Ein Akkordeonist jenseits aller Grenzen

Im Gespräch mit Piet Maris

1. Oktober 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

 

Der Musiker Piet Maris stammt aus dem 30 Kilometer westlich von Brüssel gelegenen Ninove und lebt heute in Belgiens Hauptstadt. Er ist Akkordeonist sowie Sänger und leitet mehrere Musikgruppen, die von seiner künstlerischen Vielseitigkeit und seinen Führungsqualitäten profitieren. Außerdem ist Piet einer der Gründer des Kollektivs Choux de Bruxelles, einer Plattform, die Roots-, Rock- und Worldwide & Beyond-Projekten seit 1999 Unterstützung in den Bereichen Administration, Produktion und Öffentlichkeitsarbeit bietet. Im Gespräch mit akkordeon.online gibt Piet Maris einen Einblick in seinen beruflichen Werdegang und verrät einige Tricks, die er im Laufe seiner Karriere entwickelt hat.
Text & Interview: Araceli Tzigane; Übersetzung aus dem Englischen: Daniela Höfele

Foto: Ivan Put

Piet, du bist Akkordeonist und Sänger. Warum hast du dir genau das Akkordeon ausgesucht, was ist deine persönliche Geschichte in Zusammenhang mit diesem Instrument?

Das Akkordeon hat mich von klein auf fasziniert. Meine Eltern waren die treibenden Kräfte hinter einer Volkstanzgruppe (meine Mutter war die Tanzleiterin), und obwohl Tanzen nicht so meins war, haben mich die Musik und der Klang der Instrumente, insbesondere der des Akkordeons, verzaubert. Ich wollte sofort lernen, wie man es spielt, aber aufgrund diverser Umstände – vor allem mangels eines Instruments und eines Lehrers an der lokalen Musikschule – habe ich stattdessen mit dem Klavier angefangen. Gelegentlich konnte ich mir aber das Akkordeon von dem Musiker der Tanzgruppe ausleihen, und so begann ich, mehr oder weniger als Autodidakt.

Mit 15 habe ich mein erstes kleines Akkordeon von einem Freund, dessen Eltern es auf dem Dachboden aufbewahrt hatten. Erst mit 22 Jahren kaufte ich mir in Prag ein größeres Instrument und begann, Unterricht bei Philippe Thuriot zu nehmen, einem bekannten Akkordeonisten, der damals an der Musikakademie in meinem Heimatort unterrichtete. Da musste ich dann erstmal die falsche Technik, die ich mir in der linken Hand angewöhnt hatte, korrigieren.

Jaune Toujours

Foto: Roger Van Vooren

Du bist der Frontman der Band Jaune Toujours, die seit mehr als 25 Jahren aktiv ist. Ich finde, sie hat einen wirklich multikulturellen und urbanen Sound, der schwer zu beschreiben, aber sehr angenehm und unterhaltsam zu hören ist. Im September 2024 erscheint euer siebtes Album – herzlichen Glückwunsch hierzu! Kannst du unseren Leserinnen und Lesern, die ja alle große Akkordeonfans sind, ein bestimmtes Stück besonders empfehlen?

Das Akkordeon kommt in jedem Stück von Jaune Toujours vor, auch wenn es nicht immer die Hauptrolle spielt. Da ich singe, spielt das Akkordeon oft eher eine unterstützende Rolle, meist im Hinblick auf den Rhythmus. Es gibt jedoch auch Momente, wo es prominenter wird, beispielsweise in „Vertigo“, dem Titelsong unseres letzten Albums, oder in „Step On A Crack“, der zweiten Single“ unseres aktuellen Albums, in der ich das Akkordeon wie eine Orgel klingen lasse. Für wahre Akkordeonenthusiasten würde ich außerdem „Piu Lontano“ von unserem Album „Barricade“ aus dem Jahr 2004 empfehlen – auch wenn das schon 20 Jahre her ist. Das Stück entstand in Zusammenarbeit mit dem Akkordeonensemble La Nouvelle Harmonie Bruxelloise, das ich leite.

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Du bist außerdem der Gründer und Leiter der Roma-Band Mec Yek und trittst hier gemeinsam mit den Schwestern Katia und Milka Pohlodkova auf. Könntest du auch hier speziell für unsere Leserinnen und Leser ein Stück auswählen?

Da fällt mir die Entscheidung schwer, aber das Stück “Sako Ratshi” von unserem letzten Album “Taisa” dürfte ein guter Einstieg in unser Repertoire sein.

Du bist zudem Teil des Trios 3’Ain, das als “Contemporary Jazz with an Oriental Twist” [“Zeitgenössischer Jazz mit orientalischem Einschlag”, Anm. d. Übers.] bezeichnet wird. Hier spielst du zusammen mit dem Kontrabassisten Otto Kintet und dem aus Syrien stammenden Trompeter Yamen Martini. Euer Sound unterscheidet sich sehr von dem deiner anderen Bands, er ist instrumental und hat einen nostalgischen, rätselhaften Klang. Könntest du unseren Leserinnen und Lesern auch hier ein Stück empfehlen?

Auch hier ist die Entscheidung nicht einfach. Ein guter Einstieg könnte das Stück “Scrambled Ensor” von unserem letzten Album “Sea of Stories” sein.

3'Ain

Foto: Lieve Boussauw

Das Kollektiv Choux de Bruxelles scheint im Zentrum vieler deiner künstlerischen Aktivitäten zu stehen. Die drei eben genannten Projekte gehören dazu, aber auch zahlreiche andere, an denen du nicht unmittelbar beteiligt bist. Was hat dich dazu motiviert, das Kollektiv zu gründen, und inwiefern hat es die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern sowie Projekten erleichtert?

Meine Partnerin Sarah, die Regisseurin ist und sich um fast alle Musikvideos und Albumcover kümmert, haben Choux de Bruxelles aus einer Notwendigkeit heraus gegründet. Wir brauchten einen praktischen, administrativen und legalen Rahmen für unsere Aktivitäten und die der Bands. Zusammen mit einem Team aus vier Personen (zwei künstlerische Koordinatoren, ein Business Manager und ein Produktionsassistent) decken wir etwas mehr als eine Vollzeitstelle zur Unterstützung ab. Das gibt unserem Künstlerkollektiv die nötige Stabilität, sodass wir uns auf die künstlerischen Aspekte konzentrieren können und ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen den Projekten und Künstlern möglich ist.

Erfordern deine verschiedenen musikalischen Projekte unterschiedliche Fähigkeiten, Techniken oder Ansätze von dir als Akkordeonist?

Ich gehe alle Projekte mit den gleichen Fähigkeiten und Techniken an, aber der Stil eines jeden Projekts ist anders, und auch meine Rolle variiert von Projekt zu Projekt. Als Frontman von Jaune Toujours bin ich für die Begleitung mit Bass und Melodie und für den Lead-Gesang zuständig. Bei Mec Yek übernehme ich mehr die Begleitung (Bass und Melodie) und die Background-Gesang. Bei 3’Ain reicht meine Rolle von einer unterstützenden Begleitung bis hin zu Soloauftritten (manchmal nur mit der Melodieseite, manchmal zurückhaltend in den Bässen, ohne Gesang).

Woran arbeitest du derzeit, abgesehen von dem neuen Album von Jaune Toujours?

Aktuell bereite ich ein neues Programm für Ik en den Theo / Moi et le Théo vor, das ist ein musikalisches Duo für Kinder mit Gesang, Akkordeon und Schlagzeug. Wir werden bald ein Projekt mit Schulkindern machen, dessen Höhepunkt ein Filmkonzert sein wird, bei dem wir alle gemeinsam Animationsfilme begleiten. Mit Mec Yek und 3’Ain arbeite ich außerdem immer an neuem Repertoire.

Du hast sowohl mit Liveauftritten als auch im Studio sehr viel Erfahrung. Ich weiß, dass einige Akkordeonistinnen und Akkordeonisten bestimmte Tricks haben, um den besten Klang aus ihren Instrumenten herauszuholen. Hast du hierfür Tipps, beispielsweise im Hinblick auf die Mikrofontypen, wo man sie am besten aufstellt, etc.?

Meine Grundausstattung sowohl für Liveauftritte als auch für Studioaufnahmen besteht aus zwei Sennheiser 604-Mikrofonen, die ich links und rechts, also auf der Bass- und auf der Melodieseite des Akkordeons, platziere. Sie sind ziemlich groß und gut sichtbar. Möglicherweise verfälschen sie den Klang ein wenig, aber mit gefällt das Ergebnis sehr gut. Außerdem sind die Mikrofone hervorragend geeignet, um Rückkopplungen zu vermeiden. Im Studio setzen wir manchmal zusätzliche Mikrofone ein, aber der Großteil des Klangs kommt über die Sennheiser. Für Jaune Toujours verwende ich außerdem auch Effektpedale, darunter ein Delay sowie seit kurzem ein Wah-Wah-Pedal und eines, das das Akkordeon wie eine Orgel klingen lässt.

Spielst du in den unterschiedlichen Bands immer das gleiche Akkordeon?

Für Aufnahmen verwende ich immer das gleiche Instrument, ein Bugari, das ich seit über 30 Jahren habe. Es hat eine ganz geringe Stimmabweichung (very little tuning drift), was ich mag, und es hat einen ruhigen, beruhigenden, tiefen Klang. Bei Liveauftritten variiere ich. Für Jaune Toujours und das Kinderprojekt Ik en den Theo verwende ich ein kleineres Akkordeon, weil hierbei die körperlichen Anforderungen ziemlich intensiv sind und ein leichteres Instrument praktischer ist. In diesem Fall ist es ein Piatanesi. Für Mec Yek und 3’Ain verwende ich das Bugari, weil ich das Gefühl habe, dass sein Klang die Musik sehr bereichert

Mec Yek

Foto: Théophane Raballand

Gibt es Akkordeonistinnen und Akkordeonisten, die du besonders bewunderst und die dich inspirieren?

Da gibt es eine ganze Reihe. Meine ersten Helden waren Bandoneonisten, nämlich Astor Piazolla und Juan José Mosalini. Später verfolgte dann die Arbeit von Akkordeonisten wie Jo Privat (Paris Musette), Richar Galliano, François Castiello (Bratsch), Philippe Thuriot, Jean-Louis Mattnier (einschließlich seiner Duos mit Renaud Garcia-Fons und Anouar Brahem) und Vincent Peirani.

Hast du irgendwelche Träume, die mit dem Akkordeon und deiner Musik zu tun haben? Wenn alles möglich wäre, von einem Orchester mit 100 Akkordeonistinnen und Akkordeonisten bis hin zum Wiedererwecken eines mythischen Akkordeonisten für ein Duett, was würdest du dir wünschen?

Den Traum von einem großen Akkordeonorchester habe ich mir bereits im Jahr 2002 erfüllt, als wir im Rahmen der Brüsseler Zinneke-Parade, einer Veranstaltung mit regelmäßig über 30.000 Zuschauern, ein Foto aus dem Brüsseler Instrumentenmuseum  nachgestellt haben. Das Foto zeigte l’Harmonie Bruxelloise d’Accordéons, ein Akkordeonorchester aus dem frühen 20. Jahrhundert, auf den Stufen des Brüsseler Jusitzpalastes. Diese Aktion legte den Grundstein für die Gründung des Ensembles La Nouvelle Harmonie Bruxelloise d’Accordéons. Wenn ich jedoch die belgische Akkordeonlegende Gus Viseur wieder zum Leben erwecken könnte, würde ich das sofort tun – auch wenn ich vielleicht etwas eingeschüchtert wäre, wenn es darum ginge, ein Duett mit ihm zu spielen.

Gibt es abschließend noch etwas, was du unseren akkordeonbegeisterten Leserinnen und Lesern mitteilen möchtest?

Schauen Sie sich gerne die Projekte an, an denen ich beteiligt bin: Jaune Toujours, Mec Yek, 3’Ain, Ik en den Theo… und kontaktieren Sie mich jederzeit gerne für Auftritte. Ich freue mich, von Ihnen zu hören.

Jaune Toujours | Choux.net

3’Ain | Choux.net

Mec Yek | Choux.net

 

Foto: Christophe Vanderborght

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