In dieser Arbeit werden zwei Akkordeons beschrieben, bei denen mindestens ein Chor wohltemperiert und ein anderer gleichstufig gestimmt ist. Eine Jury beurteilte den Klang der wohltemperierten Stimmung in Tonarten mit wenigen Vorzeichen schöner als den der gleichstufigen und fand die Tonarten mit vielen Vorzeichen gleichwertig in beiden Temperierungen. Die wohltemperierten Stimmungen ermöglichen authentischere alte Musik als die gleichstufigen.
Die zwei verschieden gestimmten Chöre zusammen ergeben einen Tremolo-Klang. Bei dem einen Akkordeon, Weltmeister Stella 60, kommt die Temperierung der Werckmeister-III-Stimmung nahe. Bei dieser Stimmung ist das Tremolo sehr unregelmäßig. Um diesen Nachteil zu beheben, wurde eine zweite wohltemperierte Stimmung kreiert und mit einem Victoria Paganini Akkordeon verwirklicht. Diese Temperierung zeigt bessere Tremoli und erlaubt das Zusammenspiel mit anderen gleichstufigen Instrumenten. Weitere mathematische Optimierungen ergeben wohltemperierte Stimmungen mit einem schönen, sehr flachen Tremolo, welche aber aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht und demnach auch nicht getestet werden konnten. Ferner wurde eine Möglichkeit gefunden, bei einem Knopfakkordeon mit einem sowohl auf der Bass- wie auch auf der Diskant-Seite modifizierten M2-Anordnung das Akkordeon so zu stimmen, dass in allen Tonarten die perfekte natürliche Stimmung verwirklicht werden kann.
Die Umstimmung eines Akkordeons auf wohltemperierte Stimmung ist etwa anderthalb bis zweimal aufwändiger als eine normale Akkordeonstimmung.
Text: Zoltán Faragó und Simone Wiech
Es gibt keine Stimmung, die an und für sich besser ist als eine andere, es gibt
nur bestimmte Stimmungen, die einen bestimmten Zweck besser erfüllen können
als andere. (Klaus Lang, 1999, p. 9)
Der Autor Zoltán Faragó (* 1942) ist Diplomingenieur. Nach sieben Jahren Forschung in der Industrie und sieben Jahren wissenschaftliche Tätigkeit in der Kernforschung arbeitete er vierzig Jahre lang in der Raumfahrtforschung. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte war die Untersuchung der Einflüsse der Akustik von Raketenmotoren auf die Verbrennungsstabilität. Hier erwarb er Kenntnisse für akustische Messungen. Als Amateurmusiker hat er drei Jahrzehnte lang Orgel gespielt, unter anderem auf mehreren historischen Orgeln mit wohltemperierter und mit mitteltöniger Stimmung. Mit 77 Jahren fing er an Akkordeon zu spielen. Sein Wunsch ist, dass Barockmusik mit Akkordeon ähnlich schön klingt wie auf barocken Orgeln.
Die Autorin Simone Wiech (*1974) spielte schon in ihrer Kindheit verschiedene Musikinstrumente und interessierte sich gleichzeitig für handwerkliche Arbeiten an ihren Instrumenten. Als studierte Sozialpädagogin arbeitete sie mit autistischen Menschen und unterrichtete an einer Fachschule für Heilerziehungspflege, wo sie auch zum Leitungsteam gehörte. Nachdem sie 2011 ihre Leidenschaft für das Akkordeon entdeckt hatte, verwirklichte sie ab 2015 ihren Kindheitstraum, Musikinstrumente zu reparieren, und lernte in verschiedenen Werkstätten das Handwerk des Handzuginstrumentenbaus. Die Conzertina Werkstatt für Handzuginstrumente, gegründet am 1. Februar 2016, ist inzwischen bei Laien und Profis etabliert und entwickelt sich stetig weiter.
Disclaimer: Wenn das Geschlecht für einen bestimmten Zusammenhang ohne Bedeutung ist, verwenden die Autoren in einigen Fällen das generische Maskulinum in Plural für alle Geschlechter, um den Lesefluss nicht zu stören.
Gliederung:
Teil 1Â Â Â Â Titel, Autoren, Kurzfassung, Motivation
Teil 2Â Â Â Â Theoretischer Hintergrund
Teil 3Â Â Â Â Die Praxis des Stimmens
Teil 4    Musikalische Überprüfung der Stimmungen
4 Musikalische Überprüfung der Stimmungen
The proof of the pudding is in the eating
Tabellen und Diagramme sind nützlich bei der Beschreibung von Klangfarben und Schwebungen, das wichtigste Kriterium ist jedoch die Hörprobe. Für die Beurteilung der Stella-Stimmung wurde eine sechsköpfige Begutachtergruppe gebildet. Die Juroren haben ein kleines Musikstück in allen Tonar-ten in gleichstufiger und in wohltemperierter Stimmung angehört. Die Reihenfolge der Tonarten war randomisiert. Ebenfalls ein Random-Generator entschied, in welcher Temperierung das Stück zuerst zu hören war. Die Mitglieder der Jury wussten beim Anhören nicht, in welcher Tonart und in welcher Temperierung das Lied erklingt. Sie mussten lediglich beurteilen, ob die zwei Versionen etwa gleich schön klingen oder die erste schöner oder weniger schön ist als die zweite.
Die Zusammensetzung der Juroren war:
– Zwei Frauen und vier Männer.
– Ein Mitglied war unter 25 Jahre alt, eines war über 70, vier waren zwischen 40 und 60.
– Ein Mitglied war Amateurmusiker (Akkordeon, Orgel und Piano), ein war Musikstudent (Tonsatz und Klavier), die anderen vier haben Musik als Hauptberuf (eine Akkordeonistin, ein Sänger, ein Pianist und eine Pianistin). Alle vier Profimusiker sind oder waren Lehrkräfte an Musikhochschulen oder Universitäten.
– Die Autorin und der Autor waren nicht Mitglieder der Jury.
Aus dem Urteil der Jury wurde folgendes Ergebnis berechnet (Abbildung 11)
Abbildung 12
Abbildung 12 zeigt das Ergebnis der Hörprobe der wohltemperierten Stella-Stimmung. Bei jeder Ton-art haben alle sechs Juroren ein Urteil gefällt. Dass im Diagramm weniger als sechs Punkte in einer Tonart zu sehen sind, liegt daran, dass oft mehrere Punkte übereinander liegen. Die X-Achse stellt die Tonarten des Quintenzirkels beginnend mit c dar. Die Y-Achse zeigt die erstellten Noten. Note 1 be-deutet, dass die wohltemperierte Version deutlich schöner klingt als die gleichstufige. Bei Note 2 klingt die wohltemperierte Stimmung etwas schöner als die gleichstufige. Bei Note 3 ist in der Schön-heit des Klanges kein Unterschied wahrnehmbar. Bei den Noten 4 und 5 klingt die gleichstufige Tem-peratur schöner – allerdings wurden diese Noten bei keiner Tonart erteilt. Die berechnete Trendlinie zeigt Ähnlichkeit mit den Abbildungen 4, 9 und 10. Demnach werden die Tonarten mit wenigen Vor-zeichen in der wohltemperierten Stimmung als angenehmer empfunden als bei der gleichstufigen, mit vielen Vorzeichen klangen sie gleich.Â
Zusammenfassung der „musikalischen Puddingprobe“
Bei den wohltemperierten Stimmungen kann man bei einigen Tonarten die Dur- und Moll-Dreiklänge „verschönern“, d.h. der natürlichen Stimmung annähern – es geschieht aber immer auf Kosten ande-rer Tonarten. Eine entscheidende Frage dabei ist: Hört man mehr die „Verbesserung“ der bevorzug-ten Tonarten oder die „Verschlechterung“ der anderen?
Die Beurteilung der Juroren zeigt, dass bei der in Abbildung 9 gezeigten wohltemperierten Stimmung (Stella Stimmung) die Tonarten c-, f-, g- und b deutlich, die Tonarten d- und es -Dur gerade noch wahrnehmbar schöner klingen als die gleichstufige, jedoch keine einzige der anderen Tonarten dadurch hörbar verschlechtert wird. Bei den in Abbildung 10 gezeigten Tonarten (Victoria Stimmung) gilt, dass die Tonarten c-, f-, g- und b schöner klingen als die gleichstufige, und auch hier wird keine einzige der anderen Tonarten verschlechtert gegenüber der gleichstufigen Temperierung.
Wenn bei einem Akkordeon die wohltemperierte Stimmung so verwirklicht wird, dass ein 8‘-Chor auf wohltemperiert umgestimmt wird und der andere gleichstufig bleibt, entsteht ein Tremolo beim Zu-sammenspiel der zwei Chöre. Bei der Stella-Stimmung ist dieses Tremolo unruhig. Bei der Victoria-Stimmung hingegen entsteht ein sehr schönes, flaches Tremolo bei zehn Tönen, die Töne dis und gis sind aber bei der Zusammenschaltung der zwei 8‘-Chöre gänzlich schwebungsfrei.
Um bei einem Akkordeon mit zwei 8‘-Chören den Tremolo-Chor so zu temperieren, dass die zwei Chöre zusammen durchweg ein schönes Tremolo ergeben, wurden weitere Berechnungen durchge-führt. Die zwei Chöre haben drei Schaltungsmöglichkeiten: 1) gleichstufig, 2) wohltemperiert und 3) Tremolo. Das Tremolo hat einen etwas abgeschwächten wohltemperierten Charakter, welches sich für Renaissance- und Barockmusik sehr gut eignet und auch bei klassischer Musik schön klingt. Ein Akkordeon mit drei 8‘-Chören hätte insgesamt sieben Schaltmöglichkeiten, das heißt, sieben 8‘-Klangfarben mit verschiedenen wohltemperierten Klängen und verschiedenen Tremolo-Möglichkei-ten. Hierzu gibt es jedoch keine „musikalische Puddingprobe“, da die Autoren aus eigener Kraft solche Akkordeons nicht verwirklichen konnten.
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