Ira Shiran

Mit dem Akkordeon im Gepäck

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18. Dezember 2025

Lesezeit: 5 Minute(n)

Der Antrieb, sich künstlerisch weiterzuentwickeln, prägt das Leben des in Israel geborenen Akkordeonisten Ira Shiran. Die Wahl seiner wechselnden Wohnorte steht seit Jugendtagen im direkten Zusammenhang mit seinem künstlerischen Werdegang. 2016 führt ihn sein Interesse an der Balkanmusik nach Berlin. Mit im Gepäck hat er natürlich sein Akkordeon. Es bildet die Konstante und ist zugleich Türöffner für die verschiedenen musikalischen Welten, die er bereist.

Text: Ramona Kozma

Ein Ort in der Wüste

Es beginnt alles mit acht Jahren. Shiran wächst im Süden Israels an der Grenze zu Jordanien auf. „Es war in gewisser Weise einfach praktisch“, berichtet der Musiker. „Meine Mutter erzählt, dass ich eigentlich Schlagzeug spielen wollte, als ein Lehrer aus der Sowjetunion nach Israel emigrierte, der Keyboard und Akkordeon unterrichtete. Wir lebten für israelische Verhältnisse an einem recht abgelegenen Ort, ein paar Dörfer in der Wüste nebeneinander. Es war die Idee meiner Mutter, mit dem Akkordeonunterricht zu starten, und wenn ich nach zwei, drei Jahren noch Schlagzeug spielen wollte, könnte ich wechseln. Aber ich blieb dabei.“ Mit neun Jahren beginnt Shiran neben dem Akkordeon zusätzlich noch mit dem Klavier und lernt von da an beides parallel.

Jerusalem: Die Vielfalt des Kunstmachens

Mit sechzehn Jahren entscheidet sich Shiran für eine Highschool mit angeschlossenem Internat im etwa 200 Kilometer entfernten Jerusalem. Alle zwei Wochen fährt er an den Wochenenden nach Hause, ansonsten lernt und lebt er an dieser Schule, der Israelischen Akademie für Kunst und Wissenschaft , und wählt dort einen musikalischen Schwerpunkt. „Der Fokus lag nicht darauf, uns als Konzertmusiker auszubilden“, so der Künstler. „Wir hatten ein breites Curriculum, das verschiedene Bereiche wie Theorie, Komposition und Arrangement umfasste.“ Diesen musikalischen Ansatz verfolgt er nach seinem Militärdienst, den er mit 18 Jahren absolviert, weiter und schreibt sich auf der Jerusalem Academy of Music and Dance ein. In Jerusalem trifft er auch auf einen Akkordeonlehrer aus Moldau, der ihn bei seinen ersten Schritten Richtung Balkanmusik begleitet. Nach dem Studium bietet ihm Jerusalem neben seiner Tätigkeit als Solist, in Ensembles und in Orchestern auch die Möglichkeit an zahlreichen Theaterproduktionen mitzuwirken (z.B. am HaBima Nationaltheater und am Yiddishspil, Israels jiddischem Nationaltheater).

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„Ich liebe das“, stellt der Akkordeonist fest. „Natürlich bist Du nur ein kleines Rädchen im Getriebe und kannst bei einem Konzert wesentlich mehr Dinge selbst entscheiden. Beim Theater müssen viele Bereiche miteinander in Einklang gebracht werden. Es ist ein sehr interessanter Prozess. Es lehrt Dich ein bisschen von deinem Ego loszulassen und nicht zu versuchen alles zu kontrollieren. Du dienst dem Ziel des Theaters, das nicht unbedingt mit deinem persönlichen Ziel übereinstimmen muss. Und du lernst viele Leute und Aspekte des Kunstmachens kennen.“

Berlin: Ort der Vernetzung

Vielleicht sind es genau diese Erfahrungen und die dadurch erworbene Fähigkeit, sich auf andere einzustellen, die Shiran als Mitspieler so beliebt machen. Neben seinen eigenen Ensembles ist er ein gefragtes Mitglied in Bands anderer Musiker:innen, wie im Trio Folkadu der ebenfalls aus Israel stammenden Wahlberlinerin Yael Gat.

„Ich halte mich meistens an Stile, in denen das Akkordeon einen festen Platz hat und eine gewisse Rolle spielt.“

Nach Berlin zieht er ursprünglich auf der Suche nach einem Langzeitlehrer für die Kunst der Balkanstilistik, doch er wird nicht fündig. Trotzdem bleibt er in der Hauptstadt. „Ich würde nicht sagen, dass ich Berlin liebe, aber man kann hier gut leben und es gibt viele gute Musiker und Möglichkeiten der Kooperation.“

Eine dieser gelungenen Kooperationen ist Davagariko, eine Band mit der aus Katalonien stammenden Musikerin Ares Gratal, mit der er privat ein Paar ist. Die beiden erforschen die sefardische Musiktradition in der Tiefe und schreiben eigene Stücke in dieser Stilistik. In ihrem Ensemble können sie ihr kulturelles Wissen um die spanische Sprache, jüdische Traditionen und Balkanrhythmik perfekt verbinden. Und sie verfolgen eine moderne Interpretation, bei der es nicht um die historische Rekonstruktion eines Stils geht, sondern um einen persönlichen Zugang zu dieser Musik.

Davagariko -Quartett

Foto: Kiremico Media

Seine Liebe zur Balkanmusik pflegt Shiran insbesondere im Duo Atsind und dem Quartett Ajvar, zwei rein instrumentalen Bands, bei denen er die virtuose Seite seiner Möglichkeiten als Akkordeonist ausspielen kann. Offen ist er auch für Stile anderer Musiktraditionen wie der italienischen oder brasilianischen. „Ich halte mich aber meistens an Stile, in denen das Akkordeon einen festen Platz hat und eine gewisse Rolle spielt“, so der Musiker. „Ich würde zum Beispiel nicht unbedingt Kunstmusik oder Flamenco spielen.“

Ein bestimmter Ort zu einer bestimmten Zeit: Kultur als Vermittlerin

Seit 2021 steht Shiran mindestens einmal jährlich mit dem Kindermusiktheater Ben & David auf der Bühne. Es ist eine Koproduktion des Jewish Music Today Festival Fürth und des Yiddish Summer Weimar, bei der er Musik spielt und etwas schauspielert. Die märchenhafte Geschichte um zwei befreundete Jungen im Shtetl ist in Fürth ein Publikumsliebling. Im Jahr 2026 wird er zum ersten Mal, seit er in Deutschland lebt, wieder an einer Theaterproduktion für Erwachsene mitwirken. Er übernimmt die musikalische Leitung in Wir spielen Alltag, einer Bühnenadaption des gleichnamigen Buchs von Lizzy Doron am Berliner Theater im Palais. Doron, die selbst in Tel Aviv und Berlin lebt, setzt sich hier mit dem Leben nach den Attentaten des 7. Oktober auseinander.

„Kultur und vor allem die Fähigkeit, einander zu sehen, hilft zu verstehen, dass wir nicht grundverschieden voneinander sind.“

Ein historisches, märchenhaftes Stück für Kinder, oder eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Perspektiven zu gegenwärtigen Themen: Glaubt der Künstler an die Möglichkeit, durch Kultur das gegenseitige Verständnis zu fördern? Grundsätzlich sei das möglich, habe aber Grenzen, reflektiert Shiran und ergänzt: „Viele Menschen haben Angst und hassen, was sie nicht kennen. Kultur und vor allem die Fähigkeit, einander zu sehen, hilft zu verstehen, dass wir nicht grundverschieden voneinander sind.“ Er glaubt, dass gerade deshalb totalitäre Regime eine solche Energie darauf verwenden, ihre Bürger zu isolieren und keine interkulturellen Einflüsse zuzulassen. Und hier käme die Kulturarbeit an ihre Grenzen: „Wenn da schon eine große Feindseligkeit besteht. Wenn es erst passiert ist und Rassismus und Intoleranz bereits die Bevölkerung ergriffen haben, dann wird diese Bevölkerung selbst diese Einflüsse von außen ablehnen.“

Zum Schluss bleibt Shiran trotzdem hoffnungsfroh: „Ich denke, es gibt bestimmte Zeitfenster und Orte, in denen die Kultur definitiv eine positive Rolle spielen kann. Vielleicht ist Deutschland ja gerade an diesem Scheideweg. Es gibt ein Erstarken der Populisten und es ist wichtig, dass Künstler der Bevölkerung zeigen: Es gibt nichts, wovor ihr Angst haben müsst.“ Diese Haltung macht Mut und es bleibt wünschenswert, dass der kulturelle Dialog nicht abbricht, sondern durch Menschen wie Shiran weiter in Gang gehalten wird.

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Auswahl aktueller Daten

Musik

Davagariko (mit Ares Gratal), Sefardische Traditionals und Eigenkompositionen im modernen Stil, https://aresgratal.com/davagariko

13.2.26 Café Tasso, Berlin

Ajvar, Progressive Balkan

30.1.26 Bavul, Berlin

Atsind (mit Nicolaas Cotenie), Osteuropäische Musik verschiedener Traditionen

nicolaascottenie.eu/project/atsind-eastern-european-folklore/

7.2.26 Bahnhof Leisning

Tinanai, Rumänische Folkmusik (Quartett mit Gesang), https://nicolaascottenie.eu/project/tinanai-romanian-folklore/

Folkadu, eine musikalische Reise durch die jüdische Kultur, https://folkadu.com/

Marenera, Italienische Volksmusik, https://www.facebook.com/mareneraberlin

9.1.26 Bavul, Berlin

Theater

„Wir spielen Alltag“, Theater im Palais, Berlin 21.3.26, 22.3.26 und 18.4.26

„Ben & David“, 8.3.26, 9.3.26, Jewish Music Today, Fürth

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Aufmacher:
Ira Shiran

Foto: Roman Ekimov

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