – wie viele Kriege hat es seit damals gegeben, Umweltkatastrophen, Schicksalsschläge …? Und immer war die Musik das, was ich unbedingt machen wollte. Auch auf der Bühne. Wenn ich ein neues Instrument erwarb oder geschenkt bekam, dann sah ich zu, dass ich spätestens ein Jahr später damit auftrat. Es war mir unerträglich, zur Hausmusik verdammt zu sein.
- Ist das der Entertainer, der da rauswill? Nicht wie Glenn Gould – sich wochenlang im Studio einschließen?
Na klar. Ich finde Glenn Gould faszinierend, habe aber für seine Herangehensweise keinerlei Verständnis. (lacht)
- Wie fing das eigentlich an, mit dem Musizieren?
Wie die meisten kleinen Kinder habe ich auch mit der Blockflöte angefangen. Die Eltern wollten ja sehen, ob das dann auch funktioniert und der Junge dabeibleibt, bevor man sich ein Klavier anschafft. Und nach einem Jahr Blockflöte kam dann tatsächlich das Klavier ins Haus. Zu meinem zwölften Geburtstag habe ich mir dann einen Wunsch erfüllt, das Banjo. Das war ein sehr ungewöhnlicher Wunsch 1969, das Instrument war nicht sehr publik, hatte es mir aber angetan. Vom Banjo aus kam ich dann auf die Mandoline, und letztlich kamen, eines nach dem anderen, die Saiteninstrumente an die Reihe, die ich mir alle autodidaktisch beibrachte. Autodidaktisch bedeutet auch zeitintensiv. Wobei natürlich die Quintenstimmung der Mandoline der Quintenstimmung des Tenorbanjo sehr entgegen kam. Einfach fünf Töne höher rechnen, dann ging das schon. Irgendwann kam auch die Gitarre dazu, aber ich sehe mich am allerwenigsten als Gitarrist. Mit Ausnahme der Hawaiigitarre, mit der mich eine, wie ich immer sage, tiefe, aber unerwiderte Liebe verbindet. Denn das ist ein Instrument, mit dem ich mich trotz großen Zeitaufwandes und großer Zuneigung sehr schwertue, weswegen ich es auch nicht live auf der Bühne spiele.
- Wann kam das Akkordeon dazu?
Das Akkordeon kam dazu, als ich ungefähr 16 war. Eigentlich ein natürlicher Schritt vom Klavier; ich hatte auch immer wieder die Gelegenheit, mich am Akkordeon zu versuchen. Mein erstes eigenes Akkordeon kaufte ich mir mit 16, auf einem Trödelmarkt. Das war eine Hohner MS Tango II, und die habe ich tatsächlich noch gespielt bis in die 1990er-Jahre hinein, also über 20 Jahre. 1997 schenkte mir meine Frau zu meinem 40. Geburtstag auf meinen Wunsch hin eine Paolo Soprani. Ich war nämlich fasziniert von diesem extrem aggressiven Klang des Musette-Registers. Das darf man ja ohne Waffenschein gar nicht spielen! Leider hatte es kein Casotto-Register. Da kam dann später eine Hohner Morino dazu, für die entsprechenden Aufnahmen.
Dann habe ich noch ein Akkordeon, das ich oft auf Tournee mitnehme oder auch für kleinere Fernsehaufgaben nutze. Eines, das schnell angezogen ist. Das ist ein Instrument aus den frühen 1950er-Jahren, aus Zwickau, bevor die ganzen DDR-Instrumentenbaumanufakturen zwangskollektiviert wurden. Das habe ich in Köln bei Herrn Rheinländer gekauft, er hat dort seine Akkordeonwerkstatt. Das sind meine drei Akkordeons momentan.
Hohner hat dann vor Kurzem meine Morino auf Vordermann gebracht. Für die Studioarbeiten in Rom musste noch etwas daran gebastelt werden. Glücklicherweise wurde das perfekt gerichtet.
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Der Nürnberger Serenadenhof ist eine traumhafte Kulisse für das „In Rom“-Programm
Auf der „In Rom“-CD sind beide Akkordeons zu hören, die Soprani und die Hohner. Das Musette-Register kommt von der Soprani, das jazzhafte Cassotto kommt von der Hohner.
- Warum spielen Sie die Akkordeons momentan nicht auf der Bühne?
Weil sonst niemand Klavier spielt. Das Klavier ist der Hauptträger des Programms. Wir sind ja im Grunde eine Jazzband, die Schlager spielt. Ein Jazztrio plus ein Pianist und ein Schlagwerkspieler. Und wenn das Klavier wegfällt, brauchen Sie einen harmonischen Träger. Wir haben ein Stück, da spiele ich Mandoline, da macht es das Vibraphon – aber das ist kein Konzept, das jemals einen Abend tragen würde. Ich sage das jetzt nicht gerne, aber wir sind ja als Jazzband mit Schlagerrepertoire auch etwas populistisch. Also wir versuchen, dass man die Musik auch sofort versteht. Und dazu ist ein deutlich spürbares harmonisches Gerüst unabdingbar. Das ist der Grund, warum ich das Akkordeon oder die Hawaiigitarre oder so manches andere Instrument live nicht dabeihabe. Wir spielen schon die Originalarrangements von der Platte, aber wir müssen das live etwas umbauen und anpassen. Wenn Sie das Album gut kennen, werden Sie auch alles an dem Abend wiedererkennen, Sie werden auch hoffentlich nichts vermissen.
- Weil Sie Schlager sagen: Schlager ist ja ein Begriff, der bei uns ganz schwierig behaftet ist …
Zu Unrecht, wie ich finde! Ich finde auch, dass das Wort einfach falsch definiert wurde. Seit den 1960er-Jahren ist es so, dass sich die Schlagerwelt aktiv selbst abgegrenzt hat. Wenn Sie mal überlegen, was früher Schlager war – Schlager heißt ja nichts Musikalisches. Schlager klingt alle zehn Jahre anders, ist immer den gängigen Popmusikmoden angepasst. Es gibt den Discoschlager, den Punkschlager, den Liedermacherschlager, den Heimatschlager – was weiß ich, was noch. Ein Tango von Rudi Schuricke klingt ganz anders als eine Disconummer von Mariane Rosenberg – warum ist das alles Schlager? Weil es in Deutschland so definiert wird. Der Franzose sagt zu allem französisch Gesungenen automatisch Chanson, das kann selbst der Ententanz sein. Das ist kein wertender Begriff, das ist einfach ein Lied. Nur bei uns ist das so kompliziert. Wenn seit den 1960er-Jahren alle deutschsprachigen Musikgrößen konsequent gesagt hätten „Wir machen Schlager“, wäre dieser Begriff in keiner Weise so behaftet. Unterhaltungsmusik in deutscher Sprache, das können die Toten Hosen sein. Andrea Berg, Helene Fischer, das ist total egal. Und innerhalb des Schlagers gibt es eben ganz viele Fraktionen. So seh’ ich die Welt.
- Was war denn der Anreiz für die Broadway-Paris-Rom-Trilogie?
Es ging darum, dass man Lieder nimmt aus Städten, die unserer Unterhaltungsmusik viel gegeben haben. Und darum, Lieder zu singen, die nicht originär in deutscher Sprache verfasst sind. Wenn es geht, mit deutschen Texten, was nicht in allen Fällen möglich war – entweder gab es keine oder sie waren zu schlecht. Es sollten Stücke sein aus dem jeweiligen Kulturkreis, in deutscher Sprache. Ich hatte auch kurz mit dem Gedanken gespielt, nach Wien zu gehen, Wien hat uns zweifellos große Dienste geleistet in der Unterhaltungsmusik. Aber die Texte sind einfach schon originär auf Deutsch. Man kann so ein Album immer machen, aber es wäre nicht Teil dieser Trilogie. Da wäre es schlüssiger, nach Rio de Janeiro zu fahren und ein Bossa-Nova-Album zu machen – wenn man eine Quadrophonie machen will.
- Ist der Antrieb zu zeigen: Schaut, das ist auch Schlager, und das ist cool?
Im Grunde zeigt doch der ganze Inhalt der Trilogie, dass die verschiedenen Schlagerwelten einander sehr nah sind. Dass sie auch Teil des deutschen Schlagers sind. Viele wissen gar nicht, dass das „Quando, quando“ kein deutscher Schlager ist. Genauso, wie viele Amerikaner erstaunt sind, weil sie gar nicht wissen, dass viele Songs aus dem Great American Songbook eigentlich französische oder deutsche Schlager sind. Also, Summerwind ist der Sommerwind. Und es war erst der Sommerwind und dann der Summerwind.
- Woher kommt die Liebe zu dieser Art Musik? Zu der Zeit, in der Sie aufgewachsen sind, gab es doch einen Riesenpotpourri anderer Musikstile, die vielleicht sogar angesagter waren.
Das schon. Ich bin ja schon fast als Kind zum Jazz gekommen und habe dann Inspiration gefunden in Leuten wie Evelyn Künneke und Bully Bulahn – das war eigentlich Jazzmusik, die auf Deutsch gesungen wurde. Es ist wirklich interessant, wie bei uns die Abgrenzung über die Sprache geht. Also auch, wenn man mal die Beat-Revolution der 1960er-Jahre beobachtet: Die ist in Deutschland einfach nicht über die Musik erfolgt, sondern ausschließlich über die schlecht beherrschte englische Sprache. Die Beat-Platten in deutscher Sprache, von denen es sehr viele gab, und auch sehr erfolgreiche, wurden automatisch unter Schlager abgeheftet. Drafi Deutschers „Marmor Stein und Eisen bricht“ – wäre das auf Englisch gesungen worden, wäre es eine Beat-Nummer gewesen. In Dänemark zum Beispiel, da war dieser Beat eine Riesengeschichte, da hieß es Pigtråd Musik, „Stacheldrahtmusik“. Es sollte sich so anhören, als würde man einen Stacheldraht durch die Ohren ziehen. Und in Frankreich war es die Yéyé-Musik. Dass in der Landessprache gesungen wurde, war sowieso selbstverständlich. Bei uns wurde auf Deutsch gesungener Rock ’n’ Roll erstmal überhaupt nicht ernst genommen. Dieser revolutionäre Ansatz der Beat-Welle, der funktionierte bei uns ausschließlich über die Schriftsprache, muss man sagen.
- Faszinierendes Thema! Wie kam es denn dazu, dass Sie selbst auf Deutsch singen?
Das ist gereift. Ich habe auch viele Jahre lang Platten auf Englisch – oder einer Sprache, die ich für Englisch hielt – gemacht. In den 1990er-Jahren spielte ich mit meiner Band viel im WDR, häufig begleiteten wir im Fernsehen deutsche Sänger wie den vor Kurzem verstorbenen Jürgen Marcus. Es gab auch Schauspieler, die singen wollten, die wollten dann aber etwas aus dem Pop-Repertoire singen, auf Englisch. Dann hat unser Chef gesagt: „Wenn so viel englisch gesungen wird im Programm, dann muss euer Song deutsch sein. Das Publikum freut sich, wenn es was Deutsches hört. Wir haben dann all diese Schlager-Jazzinterpreten der alten Zeit gespielt, also das, was wir sowieso schon spielten – nur eben mit deutschen Texten. Dann haben wir gesagt, wir nehmen mal ein Demo auf, und in nur zweieinhalb Tagen ist dann eigentlich das erste deutsche Album entstanden. Einfach live aufgenommen im Studio. Erst bei den folgenden Alben habe ich dann gesehen, dass man da auch noch ein bisschen produzieren kann. (lacht) Das erste ist so ‚rausgewepst‘ und war zack, zack fertig.
Wir haben das Album dann im Theater an der Kö in Düsseldorf vorgestellt. Das war ein so improvisierter Ablauf, ohne, dass man sich über die Moderation irgendwelche Gedanken gemacht hätte, aber das Publikum war begeistert. Und mir hat das so viel Spaß gemacht, dass ich gesagt habe, ich würde nie wieder auf Englisch singen. Und ich würde nie wieder in einem Club auftreten, wo das Konzert um elf Uhr beginnt und man die ganze Zeit gegen die Kaffeemaschine ansingt. Ab dem Moment ging’s mir besser. (lacht)
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Götz Alsmann produzierte sein aktuelles Album in Rom. Foto: Fabio Lovino
- Das Akkordeon war ja auch eine Zeitlang eher ein Stiefkind … wie der Schlager.
Ja, aber nur vom Image her. Ich habe einmal eine Radiosendung gemacht mit Platten von Dominic Cortese, dem Chef eines wichtigen Studios in New York von 1950 bis Anfang der 2000er. Der hat von Frank Sinatra bis Bob Dylan und von arabischen bis exilarmenischen Bandleadern alles Mögliche gemacht, wie 4711. Wenn man diese Platten anhört – und auch, wenn man Pop-Platten wie die von den Beachboys, Loving Spoonful, sogar den Beatles hört: Es ist so viel Akkordeon dabei! Es ist eben nur nicht Teil des Images.
- Wieso war das so? Was war das Uncoole?
Jemand soll ja mal gesagt haben, das Akkordeon sei zweifellos das erotischste aller Instrumente, es werde nur so viel unerotischer Quatsch darauf gespielt. Ich teile diese Ansicht nicht, aber ich verstehe, was die Person damit sagen wollte. (lacht) Bill Hayley & His Comets, der Pianist Johnny Grande spielte live immer mit dem Akkordeon. Weil er gespürt hat, dass das Piano sich nicht durchsetzen konnte gegen den Krach der anderen. Damals war das Akkordeon vielleicht auf dem Sprung, in diese Szene hereinzuschmecken. Aber das hat sich so nicht bewahrheitet. Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht wirklich daran, dass das Akkordeon zu volkstümlich ist. In der Westernmusik der 1930er-, 40er-, 50er-Jahre, da gab es neben dieser „Nationalmusik“ mit Geigen, Hawaiigitarrenauch die Westcoast Countrymusic – da war immer ein Akkordeon dabei. Rhythmusgruppe, Akkordeon, gestopfte Trompete – das war das klassische Klischee des singenden Cowboys. Da war das Akkordeon extrem wichtig, bei diesen halsbrecherischen Sachen. Die besten von diesen Musikern sind dann in den Jazz gegangen.
Im Jazz spielte das Akkordeon von Anfang an eine wichtige Rolle. Es gibt Aufnahmen von Duke Ellington mit Akkordeon. Es gibt von Benny Moten’s Kansas City Orchestra, dem Vorläufer des Count Basie Orchestra, Aufnahmen mit Akkordeon, der Bruder von Benny Moten spielte darauf Akkordeon. Und dann die kleinen Streetcombos, ab 1940, mit Elektrogitarre, Vibraphon, Akkordeon. Art van Damme und wie sie alle heißen. Also, es gab immer Jazzmusik mit Akkordeon. Auch hier in Deutschland. Das Akkordeon war wirklich einer der Pfeiler. Ich kann jetzt gar nicht alle aufzählen, wenn ich nur an die Namhaften denke, und dazu kommen die ganzen Geheimtipps. Es gibt immer wieder was Tolles.
- Was macht das Akkordeon denn so geeignet für, sagen wir, den Jazz? Und was macht es sperrig?
Was das Akkordeon sperrig macht für den Jazz, ist die linke Hand. Die Begleitung ist nicht für den Jazz gemacht. Man ist da auch harmonisch sehr eingeschränkt, obwohl es immer wieder Avantgardisten gibt, die es schaffen, mit verknoteten Fingern die Knöpfe so zu verbinden, dass es irgendwie interessant klingt. Aber hört man so einige Western-Swing-Akkordeonisten der 1930er-Jahre und konzentriert sich auf die linke Hand, dann fällt einem doch ein ganzer Haufen störender Geräusche auf. Leute wie Art van Damme haben ja die linke Hand komplett abgebaut. Das Instrument war dann federleicht, die Knöpfe wurden nur drangelassen, weil das hübsch aussah.
Die, die das Pianoakkordeon spielten, konnten mit der rechten Hand im Grunde wirklich alles spielen, was man mit dem modernen Jazzpiano auch spielen konnte. Dann gab es aber auch Leute wie Dave Matthews, die tatsächlich auf einem Knopfakkordeon Jazz spielten. Oder Orchestermusiker wie der große Galliano. Ich glaube, dass das Knopfakkordeon für die ganze Musette-Musik leichter zu spielen ist als im Jazz. Als Pianist sage ich natürlich, dass das Pianoakkordeon alle Möglichkeiten bietet – für die rechte Hand.
- Das große Wissen über das Instrument hilft auch beim praktischen Verstehen – aber: Haben Sie das Akkordeonspielen irgendwann von der Pike auf gelernt?
Ich habe überhaupt nichts richtig gelernt. Ich hatte viele Jahre Klavierunterricht, aber wenn man bedenkt, wie lange das gedauert hat und wie viel ich geübt habe, hätte auch mehr dabei herauskommen können. Ich habe keinerlei Musikhochschulabschlüsse oder sowas. Was ich später bekam, war eine gute Ausbildung in Gehörbildung. Ich bin auch ein schneller Notenschreiber und in den Arrangements ganz gut zu Fuß, glaube ich. Aber ich habe eben Musikwissenschaften studiert und kein Instrument am Konservatorium. Ich weiß viel über Musik. Aber es könnte ja immer mehr sein.
Nun, dieses Wissen füllt nach wie vor viele Stunden im Radio und im Fernsehen. Und zu einem großen Teil auch die Live-Bühnen …
Zumindest vom zeitlichen Aufwand her, ja. Dieses Jahr spielen wir, glaube ich, 95 Konzerte, nächstes Jahr auch nochmal 60 oder 70.
- Ein ganz schönes Programm! Live immer ohne Akkordeon?
Im „In Paris“-Programm war das Akkordeon auch live zu hören. Da bin ich mit dem Akkordeon nach der Pause herausgekommen und wir haben „Rififi“ gespielt. Das ist auf der Platte gar nicht drauf, das ist auf einer früheren Platte von mir, aber wir wollten gerne diesen Effekt haben. Im Programm „Engel oder Teufel“ habe ich auch ein bisschen Akkordeon gespielt. Bei einem ägyptisch-türkisch-afghanisch-persisch-marokkanisch-albanischen Volkslied, von dem jeder glaubt, es sei eines aus seiner Heimat.
- Das spricht doch dafür, dass das Akkordeon das Instrument für die Musik von daheim ist, oder?
Ja, das Akkordeon gehört ja zu den Instrumenten, die nicht ohne Grund auch die arabische und die Balkanmusik beeinflussen. Einen Ableger des Akkordeons gibt’s ja auf jedem Kontinent!
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