«Ich liebe jeden Ton»

Im Gespräch mit Mario Batkovic

15. Mai 2024

Lesezeit: 5 Minute(n)

 

Lange fühlte sich der Berner Akkordeonist Mario Batkovic als exotischer Handörgeler. Jetzt hat er für das Berner Symphonieorchester komponiert. «Ein Wunder», findet er.
Dieser Text ist erstmals erschienen im Onlinemagazin «Hauptstadt» in Bern.
Text & Interview: Jürg Steiner; Fotos: Severin Nowacki (https://nowacki.ch/)

Wie er bei Liveauftritten oder in Videos samt Haarspitzen mit seinem Instrument vibriert, wie er seine tätowierten Unterarme bewegt, den Kopf in den Nacken legt: Das Wort cool könnte dafür erfunden worden sein.

So stand es im Mai 2023 in der «Hauptstadt», als der Akkordeonist und Komponist Mario Batkovic (43) den Schweizer Musikpreis gewann. «Als ich das las», sagt er ein Jahr später, «da dachte ich: ‹What? Jemand findet mich cool. Unglaublich›.» Der «Mann mit dem Akkordeon», der «irrwitzige Maestro, der die Avantgarde aufmischt», der gefeierte «Ausnahmemusiker», der «Designer neuer Soundlandschaften» – er staunt darüber, wie cool er ist?

Willkommen in der Welt von Mario Batkovic.

Kurz noch auf einen Kaffee, dann öffnet er die Tür zu seinem Refugium, das sich wie eine Höhle unter dem Lehrerzimmer des Progr befindet. Veruston steht auf Batkovics Kapuzenjacke, es ist ein Statement: Auf der Suche nach dem ehrlichen Ton.

Veruston heisst auch sein Studio, das diesen Gewölbekeller ausfüllt: Dutzende Instrumente stehen oder liegen herum, Gitarren, Akkordeons, selbstgebastelte Musikgeräte, für die es keine Namen gibt, verbunden mit abenteuerlichen Türmen von Synthesizern und Verstärkern, daneben an der Wand ein klassisches Klavier.

Von draussen dringen gedämpft Stimmen vom Progr-Vorplatz in den Keller, Batkovic dreht an ein paar Reglern, überall blinkt es. Am meisten in seinen Augen. Journalist und Fotograf bittet er, kurz die Arbeit zu vergessen, an improvisierte Tastaturen zu treten und sie zu bedienen. Noch nie gemacht? Einfach los. Es brettert aus den Lautsprechern, Batkovic federt im Rhythmus, und die sprachlose Ad-hoc-Band lässt es ein paar Augenblicke hemmungslos krachen.

«Huere cool», ruft Batkovic und strahlt, er sei «einfach total verliebt in den Scheiss». Er meint: verliebt in die Musik.

 «Die Töne gehören mir nicht»

Bekannt wurde Mario Batkovic als Musiker, der sich von Grenzen nicht abweisen lässt. Rock, Klassik, Pop, Elektro, Ambient, Soundtracks für Filme und Computergames – one love, Liebe für alles. Er spielte bei den Kummerbuben und bei Stiller Has. Seine Solokonzerte sind Performances, während denen er sich und seinem Instrument alles abringt. Wenn nötig, spielt er alle Instrumente, die er für seinen Sound braucht, selber.

Mario Batkovic habe «seine eigene musikalische Sprache erfunden», schrieb das Bundesamt für Kultur in der Hommage zum Schweizer Musikpreis, er sei ein «facettenreicher Visionär».

Batkovic lächelt, wenn er solche Lobeshymnen hört.

Foto: Severin Nowacki

 

Man sollte Musik nicht zu sehr intellektualisieren, findet er: «Die Töne, die sind einfach da, und sie waren es schon immer. Aber sie gehören mir nicht. Kein Ton ist besser als der andere. Deshalb ist es wichtig, dass ich sie als Musiker möglichst gleichberechtigt behandle. Ich liebe jeden Ton.»

Batkovics Wagnis

Mario Batkovic setzt sich jetzt ans Klavier, er spielt ansatzlos ein paar Akkorde, taucht ab in den Klang. Tage- und nächtelang hat er das in den vergangenen Monaten gemacht.

Am kommenden Freitag und Samstag tritt er im Casino im Liveformat «Über ds Chrüz» auf. Einmal im Jahr spielt das Berner Symphonieorchester (BSO) mit Musiker*innen, die nicht aus der Klassik kommen. Das Popduo Lo&Leduc war schon da, der Blueser Philipp Fankhauser, die Sängerin Sophie Hunger.

Jetzt kommt Mario Batkovic. Auf seine Art.

Er wollte nicht nur auf Nummer sicher gehen und ausschliesslich ein stil- und genreübergreifendes Konzert geben – Batkovic spielt, was man von ihm erwartet, begleitet vom BSO. Das wird es zwar in der ersten Konzerthälfte geben. Schon das «wird cool», sagt er – auch, weil der Produzent und Komponist Sven Helbig Batkovics Stück Somnium neu arrangiert hat. Und der Dirigent Ralf Sochaczewsky dabei ist, mit dem er schon für das deutsche Symphonieorchester gearbeitet hat.

Doch im Casino Bern werden nach der Pause die Karten richtig neu gemischt. Mario Batkovic ist dann nicht nur der krasse, furchtlose Handörgeler. Sondern: Er hat auch das 40-minütige sinfonische Werk in vier Sätzen für die 70 klassischen Musiker*innen des BSO komponiert. Und festgeschrieben in ein dickes Notenbuch. Den doppelten Batkovic – als Solist in der eigenen Orchesterkomposition – hat die Welt noch nicht gehört. Am Freitag wird das Opus uraufgeführt.

«Das war alles hier drin», sagt Batkovic und tippt sich an die Stirn.

Reiz des Geheimnisvollen

Oft tigert er ruhelos durch Bern, tagsüber oder spätnachts, wenn er kurz aus seiner Höhle auftaucht, um frische Luft zu schnappen. «Ich liebe Bern, ich liebe es, hier zu leben», sagt Batkovic, «aber es ist nicht so, dass ich jetzt eine öffentliche Liebeserklärung an Bern komponiert habe.»

Foto: Severin Nowacki

Für sein sinfonisches Werk sei er ganz tief in die Stadtberner Geschichte gestiegen, weit zurück bis vor die Stadtgründung. Nach Brenodor. So hiess die keltische Stadt auf der Engehalbinsel, die schon 200 Jahre vor Christus entstand und wovon Ausgrabungen zeugen. Es war die erste Siedlung überhaupt auf Berner Boden, ein blühender Ort mit Bädern und Tempel. Doch plötzlich, ungefähr im Jahr 250 nach Christus, wurde sie aufgegeben. Was danach in den fast 1000 Jahren bis zur Berner Stadtgründung 1191 geschah: Es liegt bis heute weitgehend im Dunkeln.

Dieses Geheimnis des Verschwundenen ist es, das Batkovic fasziniert. Es erinnere ihn an das Dorf im Balkan, wo er lebte, bis er 11-jährig war. Heute, sagt Batkovic, sei dort, wo er einst wohnte, Wald. Alles überwuchert. Man finde noch Mauerreste, aber bald wohl nicht einmal mehr das. Ein Ort, einst voller Leben, jetzt versunken, vielleicht für immer.

 

War ich gut genug? Batkovic mit dem Akkordeon.

Foto: Severin Nowacki

 

«Weisst du», sagt Mario Batkovic plötzlich, «ich war noch nie so ruhig, wie bei der Arbeit für diese Komposition.» Ganz ehrlich, er habe noch selten etwas genossen in seinem Leben. Aber jetzt schon. Endlich fühle er sich anerkannt.

«Zu ambitioniert, Mario!»

Im Grunde genommen «habe ich seit je eine chronische kreative Magen-Darm-Grippe». Seine musikalische Fantasie rumore oft so heftig in ihm, dass sie mit aller Kraft aus ihm herausfliessen wolle, ohne dass er das kontrollieren könne. Das Problem sei bloss: Er hatte nicht die Erlaubnis, das auszuleben: Mario, das darfst du nicht!

Schon als Jugendlicher hätte er sich nichts mehr gewünscht als eine E-Gitarre, um auf der Bühne steil abzurocken. Stattdessen wurde er zum Handörgeler, zum kühnen Balkan-Virtuosen, der Rockbands einen exotischen Touch verlieh. Als er 2016 sein erstes Soloalbum mit Eigenkomposition aufnahm, fand er in der Schweiz kaum einen Veranstalter, der eine Plattentaufe ausrichten mochte. «Zu ambitioniert, Mario!». Sein Label Veruston gründete er, weil seine Musik sonst niemand veröffentlichen wollte.

Das darfst du nicht, Mario!

Foto: Severin Nowacki

 

Doch Batkovic fand Kontakt zum Umfeld der angesagten englischen Band Portishead. Man bot ihm, nach Probehörens seiner Musik, einen Plattenvertrag mit dem renommierten englischen Label Invada an. Plötzlich spielte Batkovic in der Elbphilharmonie Hamburg, am Jazzfestival Montreux, am Eurosonic Festival in Groningen.

In Bern hörte er: «Hey, krass Mario, wie deine Musik Fortschritte gemacht hat.» Der Witz: Das Album, mit dem Batkovic durchstartete, war das Gleiche, das zuvor niemand herausgeben wollte. Invada hatte es bloss mit einem neuen Cover versehen.

Das Wunder

Wenn Mario Batkovic nach einem Livekonzert verschwitzt von der Bühne kommt und die Leute ihm auf die Schulter klopfen, dann könne er das bis heute oft nicht recht glauben. Stets denke er, er sei nicht gut genug gewesen. Im Kopf kleben die Augenblicke, in denen er von einer Taste abgerutscht ist, den reinen Ton nicht getroffen hat.

Aber in den letzten Monaten, als er an seiner Komposition für das BSO arbeitete, habe er intensiv zurückgeschaut auf seinen Weg, er habe gelernt, die Anerkennung anzunehmen. «Es ist ein Wunder», sagt er. «Nicht die Musik, die ich mache. Aber dass ich sie mache, allen Widerständen zum Trotz. Weil meine Liebe zu den Tönen grösser war.»

Mario Batkovics Werk über Brenodor erzählt auch diese Geschichte. Seine Geschichte.

https://www.batkovic.com/

Foto: Severin Nowacki

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