Plädoyer für Vielfalt ohne Klischees

Ramona Kozma zwischen Erinnerung und Euphorie

ao+

16. Dezember 2025

Lesezeit: 5 Minute(n)

Wenn Ramona Kozma ihr Akkordeon spielt, scheint es, als würde sie nicht nur Töne, sondern ganze Lebensgeschichten freisetzen. Mal klingt es nach der Melancholie jiddischer Balladen, mal nach überschäumender Balkanekstase, mal nach einer stillen Stimme, die Erinnerungen festhält. Die Musikerin, Theaterpädagogin und Kulturvermittlerin bewegt sich zwischen unterschiedlichsten Projekten – und genau darin liegt ihre künstlerische Handschrift: Vielschichtigkeit, Verwurzelung und ein beständiges Suchen nach Verbindung.

Text: Klaus Härtel

Familiäre Resonanzen

Ramona Kozmas künstlerisches Selbstverständnis lässt sich nicht von ihrer Herkunft trennen. Ihre Familie stammt aus Polen, die Kriegsgeschichten der Großeltern prägten ihre Jugend. Ein Urgroßvater fiel im Warschauer Aufstand, ein anderer musste für die deutsche Wehrmacht kämpfen. „Das war alles sehr dramatisch, und diese Geschichten wurden in der Familie immer wieder erzählt“, erinnert sie sich. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit führte sie zur Beschäftigung mit jüdischer Kultur, mit der Schoah – und schließlich zur jiddischen Musik. In ihr fand sie nicht nur eine künstlerische Heimat, sondern auch eine Art Antwort auf die Frage, wie Erinnerung und Gegenwart miteinander verbunden werden können.

Brücken zwischen den Genres

Mit dem Trio Picon widmet sich Kozma dieser Spurensuche auf der Bühne. Gemeinsam mit Klarinette, Tuba und ihrem Akkordeon sowie Gesang durchforstet sie die Archive historischer Musik und entdeckt immer wieder Stücke, die selbst Brücken schlagen: Klezmermelodien, die sich mit Swing verweben, jiddische, polnische oder auch türkische Texte, die in Bossarhythmen fließen, Tangos, die von Warschau bis New York kursieren. „Wir suchen gezielt Lieder, die in sich schon Verwandlungen tragen“, erklärt sie. Auf Konzerten entsteht daraus eine musikalische Dramaturgie, die kleine Geschichten erzählt: vom Exil, von Hoffnung und vom Humor, der trotz aller Schwere in diesen Liedern lebt.

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Brass, Balkan, Beats

Völlig andere Töne schlägt das Kozma Orkestar an. Gegründet einst als Protestband gegen Kürzungen an der Bielefelder Universität, entwickelte sich daraus eine Formation, die Balkan Brass mit unbändiger Spielfreude feiert. Hier geht es um Tanzen, Feiern, gemeinsames Erleben. Zugleich verbirgt sich auch hier viel Reflexion: Kozma lässt sich nicht nur von serbischen Brassbands oder den Filmmusiken eines Emir Kusturica inspirieren, sondern ebenso von der französischen Fanfarentradition, die Folk, Funk und Theater mischt.

Und immer wieder taucht die Frage auf: Darf man als deutsche Musikerin überhaupt Balkanmusik spielen? Ist das schon kulturelle Aneignung? Kozma begegnet solchen Diskussionen mit Sensibilität – und mit historischem Wissen. „Musik war schon immer geprägt von Austausch und gegenseitiger Beeinflussung“, sagt sie. Türkische oder griechische Melodien fanden früh Eingang in den Klezmer, Romamusikschaffende und jüdische Ensembles inspirierten sich gegenseitig. Für Kozma liegt der Schlüssel im bewussten Umgang: keine Klischees bedienen, die Ursprünge kennen, Brücken sichtbar machen. „In einer Welt, in der so viele Kulturen zusammenleben, kann niemand vorschreiben, welche Gene man haben muss, um bestimmte Musik zu spielen“, betont sie. Ihr Orkestar zeigt, dass kulturelle Vielfalt nicht Aneignung, sondern Begegnung sein kann.

Kozma Orkestar

Foto: Angela von Brill

Eine neue Klangfarbe

Neben Trio und Orkestar hat Kozma nun ein drittes Projekt gegründet: Heide lauscht. Das aus drei Musikerinnen bestehende Trio widmet sich europäischen Folktraditionen von Schottland bis Frankreich. Dreistimmiger Gesang, intime Arrangements, eine bewusste Konzentration auf Frauenperspektiven – hier öffnet sich ein weiterer Raum, in dem kulturelle Vielfalt hörbar wird, diesmal jenseits der großen Euphorie des Brass.

Kultureller Träger Akkordeon

Im Zentrum all dieser Projekte steht ein Instrument, das Kozma so selbstverständlich wie vielseitig einsetzt: das Akkordeon. Mal sorgt es für rhythmische Basis, mal führt es eine Melodie, mal verschmilzt es mit der Stimme. Sie selbst sieht sich eher als „singende Akkordeonistin“ denn als reine Solistin. Dabei ist das Instrument mehr als nur Werkzeug: Es ist ein kultureller Träger, der im Klezmer wie im Tango, im Balkan Brass ebenso wie in experimenteller Musik zu Hause ist. „Das Akkordeon ist jung und gleichzeitig universell“, sagt Kozma – ein Sinnbild für ihre eigene künstlerische Haltung.

Trio Picon

Foto: Christian Sowa

Kunst auf Augenhöhe

Doch Kozmas Arbeit erschöpft sich nicht auf der Bühne. Mindestens die Hälfte ihrer Tätigkeit gilt der Vermittlung: Workshops mit Kindern, Erwachsenen, Musikschaffenden. Dabei versteht sie sich nicht als Lehrerin, sondern als Künstlerin, die Impulse gibt. Improvisation, Ausprobieren, spontane Kurswechsel – so entsteht ein kreativer Raum, in dem Teilnehmende selbst entdecken, was Musik für sie bedeutet. Oft erzählt sie den Hintergrund von Liedern, erklärt historische Kontexte, organisiert Konzerte wie bei den Jüdischen Kulturtagen in Bielefeld. Musikvermittlung heißt für sie nicht Frontalunterricht, sondern gemeinsames Erleben.

Zwischen Haltung und Hoffnung

In allen Projekten schwingt eine gesellschaftliche Dimension mit: Interkulturalität, Erinnerung, Empowerment; Musik als Brücke über kulturelle Grenzen hinweg – aber ohne Verklärung, ohne die Fallen von Klischees. Kozma weiß, dass Kunst nicht im luftleeren Raum existiert. Als sie vor zwei Jahren bei einem Konzert von einem politisch Rechtsgerichteten angefeindet wurde, wurde ihr klar, wie wichtig ihre Arbeit auch als Haltung ist: Vielfalt nicht nur zu spielen, sondern zu verteidigen.

Ausblick

Und die Zukunft? Ideen hat sie viele: neue Stücke fürs Kozma Orkestar, ein kleines Folkfestival in einer Burgruine, vielleicht eine Zusammenarbeit mit internationalen Vorbildern. Doch am wichtigsten bleibt für sie die Kontinuität. „Ich hoffe einfach, dass ich noch viele Jahre Konzerte spielen und Workshops geben kann“, sagt sie. Musik machen, Musik teilen, Musik vermitteln – das wäre genug.

Am Ende ihrer Konzerte fallen die Reaktionen des Publikums oft unterschiedlich aus. Die einen tanzen ausgelassen, die anderen lauschen nachdenklich. Doch alle teilen denselben Moment. Vielleicht ist das die Essenz von Ramona Kozmas Kunst: Sie erinnert daran, dass Musik immer mehr ist als Klang – sie ist ein Ort der Begegnung, der Erinnerung, der Hoffnung.

ramonakozma.weebly.com

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Drei Lieder, drei Klangwelten, drei Begleitstile: Ein mehrteiliger Workshop mit Ramona Kozma (in Kürzeim ao+-Bereich auf akkordeon.online) begibt sich auf eine musikalische Reise vom deutschen Volkslied über den Swing bis hin zum jiddischen Lied.
Aufmacher:
Ramona Kozma

Foto: Paul Hansen

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