Wie kommt das Gefühl in die Musik? (Teil 2)

Die fünf Säulen der Kommunikation in der Musik: „Die Kunst der Balgführung“

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1. März 2022

Lesezeit: 7 Minute(n)

Die fünf Säulen der Kommunikation in der Musik: „Die Kunst der Balgführung“

Wie kommt das Gefühl in die Musik? (Teil 2)

Eine fünf​teilige philosophische Betrachtung mit praktischen Übungen für das atmende Akkordeon von Carmen Hey (Akkordeonpoetin, Autorin & Creative Coach). — Musik ist internationale Kommunikation ohne Worte. Jeder kann sie verstehen. Die Sprache der Musik ist das Gefühl. Es erzeugt die Tiefe in den Melodien und bringt sie in entsprechende Schwingung. Die Ausdrucksweise des Interpreten ist vergleichbar mit der eines Erzählers, dessen Kunstfertigkeit darin besteht, Ohren und Herzen zu öffnen.

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Teil 2

Das atmende Akkordeon

Ich gestalte!
Ton, Atmung, Pausen, Spannung, Artikulation

Woran liegt es, wenn Musik gut klingt?

Vielleicht ist dir schon einmal aufgefallen, wie unterschiedlich ein und dasselbe Instrument klingen kann. Musik ist nicht gleich Musik. Interpret ist nicht gleich Interpret. Akkordeonklang ist nicht gleich Akkordeonklang. – Richtig? Wie kommt es, dass unser Ohr der Musik eines Musikers viel lieber lauscht als der eines anderen? Worin besteht der Unterschied und was ist das Geheimnis guten Klangs?
Ohren sind ein bemerkenswertes Sinnesorgan. Sie sind unsere Antennen. Fein und differenziert ist das Spektrum der Frequenzen, die wir wahrnehmen, aufnehmen und auch filtern können. Klangwellen umgeben unseren Kopf, dem Sitz unserer Hauptsinnesorgane, und gelangen von dort hinein in unser Innerstes. Töne und Geräusche wirbeln tanzend in unsere Gehörmuschel und lösen vielfältige Gefühle in uns aus.

„Dein Ton macht die Musik.“

Musik ist die Königswelle

Auf ihrem Klang surfen wir, wenn es unseren Ohren guttut. Tut es das nicht, liegt es an der ankommenden Frequenz oder am aufkommenden Wetter oder an zu flachen Wellen, zu starken Böen oder auch an zu lautem Getöse. Es schwingt einfach nicht mit uns, es klingt einfach nicht! Wir stranden schließlich, sind enttäuscht und warten auf die nächste Welle …
Aufschwung und Jubel dagegen empfinden wir, wenn wir im richtigen Flow, auf akustisch reizvollen Surfbrettern, auf einer perfekten Schallwelle mit einer perfekt passenden Frequenzstärke reiten, wenn die Musik uns bewegt, in uns atmet und der so erzeugte Klang sich schwingend entfaltet, sodass die Ohren sich weit öffnen und der Klang uns durchströmt– bis ins Herz hinein. Dort entsteht ein Gefühl von Harmonie, ein „Lächeln in den Ohrmuscheln“. Willkommen, guter Ton!
Wenn uns Frequenzen nicht behagen, schalten wir jedoch ganz schnell ab. Wir machen dicht, wenn Schwingungen unangenehm sind. Wir hören nicht hin, wenn Gehörtes flach, spröde oder ruppig ist. Unser feiner Hörsinn regelt für uns, ob wir uns hingeben oder abwenden. Jeder kennt das aus der alltäglichen Kommunikation mit Menschen,– wie sich Stimme, Tonfall, Musik und Worte verändern können.

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Wie atmest du?

Falsches Atmen geschieht beispielsweise bei Aufregung: Wir stoppen unseren Atem, halten ihn zu lange an, atmen an ungünstigen Stellen. Oder wir erdrücken, unterdrücken Wort, Dynamik und Ton, halten an oder unterbrechen, räuspern oder husten und verlieren so die Konzentration auf den gewünschten Ausdruck. Dann wackelt der Ton, platzt zu stark heraus, verschwindet, wird klein oder geht ganz unter. Vor Atemnot vergisst man vielleicht sogar, was man sagen wollte. Auch in der Musik! Kennst du das?

Luft & Liebe

Tipp: Atem ist Spannung – Pause – Entspannung. Was dir immer hilft, ist das wirklich einfachste und zugleich alles entscheidende Prinzip des entspannten Atmens. Musik ist Erzählung. Musik ist Kommunikation und universelle Sprache. Atem ist das Fundament, die Basis, auf der Musik zum Schwingen gebracht wird. Einatmen – Atempausen – Ausatmen, Einatmen – Strömen – Zurücknehmen, Akzentuieren, Modulieren. Luft und Liebe als Geschenk deiner Musik. Für dich, für Freunde, für ein Publikum.

„Atmung verstärkt die Musik in dir!“

Diese natürlichen Regulatoren sorgen sofort für ein gutes Gefühl, Aufmerksamkeit und behaglichen Wohlklang. Gute Redner beherrschen den Umgang mit Ton, Atmung, Volumen, Frequenz und Stimmung. Sie kommen gut an beim Publikum – oder eben manchmal auch nicht. Beobachte es selbst einmal. Schau dir Interpreten an, höre ihnen aufmerksam zu und beobachte, was deine Ohren dabei tun möchten. Gehen sie auf, nehmen sie die Klänge auf und wollen sie in dir verstärken? Stellen sie sich ihnen, richten sie sich auf wie bewegliche Antennen und saugen sie die ankommenden Frequenzen in sich hinein? Oder schließen sie sich, um sich vor unerwünschtem Eindringen zu schützen?

Die Kunst des (Zu-)Hörens

Höre genau hin! Wie geht es dir mit den Menschen um dich herum, wenn du sprichst, lachst, streitest, diskutierst, singst oder atmest? Beobachte, wie du dich fühlst!
Wie erzeugt man guten Klang? Wie verschaffe ich mir oder einem Publikum größere Aufmerksamkeit? Wie bringe ich mein Instrument zum Klingen und Schwingen?
Tipp: Das richtige Atmen ist das Geheimnis! Das Atmen vor dem Ton, das Atmen während des Tons, das Pausieren des Atems zwischen den Tönen und schließlich das Atmen nach dem Ton. Atmen, atmen, atmen. Sich zuhören, zuhören, zuhören. Und das persönliche Atmen mit dem eigenen inneren Klang in Verbindung bringen!

„Aufmerksamkeit im (Zu-)Hören macht den Unterschied.“

Gute Schwingung hebt die Stimmung

Also fangen wir am besten bei uns an. Bleibe zunächst bei dir, spüre in dich hinein, höre deinen Atem. Bleibe in Kontakt mit dir, mit deinen Ohren und deinem Atem. Musik ist immer eine Resonanz deines eigenen Fühlens. Wie du deine Musik fühlst, so klingt sie. Das Gefühl breitet sich aus und transportiert Wohlgefühl und Zufriedenheit – immer zuerst in dir und dann bei deinen Zuhörern. Es entsteht eine natürliche Aufmerksamkeit. „Energie folgt der Aufmerksamkeit“, sagen die alten Hawaiianer. Der Klang ist im Herzen angekommen und strömt von dort in die Zellen hinein. Edle Kunst, Freude – das Füllhorn schüttet sich aus. Saftig, weich, kraftvoll, lebendig, berührend, satt, vollmundig, klar, anziehend. Und der Nebeneffekt: ein schöner Klang!
Welche Klangfarbe ist also die deine, mit welchen Frequenzen verbindest du dich gerade, welche Interpreten liegen dir, und wie kannst du selbst darauf achten, mehr Gehör zu finden? Wie gelingt es dir, gemeinsam mit deinem Ton zu schwingen? Als Musiker, Interpret, Redner, Sänger, Lehrer, Freund, Partner … oder Akkordeon-​Spieler?

Das atmende Akkordeon

In vielen Musikstilen zu Hause, geliebt und verkannt. Ein klangvolles, fühlendes und emotionales Instrument. Der Ton wird mit Luft und (Blase-)Balg nach Belieben differenziert und zum Schwingen gebracht. Ein Klang, der berührt und glücklich macht. Ein atmendes Instrument, lebendig und voll Herz. Ein Blasinstrument, versehen mit Knöpfen, Tasten und Registern. Am Herzen gespielt und vor allem mit Herz gespielt, entsteht Wohlklang. Wer das Geheimnis kennt!
Tipp: Achte auf die Zwischentöne und auf das Atmen zwischen deinen Tönen. Schule deine Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit. Stehe zu deiner eigenen Wahrnehmung und verneige dich vor ihr. Traue deiner Stimme. Kopiere nicht, suche nach deinem eigenen Klang. Finde und erzeuge Qualität. Schöpfe aus dir selbst. Alles ist in dir vorhanden. Sonnige, lebendige und atmende Töne, schwingende Musik. Kreativität. Anziehende Dynamik. Wundervoller Klang. Jeder trägt etwas ganz Besonderes in sich!

„Schenke dir selbst und deinen Zuhörern den Klang deines Herzens.“

Notenbild Carmen Hey Gefühl-in-die-Musik Teil2 Hochaufgelöst
Carmen-Hey-Gefühl-in-die-Musik-Teil2
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Workbook

Aus: Carmen Heys Workbook »Die Kunst der Balgführung«. Download hier als PDF.

Mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht in:

akkordeon magazin #81
Dezember 2021

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CarmenHey2
Die Autorin
Carmen Hey: Expertin für Ausdruckskraft und Gefühl in der Musik
Ihr Motto: „ … sich spielend entfalten!“
Ort: lebt und arbeitet in Berlin
Instrumente: Martinelli und Gadji
Das Besondere: Kunst der Balgführung und ­Entwicklung von Lernprogrammen
Beruf und Berufung: Seit vielen Jahren hilft Carmen Hey Menschen dabei, ihren Fähigkeiten zu vertrauen und dem inneren Ruf des Herzens zu folgen. Für sie ist es wesentlich und ganz selbstverständlich, zu wachsen und flexibel zu sein. Zuerst den Blick auf das Eigene zu richten und sich fortwährend weiterzuentwickeln, gehört aus ihrer Sicht zum Besten, was man für sich und andere tun kann. Carmen Hey arbeitet als Akkordeonistin in der internationalen Musik-, Studio-, Film- und Eventbranche. Sie gründete 2001 in Berlin ihre eigene Akkordeonschule „Creative Atelier für Musik und Lebenskunst“. Hier bietet sie Kurse, Creative Coaching und Workshops an. Sie ist als Komponistin (Weltmusik/Jazz) tätig und schreibt Akkordeon-​Workbooks sowie Essays zum Thema Kreativität und Inspiration in der Musik.
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