Interview: Daniela Höfele, Fotos: Camo Delgado
MUTIG VOM HOBBY ZUM BERUF
Frau Zöllner, wie sind Sie zum Akkordeon gekommen – und warum genau bei diesem Instrument geblieben?
Ich habe mich im Grundschulalter in das Akkordeon verliebt. Mein Lehrer hat im Unterricht oft Lieder auf seinem Akkordeon begleitet und ich glaube, mich hat an dem Instrument fasziniert, dass man so viel gleichzeitig macht: Ziehen und Drücken, Tasten und Knöpfe bedienen, man kann dazu singen und sich bewegen. Ich bin dabeigeblieben, weil ich erstens einen tollen und sehr engagierten Lehrer in der Musikschule hatte und zweitens, weil ich mich schon als Jugendliche eher mit Dingen identifiziert habe, die nicht so „angesagt“ und ein bisschen gegen den Strom waren. Da kam (und kommt) mir das Akkordeon grade recht. Ich finde, es passt auch heute noch ganz gut zu mir.
Wann haben Sie sich entschieden, die Musik zu Ihrem Beruf zu machen? Fiel Ihnen die Entscheidung leicht?
Ich glaube, die wenigsten Menschen, die sich dafür entscheiden, Musik zu ihrem Beruf zu machen, sind sich darüber im Klaren, was das für die Gestaltung des eigenen Lebens wirklich bedeutet – im Positiven wie im Negativen. Bei mir hat es sich irgendwie ergeben, ich hätte nie geglaubt, dass man mit dem, was ich mache – Neue Musik mit dem Akkordeon – als komplette Freiberuflerin tatsächlich überleben kann. Ich wollte es nach dem Studium einfach probieren und es hat geklappt. Ich bin jeden Tag wieder überrascht darüber und dankbar dafür. Und es gehört immer noch ein bisschen Mut und Risikobereitschaft dazu.
UNTERWEGSSEIN MIT DEM AKKORDEON
Sie schreiben auf Ihrer Homepage, das Akkordeon „wurde zum Unterwegssein erfunden“ und „erzählt Geschichten“. Sie sind selbst weltweit viel unterwegs:
Welche Geschichte von Ihren Reisen hat Sie am meisten berührt und/oder ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Da gibt es viele, aber eine ist mir sehr in Erinnerung geblieben, weil es ein überraschendes Happy End gab: 2007 war ich in Guanajuato in Mexiko zu einem Solokonzert bei einem großen Festival eingeladen. Am Nachmittag vor dem Konzert, beim Üben im Hotel, ging ein Registerschieber kaputt und die Register der rechten Hand waren komplett blockiert. Sie können sich vorstellen, wie mir da zu Mute war. Der Taxifahrer, der mich zum Konzert fahren sollte, war schon da und ich erklärte ihm die Situation. Er telefonierte kurz und fuhr mich kurzerhand zu einer wunderschönen Barockkirche in den Bergen etwas abseits der Stadt, weil er wusste, dass dort ein Orgelstimmer am Werk war. Ich versprach mir nicht so viel von der Hilfe eines Orgelstimmers in einer mexikanischen Provinzstadt im Gebirge. Aber der Mann in der Kirche kam gleich auf mich zu und sprach mich auf Deutsch an. „Da haben Sie aber Glück, ich habe mal bei Hohner gearbeitet!“ Joachim Wesslowski hatte tatsächlich in jungen Jahren ein Praktikum in Trossingen gemacht, bevor er als Orgelbauer nach Mexiko auswanderte, und er hat mein Instrument in wenigen Minuten repariert. Das ist das Schöne für mich am Reisen: wenn man sich auf unbekanntes Terrain einlässt, findet sich immer irgendwie eine Lösung, auch wenn die ganz anders aussieht als zu Hause.
Was für Geschichten erzählen Sie mit Ihrer Musik am liebsten?
Zeitgenössische Musik erzeugt ganz besondere Stimmungen, auf die man sich als Zuhörer:in einlassen muss. Wenn man dazu bereit ist, öffnen sich ganz neue Räume, akustisch und auch in unseren Köpfen. Ich möchte mit der Musik und mit der Intensität, mit der ich sie interpretiere, solche Türen öffnen. Es geht um ganz persönliche Geschichten und Perspektiven, die sich in der Musik von heute wiederfinden. Ich habe den Vorteil, dass ich mich mit den Komponist:innen über ihre Gedanken austauschen kann und so die Brücke zwischen den Erschaffer:innen der Musik und ihren Adressat:innen bin. Am Ende muss aber jede:r selbst die Ohren öffnen und die Welten entdecken, die in diesem Klängen verborgen sind. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Es ist eine wunderbare Art, den eigenen Horizont zu öffnen und unsere Welt von heute in der Musik zu reflektieren.
Auf Reisen lernt man bekanntlich einiges – über andere Menschen, Länder und Kulturen, meist auch über sich selbst. Gibt es eine Erkenntnis, die Sie von Ihren Reisen mitgebracht haben, die Sie besonders prägt oder die Ihnen sehr viel bedeutet?
Das Akkordeon im Gepäck ist ein Türöffner, um mit Menschen unterwegs ins Gespräch zu kommen. Außerdem ist es ja so, dass ich auf meinen Reisen eigentlich immer mit Künstler:innen vor Ort zusammen arbeite und so eine sehr direkte Möglichkeit habe, ein Land und seine Menschen kennen zu lernen. Meine letzte großen Reise, die nach Ghana in Westafrika ging, hat mich sehr viel über Musik gelehrt. Ich bin mit traditionellen westafrikanischen Musikern aufgetreten und war total fasziniert von der Art, wie sie Musik wirklich als Kommunikation begreifen. Das fällt uns schwerer, wenn wir in einer europäischen akademischen Welt aufgewachsen sind, aber es ist eigentlich so natürlich. Ich habe sehr viel aus diesen Begegnungen mitgenommen, menschlich und musikalisch.
KOMPONIEREN FÜR DAS AKKORDEON
Sie sind u.a. als Dozentin für Kompositionsstudierende tätig. Warum fühlen sich Komponist:innen Ihrer Erfahrung nach oft unsicher dabei, das Akkordeon in ihre Kompositionen aufzunehmen, und was raten sie in einem solchen Fall?
Ich arbeite sehr eng mit Komponist:innen zusammen und bin oft sehr direkt in den Entstehungsprozess eines Stückes eingebunden. Daher habe ich einen guten Einblick in die Schwierigkeiten, die sich ergeben können. Das Akkordeon ist ein sehr komplexes Instrument und zudem eines, dessen viele verschiedenen Modelle ganz schön verwirrend sein können. Bis vor wenigen Jahren war es außerdem wenig präsent im Kompositionsunterricht an unseren Hochschulen. Es braucht immer noch direkte Begegnungen mit Akkordeonist:innen, um Komponierende davon zu überzeugen, dass es ein spannendes Instrument ist. 2021 habe ich ein Buch geschrieben, „Komponieren für Akkordeon“ (ARE Verlag) und dazu viele positive Rückmeldungen erhalten. Mein erster und wichtigster Rat an Komponist:innen ist immer, das Akkordeon mal selbst in die Hand zu nehmen, um ein Gefühl für die Körperlichkeit des Instruments zu bekommen.
Sie kombinieren das Akkordeon gerne mit neuen Medien. Was hat Sie dazu inspiriert und welche Möglichkeiten bieten Ihnen als Musikerin und Komponistin Elektronik und Multimedia?
Das Akkordeon ist ja an sich schon ein Instrument mit ganz vielen klanglichen Möglichkeiten. Es braucht eigentlich keine weiteren Zutaten, aber trotzdem kann man mit elektronischen Klängen, mit Videos oder in installativen Arbeiten das Instrument spannend erweitern. Die Klanglichkeit des Akkordeons passt z.B. sehr gut in den Kontext elektronischer Musik, und ich finde da viele Anknüpfungspunkte: So gibt es auf meiner neuen CD nicht nur Solostücke, sondern auch solche mit elektronischen Zuspielungen, die von den Komponist:innen aus ganz unterschiedlichen Klängen (z.B. Umweltgeräuschen, Akkordeonaufnahmen, Sprache oder elektronisch generierten Klängen) gestaltet wurden.
Im September soll Ihr Debütalbum „Voces, señales“ erscheinen, mit Musik von zeitgenössischen kolumbianischen Komponist:innen, aktuell läuft hierfür eine Crowdfunding-Kampagne . Was fasziniert Sie so am zeitgenössischen Musikleben in Kolumbien und was dürfen Ihre Hörer:innen von der CD erwarten?
Als ich im Jahr 2015 erstmals für eine Konzerttournee nach Kolumbien reiste, war ich fasziniert von dem Land, von dem ich bis dahin wenig wusste. Kolumbien ist ein Land der Vielfalt. Nicht zuletzt liegt es weltweit z.B. auf Platz 2 der Länder mit der größten Artenvielfalt. Aber nicht nur in der Natur und in dem Nebeneinander verschiedener Kulturen ist die Vielfalt zu erleben, sondern auch in der Szene für zeitgenössische und elektroakustische Musik, die vor allem in Bogotá sehr rege und aktiv ist. Ich habe für die CD sechs kolumbianische Komponist:innen mit neuen Akkordeonstücken beauftragt, die sich sehr unterschiedlich mit der Geschichte und Kultur ihres Landes und auch ihrer populären Musik beschäftigen. Das Akkordeon ist ja in der populär-musikalischen Kultur des Landes sehr verwurzelt: Gefühlt an jeder Straßenecke tönt der Vallenato mit seinen rhythmisch prägnanten und virtuosen Akkordeon-Soli aus den Lautsprechern. Den Menschen in Kolumbien ist der Klang des Instruments vertraut, genau darum war ich neugierig, wie sich das Akkordeon dort im Kontext experimenteller Musik bewähren würde. Die entstandenen Stücke sind abwechslungsreich, tiefgründig, persönlich, überraschend sowie berührend und machen neugierig auf die reiche Kultur Kolumbiens. Ich freue mich darauf, die Hörer:innen mit auf diese Reise zu nehmen. Illustriert wird das Album übrigens von Fotos des kolumbianischen Fotografen Camo Delgado, der mit mir und meinem Akkordeon zum Fotoshooting in einen Naturpark in den Anden auf 3.000 m Höhe gefahren ist. Das war ein sehr besonderes Erlebnis. Die CD erscheint am 1. September beim Label GENUIN und ich freue mich sehr, diese sehr besondere Musik auf diese Art hörbar zu machen.
Gibt es noch etwas, das in diesem Interview nicht angesprochen wurde, Sie aber gerne noch erwähnen möchten?
Ich finde es großartig, dass das Akkordeon heutzutage in den unterschiedlichsten musikalischen Genres so präsent ist. Und es ist toll, dass es Plattformen wie akkordeon.online gibt, die einen Überblick über die Akkordeonwelt bieten und uns die Möglichkeit geben, voneinander zu lesen und zu lernen. Neugier und Offenheit in alle Richtungen können unser Instrument, glaube ich, wirklich voranbringen. In diesem Sinne freue ich mich auf viele weitere inspirierende Begegnungen mit dem Akkordeon und mit der Musik.
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