Musik mit Knöpfen und Tasten
Akkordeon und Klavier
Akkordeon und Klavier, sind das nicht allzu viele Tasten? Nicht unbedingt, und das gilt gleichermaßen, wenn in der Kombination ein Knopfakkordeon zum Einsatz kommt. Im Jazzclub, im klassischen Konzertsaal oder in der Folklore entsteht oft Spannendes, wenn Künstler(innen) in solchen Besetzungen musizieren. Leicht kann anstelle des Konzertflügels außerdem ein Keyboard, eine Orgel oder gar ein Harmonium zum künstlerischen Partner werden. Wir haben uns einige interessante Duos und Ensembles genauer angehört.
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Stefan Hussong im Duo mit Yumiko Meguri (Foto: Archiv Stefan Hussong)
Klassisches, Zeitgenössisches
Im Bereich der zeitgenössischen und klassischen Musik hat hierzulande etwa der renommierte Akkordeon- und Kammermusikprofessor Stefan Hussong im Duo mit der japanischen Künstlerin
Yumiko Meguri ein interessantes Repertoire erarbeitet. Einiges stammt von Komponistin Keiko Harada und ist erst in den letzten Jahren entstanden. Gut nachhören kann man das teils dezente, zarte, teils abstrakt-klangerkundende bis kapriziöse Zusammenspiel auf der Duoaufzeichnung F-Fragments von 2014. Eine frühere Kooperation von Hussong mit Klavierkünstlerin Mika Yamada ist ebenfalls dokumentiert. Die beiden haben ausgewählte Werke des slowenischen Komponisten Uroš Rojko eingespielt. Rojko hat seine Bagatellen und Tangos für Akkordeon-Klavier-Duo bereits Mitte der 1990er-Jahre verfasst.
Die Aufzeichnung von Hussong und Yamada erschien 2010, in Kooperation mit einem weiteren, renommierten Künstlerduo: Hugo Noth und James Creitz, die ihrerseits Werke für Akkordeon und Viola interpretierten (Uroš Rojko, Chamber Music World Premier, 2010). Was sich an diesen Kompositionen mit Blick auf die besondere Duobesetzung Klavier und Akkordeon feststellen lässt: Im Zusammenspiel der beiden werden oft kleine Melodien, meist schmale Harmonien und buchstäblich Soundfragmente in den Dialog gestellt, manchmal wird eines der Musikinstrumente zur Klangfarbe im Hintergrund, wo das andere im Vordergrund agiert. Immer wieder gibt es Passagen nur fürs Klavier und solche nur fürs Akkordeon. Hussong schätzt die Duokombination mit Klavier oder Konzertflügel auch sonst, arbeitet immer wieder mit verschiedenen Künstler(inne)n als Gegenüber in solchen Besetzungen.
Akkordeon- und Kammermusikprofessor Stefan Hussong über Akkordeon und Klavier:
„Die Besetzung Akkordeon und Klavier zeichnet sich besonders dadurch aus, dass beide vollkommen unterschiedliche Klangerzeugungsprinzipien besitzen: das Akkordeon sozusagen als Blasinstrument mit zwei Tastaturen und von der Luft zum Klingen gebrachten, freischwingenden Metallzungen, das Klavier als eine Art Perkussionsinstrument mit 88 Tasten und von (Klavier-)Hämmern angeschlagenen Metallsaiten. In der Duokombination.ist es daher wichtig, dass beide versuchen, sich in ihrer jeweiligen Spielweise anzunähern, indem das Akkordeon mit größtmöglicher Präzision seine Töne rhythmisch exakt setzt, während das Klavier mit möglichst weichem Anschlag dem weicheren Klang des Akkordeons entgegenkommt.
In den 1994 komponierten Bagatellen exerziert der slowenische Komponist Uros Rojko exemplarisch eine Annäherung dieser beiden so unterschiedlichen Instrumente vor. Er erhöht nach und nach bei jedem der vier kurzen Sätze den musikalischen Verschmelzungsgrad von Akkordeon und Klavier, so dass im vierten Satz eine Art Metainstrument entsteht, sozusagen ein ‚Klavikkordeon‘. Ganz anders verwendet die japanische Komponistin Keiko Harada die zwei Instrumente in ihrem monumentalen Werk F-Fragments aus dem Jahr 2012. Dort übernimmt das Akkordeon immer wieder die Pedalfunktion des Klaviers, indem einzelne Töne und Impulse des Klaviers im Akkordeon als eine Art Echo aufgefangen und weitergeführt werden.“
Marcotulli & Biondini
Jazz aus Italien: Luciano Biondini und Rita Marcotulli (Foto: Steven Haberland)
Teils bis in die Zeit des Barock reicht ein Repertoire, das Akkordeonstar Richard Galliano mit Thierry Escaich präsentierte. Der französische Künstler ist vielen international vor allem als Jazzmusiker bekannt, besonders die von ihm mit seinen Ensembles entwickelte New Musette hat über Jahrzehnte einiges an Aufmerksamkeit erhalten. Gallianos Solokonzerte sind dabei genauso präsent wie die mit Bands oder Orchestern. Dabei hat er gleichzeitig immer wieder, und das besonders in den letzten Jahren, Wege in Richtung eines klassischen Repertoires beschritten. In der Mischung seiner zahlreichen Kooperationen mit sehr vielfältigen Künstlerinnen und Künstlern ist Escaich ein Gegenüber an einem traditionellen Musikinstrument, für das bereits zu Zeiten des Barock Musik komponiert wurde, der Orgel. So dürfen ausgewählte Werke von Arcangelo Corelli, Alessandro Marcello und Johann Sebastian Bach, aber auch von Antonín Dvorˇák und Astor Piazzolla bis hin zu Gus Viseur, Lucio Dalla und Galliano selbst in einer selten gehörten stilistischen und klanglichen Gestalt glänzen. Das Duo findet für dieses kontrastreiche Spektrum elegante und feinsinnige Wege des Zusammenspiels. Eine wesentliche Facette ist dabei, dass beide abgesehen von dichtem, akkordischen und klangkräftigen Einsetzen ihren Musikinstrumenten gleichermaßen eine breite Palette zarter Nuancen und dezentes Melodiespiel entlocken können. So kann das hier natürlich besonders virtuos gespielte Akkordeon ohne Weiteres im Duo mit der Orgel bestehen. Nachzuhören ist das auf dem Album Aria von 2017/2018.
Das italienische Duo Cesare Chiacchiaretta und Filippo Arlia setzt sich in der Kombination von Akkordeon und Klavier unter anderem mit dem Tango auseinander (u. a. Non Solo Tango, 2020). Graziös bis kapriziös und offenbar mühelos interpretieren sie ein breites Spektrum, von bekannten Tangos über Milonga bis zu italienischen Canzone. Es gibt außerdem größere Ensembles in diesem stilistischen Bereich, in denen gleichermaßen Akkordeon und Klavier anzutreffen sind. Chiacchiaretta und Arlia zeigen mit ihrer Herangehensweise, dass sich hier bereits im Duo eine Menge Möglichkeiten bieten.
Jazz und Weltmusik
Die moderne, internationale Jazzszene wird ebenfalls von Akkordeon-Klavier-Duos mitgestaltet. Eine über Jahre entwickelte, sehr hörenswerte und einfallsreiche Kooperation besteht zwischen den beiden italienischen Kunstschaffenden Luciano Biondini und Rita Marcotulli. Sie und ihre Musik stellen wir unseren Leser(inne)n in diesem Heft daher in einem eigenen Interview noch einmal genauer vor. In gelungener Form dokumentiert ist ihre Arbeit auf dem 2014 veröffentlichten Album La Strada Invisibile. Was das temperamentvolle bis verträumte, nuancierte Repertoire besonders interessant macht, ist, dass einen Großteil davon das Duo selbst kreiert hat. Das Jazzspektrum wird hier also ergänzt und erweitert. Luciano Biondini sucht öfter die Zusammenarbeit im Duo mit Klavierkünstlern. So war als Gegenüber in den vergangenen Jahren Stefano Maurizi am Klavier. Mit ihm und dem Klarinettisten Mirco Mariottini brachte der Akkordeonist dieses Jahr ein hörenswertes Triodebut heraus (Dialogues, 2021). Konzerte spielte er außerdem im Duo mit Danilo Rea am Klavier, etwa im vergangenen Herbst beim Premio Internazionale della Fisarmonica in Castelfidardo.
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Vincent Peirani und Michael Wollny (Foto: Jörg Steinmetz)
Das deutsch-französische Duo von Vincent Peirani und Michael Wollny hat sich seinerseits ein spannendes Repertoire auf die Knöpfe und Tasten geschrieben und improvisiert. War bereits das gemeinsame Trio mit Michel Benita und Gastmusikern (u. a. Thrill Box, 2013) ein Fundus innovativer Ideen, können sich die beiden im Duo (u. a. Tandem, 2016) komplett auf die Möglichkeiten ihrer beiden Musikinstrumente konzentrieren. Inmitten des kräftig kammermusikalisch angehauchten Jazzrepertoires können beide im kreativen Dialog, solistisch, durch enorme spieltechnische Raffinesse und mit improvisatorischen Einfällen glänzen.
Eine schier überbordende Produktivität entwickelte vor allem in den vergangenen Jahren der ausgezeichnete, italienische Bandoneonist und Komponist Daniele di Bonaventura.
4 Daniele di Bonaventura im Duo mit Giovanni Ceccarelli Foto Carlo Pieroni
Bandoneon und Flügel: Daniele di Bonaventura und Giovanni Ceccarelli (Foto: Carlo Pieroni)
Teilweise mag die Lockdownsituation hier noch verstärkend gewirkt haben, deretwegen überall die Konzertbühnen leer bleiben mussten. Di Bonaventura veröffentlichte eine ganze Serie von Alben als Solist und in Ensembles, die stilistisch von Jazz über Weltmusik bis zu klassischer und sakraler Musik reichen. Mehr als zehn (!) Alben erschienen allein in den Jahren 2019 und 2020, teils bei Musikfirmen, teils ausschließlich in digitaler Form. In einigen der Ensembles lotet er aus unterschiedlichsten Perspektiven die Möglichkeiten von Bandoneon und Klavier aus. In der Band mit Giovanni Ceccarelli am Klavier und weiteren Künstler(inne)n wie Camille Bertrault, Ivan Lins und Jaques Morelenbaum, interpretierte er Repertoire von Tom Jobim. In mehreren Duos verknüpfte er im unmittelbaren Dialog seine Möglichkeiten am Bandoneon mit denen wechselnder Klavierkünstler, etwa Michele di Toro (u. a. Vola vola, 2019), Krzysztof Kobylinski (u. a. Notre Dame, 2019) und Giovanni Guidi (u. a. Reminiscenze, 2021). Neben ansprechenden Interpretationen bekannter Stücke ist vor allem eigene Musik von di Bonaventuras Duopartnern und teils von dem Bandoneonisten selbst zu hören. Bonaventura erbringt damit ein hörenswertes Beispiel dafür, zu wie vielen Ideen die Begegnung mit dem Klavier einen einzigen Künstler – in diesem Fall einen Bandoneonisten – inspirieren kann.
In Berlin bringt das Duo von Bandoneonistin Judith Brandenburg und Klavierkünstler Volker Jaekel ein Repertoire zwischen Tango, Jazz und weiteren Einflüssen zur Aufführung. Die beiden verstehen sich darauf, ihren Musikinstrumenten einen anspruchsvollen, künstlerischen Dialog zu entlocken. Brandenburg hatte bereits früher im Trio La Bicicleta mit Violine und Klavier musiziert. Den Klavierpart übernahm dort zunächst Javier Tucat Moreno, dann Corinna Söllner.
Folklore und mehr
Eine der bekanntesten Künstlerinnen der finnischen Akkordeonszene ist Maria Kalaniemi, die seinerzeit bereits bei der spannenden, internationalen Combo Accordion Tribe mitmischte. Für ihre eigenen, modern-folkloristischen Repertoires hat sie sich vor einigen Jahren ein Duo-Gegenüber ans Harmonium geholt. Dieses heute relativ selten zu hörende Musikinstrument ähnelt von der Tonentstehung dem Akkordeon, wird aber gespielt wie ein Klavier oder eine Orgel – und sieht zumindest entfernt so aus. Eero Grundström ist der Duopartner, der dieses Tasteninstrument beherrscht. Es hat einen relativ weichen Sound, so dass die beiden Musikinstrumente sich im Sound leicht mischen. Klar im Vordergrund steht hier jedenfalls melodisch und harmonisch großenteils das Akkordeon, oft hat das Harmonium mehr eine begleitende und klangmalerische Funktion. Die beiden Künstler ergänzen ihr Repertoire immer wieder zusätzlich um elektronische Sounds und Effekte.
Bereits dieser Überblick zu einigen besonders interessanten künstlerischen Kooperationen zeigt, dass wahrlich kein Mangel an Möglichkeiten besteht, das Akkordeon im Duo oder in einer Band mit Klavier zu verknüpfen. Selbst Kirchenorgel oder ein Harmonium, und natürlich ohne Weiteres ein Keyboard, eignen sich als Gegenüber und Ausgangspunkt für innovatives Repertoire.
Was wohl in der Musikszene sogar noch öfter vorkommt als solche Besetzungen sind Künstlerinnen und Künstler, die diese Musikinstrumente in ihrem eigenen Spektrum verknüpfen. Insbesondere im Hochschulumfeld ist es für die Studierenden typisch, dass sie dort unbesehen ihres Hauptfachs zumindest teilweise Klavier lernen. Umso mehr gilt das für diejenigen, die sich dezidiert fürs Komponieren interessieren und dort ihr Können weiterentwickeln möchten. Von Klavier oder Keyboard aus ist der Weg zum Akkordeon je nach der gewählten Variante gar nicht so weit. Wegen der ähnlichen Spielweise gibt es einige Musiker(innen), die einerseits Klavier oder Keyboard spielen und andererseits Tastenakkordeon. Oftmals ist zu hören, dass der Wechsel von einem dieser Musikinstrumente zum anderen wegen der Ähnlichkeit insbesondere der Klaviatur mit dem Diskantmanual und der Aufteilung von Melodie- und Begleitfunktion auf rechte und linke Hand gut zu bewerkstelligen ist. Davon abgesehen spielen auch Knopfakkordeonist(inn)en oder Bandoneonist(inn)en Klavier.
Der junge Musiker Julius Schepansky etwa hat beim renommierten Klingenthal Akkordeonwettbewerb 2019 den dritten Platz in der Hauptkategorie der erwachsenen Solisten erreicht und bereits andere Auszeichnungen erhalten. Anfang 2022 wird er seine Bachelorstudien abschließen: klassisches Akkordeon und Jazzklavier. In beiden Bereichen hat er bereits zahlreiche Konzerte gespielt und Ensembles formiert, und so sollen als nächstes die Masterstudien ebenfalls Klavier und Akkordeon gleichermaßen berücksichtigen.
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Multitasking: Dorrit Bauerecker (Foto: Dovile Sermokas)
Musikerin Dorrit Bauerecker macht eine interpretatorische, improvisatorische und manchmal fast theatralische Kunst daraus, abwechselnd Klavier, Melodica, Akkordeon und der selbst kreierten Leuchtbox zeitgenössische bis anarchisch-originelle Musik zu entlocken. Im April ist ihr neues Soloalbum mit dem passenden Titel One Woman Band – Experimental Music Circus erschienen.
Der italienische Künstler Daniele di Bonaventura ist wie vorhin bereits berichtet ein ausgezeichneter Bandoneonist. Es gibt noch einen spannenden Aspekt seiner Arbeit: Inmitten zahlreicher Solo- und Bandeinspielungen vor allem im Bereich von Jazz und Weltmusik hat er hörenswerte Solorepertoires am Klavier und sogar am Clavichord eingespielt. Das Wechseln zwischen den (Bandoneon-)Knöpfen und den (Klavier-)Tasten bereitet ihm offensichtlich keine Mühe. Ein junger Musiker der US-Jazzszene, der zwischen den Klavier- und Akkordeontasten gern und häufig wechselt, ist Red Wierenga. Im Claudia Quintet um John Hollenbeck spielt er oft Akkordeon, in weiteren Bands meist andere Musikinstrumente. Erkundungen von allen möglichen Kombinationen mit Elektronik beschäftigen den Künstler ebenfalls häufig.
Erstmals veröffentlicht in:
akkordeon magazin #79
Mai 2021
Fotos: Archiv Stefan Hussong, Steven Haberland, Jörg Steinmetz, Carlo Pieroni, Dovile Sermokas
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