Wohltemperiertes Akkordeon (Teil 6)

Schlussfolgerungen, Literatur, Anhänge

26. Februar 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

In dieser Arbeit werden zwei Akkordeons beschrieben, bei denen mindestens ein Chor wohltemperiert und ein anderer gleichstufig gestimmt ist. Eine Jury beurteilte den Klang der wohltemperierten Stimmung in Tonarten mit wenigen Vorzeichen schöner als den der gleichstufigen und fand die Tonarten mit vielen Vorzeichen gleichwertig in beiden Temperierungen. Die wohltemperierten Stimmungen ermöglichen authentischere alte Musik als die gleichstufigen.
Die zwei verschieden gestimmten Chöre zusammen ergeben einen Tremolo-Klang. Bei dem einen Akkordeon, Weltmeister Stella 60, kommt die Temperierung der Werckmeister-III-Stimmung nahe. Bei dieser Stimmung ist das Tremolo sehr unregelmäßig. Um diesen Nachteil zu beheben, wurde eine zweite wohltemperierte Stimmung kreiert und mit einem Victoria Paganini Akkordeon verwirklicht. Diese Temperierung zeigt bessere Tremoli und erlaubt das Zusammenspiel mit anderen gleichstufigen Instrumenten. Weitere mathematische Optimierungen ergeben wohltemperierte Stimmungen mit einem schönen, sehr flachen Tremolo, welche aber aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht und demnach auch nicht getestet werden konnten. Ferner wurde eine Möglichkeit gefunden, bei einem Knopfakkordeon mit einem sowohl auf der Bass- wie auch auf der Diskant-Seite modifizierten M2-Anordnung das Akkordeon so zu stimmen, dass in allen Tonarten die perfekte natürliche Stimmung verwirklicht werden kann.
Die Umstimmung eines Akkordeons auf wohltemperierte Stimmung ist etwa anderthalb bis zweimal aufwändiger als eine normale Akkordeonstimmung.
Text: Zoltán Faragó und Simone Wiech

Es gibt keine Stimmung, die an und für sich besser ist als eine andere, es gibt
nur bestimmte Stimmungen, die einen bestimmten Zweck besser erfüllen können
als andere. (Klaus Lang, 1999, p. 9)

Der Autor Zoltán Faragó (* 1942) ist Diplomingenieur. Nach sieben Jahren Forschung in der Industrie und sieben Jahren wissenschaftliche Tätigkeit in der Kernforschung arbeitete er vierzig Jahre lang in der Raumfahrtforschung. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte war die Untersuchung der Einflüsse der Akustik von Raketenmotoren auf die Verbrennungsstabilität. Hier erwarb er Kenntnisse für akustische Messungen. Als Amateurmusiker hat er drei Jahrzehnte lang Orgel gespielt, unter anderem auf mehreren historischen Orgeln mit wohltemperierter und mit mitteltöniger Stimmung. Mit 77 Jahren fing er an Akkordeon zu spielen. Sein Wunsch ist, dass Barockmusik mit Akkordeon ähnlich schön klingt wie auf barocken Orgeln.

Die Autorin Simone Wiech (*1974) spielte schon in ihrer Kindheit verschiedene Musikinstrumente und interessierte sich gleichzeitig für handwerkliche Arbeiten an ihren Instrumenten. Als studierte Sozialpädagogin arbeitete sie mit autistischen Menschen und unterrichtete an einer Fachschule für Heilerziehungspflege, wo sie auch zum Leitungsteam gehörte. Nachdem sie 2011 ihre Leidenschaft für das Akkordeon entdeckt hatte, verwirklichte sie ab 2015 ihren Kindheitstraum, Musikinstrumente zu reparieren, und lernte in verschiedenen Werkstätten das Handwerk des Handzuginstrumentenbaus. Die Conzertina Werkstatt für Handzuginstrumente, gegründet am 1. Februar 2016, ist inzwischen bei Laien und Profis etabliert und entwickelt sich stetig weiter.

Disclaimer: Wenn das Geschlecht für einen bestimmten Zusammenhang ohne Bedeutung ist, verwenden die Autoren in einigen Fällen das generische Maskulinum in Plural für alle Geschlechter, um den Lesefluss nicht zu stören.

6 Schlussfolgerungen

Die anfangs gestellte Frage, ob eine kleine Abweichung von der gleichstufigen Stimmung den Klang eines Akkordeons verbessert, wurde durch diese Arbeit mit einem eindeutigen Ja beantwortet. In der Forschung führt aber die Beantwortung einer Frage oft zu neuen Erkenntnissen, die wiederum neue Fragen aufwerfen. Einige solcher Erkenntnisse, Möglichkeiten und Fragen werden hier aufgelistet:

1) Die wohltemperierte Stimmung klingt umso schöner, je größer der Unterschied der Dur-Dreiklänge zwischen Tonarten mit wenigen und mit vielen Vorzeichen ist. Die Obergrenze liegt dort, wo die Tonarten mit vielen Vorzeichen nicht mehr tolerabel klingen. Dabei können Abweichungen von der gleichstufigen Temperierung von 8 bis 10 Cent auftreten. In diesem Fall kann das wohltemperierte Akkordeon mit einem gleichstufig temperierten nicht mehr zusammenspielen, und zwar nicht, weil 10 Cent Tremolo unerträglich ist, sondern, weil bei jedem Ton ein anderes Tremolo entsteht, das von Ton zu Ton zwischen Null-Tremolo und starkem Tremolo liegen kann. Wenn man Wert darauf legt, dass wohltemperiertes und gleichstufig temperiertes Akkordeon zusammen spielen können, sind Abweichungen zwischen beiden Temperierungen von höchstens 5 Cent zulässig. Berücksichtigt man die Grenzen der Genauigkeit bei der Stimmung, muss festgestellt werden, dass eine Umstimmung von gleichstufiger zu wohltemperierter Temperatur nur bei höherwertigen Stimmplatten empfohlen werden kann.

2) Bei der Optimierung von Temperierungen für das Akkordeon sind verschiedene Strategien möglich. Die schönsten Stimmungen kann man erreichen, wenn man auf die Forderung verzichtet, dass wohltemperierte und gleichstufig temperierte Akkordeons zusammenspielen. Will man die beiden Temperierungen gleichzeitig spielen, wird eine Stimmung angestrebt, dass zwei verschieden gestimmten 8‘-Register zusammen ein schönes Tremolo ergeben. So entstanden in dieser Arbeit die zwei Stimmungen, eine mit Weltmeister Stella und eine mit Victoria Paganini. Auch hier gibt es Möglichkeiten zu weiteren Optimierungen, indem man entweder ein schönes Tremolo oder den wohltemperierten Charakter oder eine Kombination der beiden anstrebt. Ferner bietet sich die Möglichkeit an, bei einem Knopfakkordeon mit einem sowohl auf der Bass- wie auch auf der Diskant-Seite modifizierten M2-Anordnung das Akkordeon so zu stimmen, dass in allen Tonarten die perfekte natürliche Stimmung erreicht wird.

3) In den Abschnitten Akkordeonspezifische Phänomene und Grenzen der Genauigkeit wurde gezeigt und durch Messungen verifiziert, dass die Einschwingzeit der tiefen Töne viel zu lang ist, was eine saubere Intonation bei schnellem Spiel nicht zulässt. Dieser Effekt wird durch den Einfluss der Lautstärke auf die Tonhöhe weiter verstärkt. Die Stimmgeräte wiederum zeigen die Tonhöhe erst an, wenn die stabile Tonhöhe erreicht wurde – in einigen Fällen benötigt dies mehrere Sekunden. So lange wird aber ein Ton in der Regel erst gar nicht gespielt. Der Grund für die zu langen Einschwingzeit liegt in der Tatsache, dass die kleine Masse der schwingenden Zunge eine große Masse der Stimmplatte zum Schwingen bringt. Hierzu werden bei tiefen Tönen über hundert, bei höheren Tönen über zweihundert Schwingungen benötigt. Eine Verkürzung der Einschwingzeit kann nur durch konstruktive Änderung an den Stimmplatten erreicht werden. Ein weiterentwickeltes Stimmgerät, bei dem nicht nur die endgültige Tonhöhe, sondern auch Zwischenwerte nach ¼, ½, ¾ und 1 Sekunde „eingefroren“ und angezeigt werden, würde nicht nur das Stimmen, sondern auch die Entwicklung von diesbezüglich optimierten Stimmplatten erleichtern.

 

ANHANG A
Bitte an die Leser um musikalische Beurteilung der Stella Stimmung
Um den in Kapitel 4 beschriebenen „Puddingtest“ mit einem erweiterten Jurorenkreis durchzuführen, werden im folgenden Musikbeispiel Kadenzen gezeigt. Der Autor und die Autorin bitten die Leserinnen und die Leser, diese anzuhören, den zugehörigen Fragebogen auszufüllen und den Autoren zurück zu senden. Den Autoren ist bewusst, dass diese Arbeit viel Konzentration beansprucht, und sind für die Rückmeldung dankbar.

 

Fragebogen:

Bei der eingestellten Zeit fangen zwei Kadenzen an. Jede Doppelkandenz ist einen Halbton höher als die vorherige. Die eine der beiden ist wohltemperiert, die andere gleichstufig. Welche Stimmung zu-erst kommt, wechselt von Fall zu Fall.

 

Die Beurteilung sollte nach folgenden Kriterien erfolgen.
Schwebung
Ist die Schwebung etwas langsamer oder der Klang deutlich weicher in der ersten Kadenz: Note 1
Ist die Schwebung deutlich langsamer oder der Klang etwas weicher in der ersten Kadenz: Note 2
Ist kein Unterschied in Schwebung oder in Schärfe feststellbar: Note 3
Ist die Schwebung etwas schneller oder der Klang etwas härter in der ersten Kadenz: Note 4
Ist die Schwebung deutlich schneller oder der Klang deutlich härter in der ersten Kadenz: Note 5
Gesamteindruck
Sind Akzeptanz und/oder Schönheit der ersten Kadenz deutlich besser als der zweiten: Note 1
Sind Akzeptanz und/oder Schönheit der ersten Kadenz etwas besser als der zweiten: Note 2
Ist kein Unterschied in der Akzeptanz und Schönheit feststellbar: Note 3
Sind Akzeptanz und/oder Schönheit der ersten Kadenz etwas schlechter als der zweiten: Note 4
Sind Akzeptanz und/oder Schönheit der ersten Kadenz deutlich schlechter als der zweiten: Note 5

Zwischen 1 und 5 können auch halbe Noten erteilt werden. Wenn bei mehrfachem Anhören verschiedene Bewertungen entstehen, bitten die Autoren, den Mittelwert der Noten anzugeben.
Hilfreich wären auch, zusätzliche Informationen wie Alter, Geschlecht, gespielte Musikinstrumente außer den Noten anzugeben. Die Auswertung wird so anonymisiert wie die Zusammensetzung der Jury in Kapitel 4. Diskretion ist selbstverständlich.

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