In die Volksmusik hineingewachsen
Bayerische Tradition mit Äff Tam Tam
Äff Tam Tam mit Roland Pongratz an der Harfe und Andreas Weiß am Akkordeon (Foto: Herbert Pöhnl)
Volksmusik kann manchmal einfach Volksmusik sein, ganz traditionell. Nun ist zwiefach-Redaktionsleiter Roland Pongratz einer, der sich sein ganzes Leben aus verschiedenen Perspektiven mit bairischer Tradition beschäftigt. Der Kulturbeauftragte des Landkreises Regen hat 1998 in seiner Gegend „drumherum – Das Volksmusikspektakel“ initiiert, das diesen Sommer wieder stattfinden soll. Derzeit freut er sich besonders über die 2019 eröffnete Volksmusikakademie in Freyung, die er leitet. Er spielt selbst Steirische Harmonika und Harfe. Vor etwa zwölf Jahren hat er das junge Ensemble Äff-tam-tam initiiert, mit dem er vor allem in Bayern auftritt. Am Akkordeon mischt sein einstiger Musikschüler Andreas Weiß mit – und hat gute Argumente, warum in dieser Combo das Akkordeon besonders gut dazupasst.
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Wirtshäuser säumen ihren Weg – zumindest ab und zu (Foto: Herbert Pöhnl)
Boarische, Zwiefache, Walzer, Polkas, Märsche und Volkslieder, das Septett Äff-tam-tam-Musikanten spielt munter aus dem Fundus der bairisch-böhmisch-österreichischen Musiktradition auf. Um die zwölf Jahre ist es her, dass die Musiker aus dem Landkreis Regen in dieser Formation anfingen, in den Wirtshäusern, Biergärten und Festivals der Region aufzutreten. Roland Pongratz an der Harfe, Andreas Weiß am Akkordeon, Armin Weinfurter und Andreas Peschl an den Geigen, Alexander Lochstampfer an der Trompete, Johannes Lorenz an der Posaune, sowie abwechselnd Thomas Hille und Dominik Billinger am Kontrabass, meist stehen sie zu siebt auf der Bühne. Dass die hiesige Wirtshaustradition dabei nicht nur musikalisch ergänzt, sondern aktiv gelebt wird, darauf weist bereits der Titel der aktuellen CD hin. „Habe die Ähre!“ heißt das Repertoire. Nun ist in Bayern weithin die Grußformel „Habe die Ehre“ verbreitet, was so viel heißt wie „Sehr erfreut“, „Grüß dich/grüß Sie/grüß Euch“ oder einfach „Hallo“. Dass aus der „Ehre“ kurzerhand eine „Ähre“ gemacht wurde, lässt sich unschwer mit der in Süddeutschland äußerst beliebten Bierkultur in Verbindung bringen. Es spielt sich halt allerorten angenehmer mit einer Ähre – besser, vielen Ähren – in flüssiger Form, kombiniert mit Wasser, Hopfen und Hefe.
WirtshausmusikantenFolge 38Ausstrahlung noch offenAeff-Tam-Tam-Musikanten
Mehrfach waren die Äff-tam-tam-Musikanten auch schon in Traudi Siferlingers beliebter TV-Sendung „Wirtshausmusikanten beim Hirzinger“ zu Gast. (Foto:BR/Wilschewski)
Roland Pongratz spielt Harfe, und als der Senior inmitten junger Burschen schreibt er außerdem vielfach die Arrangements für die Band. Am Akkordeon mischt Andreas Weiß mit. Der komponiert vor allem in seinem Duo mit Gitarrist Benedikt Landenhammer öfter eigene Stücke. Die Äff-tam-tam-Musikanten wiederum haben altes und neues, jedenfalls traditionelles Repertoire im Gepäck, fern von volkstümlicher Musik und Schlager, dafür nah am nächsten Dorfgasthaus oder Volkstanz. Das wird allenorten überzeugend vorgetragen. Trotzdem wirft die Besetzung manche Frage auf. Warum spielt Andreas Weiß Akkordeon, wo in der Volksmusik doch sonst vor allem die diatonische Harmonika verbreitet ist? Und wie ist das mit Roland Pongratz und der Harfe – war keine Zither im Haus, und gleichzeitig kein Hackbrett? Die beiden geben im März beim Gespräch in einem Münchner Gasthaus genauere Einblicke. Die Familie Pongratz ist daheim im Ort Regen und der Umgebung seit Jahrzehnten weithin bekannt für volksmusikalisches Engagement. Da kam Sohn Roland als Bub kaum daran vorbei, sich seinerseits damit zu beschäftigen, was er weiterhin gerne tut. „Mein Vater war Volksmusikpfleger des Landkreises Regen, das ist er immer noch“, berichtet Roland Pongratz. „Er hat viel Musik gespielt, kam selbst erst von der Tanzmusik, wechselte dann aber zur Volksmusik. Das hatte wohl auch mit seinem Lehrerberuf zu tun.“
In die Volksmusik hineingewachsen
So formierte Hans Pongratz an der Grund- und Hauptschule Ensembles, um mit den Schülern Volksmusik zu spielen, und er unterrichtete Akkordeon. Als Sohn Roland in der zweiten Klasse war, lernte er gemeinsam mit anderen beim Vater Hackbrett. Er hatte früh erste Auftritte, spielte ab und zu mit dem Vater mit. Das zweite Musikinstrument suchte er sich einige Jahre danach lieber selbst aus. Der Vater schlug Akkordeon vor. Nur war der inzwischen jugendliche Sohn nicht gar so erpicht darauf, sich wieder zu Hause direkt vom Vater unterrichten zu lassen. So ein Musiklehrer könnte schon ein bissl weiter weg sein, befand er. Damit erwies sich Harfe als perfekte Wahl. Das erklärt Roland so: „Ich wusste, wir haben eine Harfe zu Hause. Mein Vater wollte die autodidaktisch selbst mal lernen, scheiterte nach einigen Monaten und schaute dieses Musikinstrument nicht mehr an. Ich dachte mir: Okay, das wird mein Instrument!“ Er lernte eine Menge bei seiner Harfenlehrerin, war aber nicht von den sehr auf klassisches Repertoire festgelegten Unterrichtsstunden begeistert. Irgendwann ergab sich eine mehrjährige Harfenpause, dafür kam bald die Steirische Harmonika dazu. Sein erstes Stück „In der Walpurgisnacht“ brachte er sich als 17-Jähriger selbst bei, nach einer alten Schallplattenaufnahme von Max Rosenzopf. Die hatte er aus dem heimischen Plattenschrank gekramt. Die Eltern schickten ihn daraufhin bei Rosenzopf zu einem Kurs, und daraufhin war Sohn Roland zum Weiterlernen motiviert. Bereits als 18-Jähriger begann er, seinerseits erste Schüler im Harmonikaspiel zu unterrichten. Es wurden über die Jahre eine Menge.
Äff-tam-tam – Musikanten | Da Gschwinde | Musikantentreffen in der Oberpfalz (2017)
Auf die Art lernte er mit Anfang 30 Andreas Weiß kennen, der jetzt mit ihm in der Band spielt. Andreas wiederum hat sich früh fürs Akkordeon begeistert. „Es gibt ein Video, da bin ich dreieinhalb oder vier“, erinnert sich der Musiker. „Da habe ich zu Weihnachten ein Plastikakkordeon geschenkt bekommen und beschalle damit das ganze Wohnzimmer.“ Scherzend ergänzt er: „Das ist fast wie heute, nur zwanzig Jahre früher.“ Es traf sich also gut, dass ihn ein Cousin seines Vaters alsbald mitnahm, als er selbst bei einer älteren Dame aus der Region Akkordeonstunden nahm. Nur war die Lehrerin der Meinung, der Bub wäre zu jung und solle zwei, drei Jahre warten. Andreas gab zu Hause keine Ruhe, weil er sich das Akkordeon in den Kopf gesetzt hatte. Schließlich kam sein Vater eigens zu jeder Musikstunde mit, damit er nachher mit dem Sohn üben konnte und die Lehrerin die von ihr gewünschten Fortschritte sah. Bei der Gelegenheit lernte der Vater selbst etwas Akkordeon spielen, indem er zu Hause für sich übte.
Zwar fiel Andreas bei der rüstigen Musikerin als begabt auf, allerdings nicht unbedingt als fleißiger Schüler. So blieb es, als er bei Roland Pongratz anfing, Steirische Harmonika zu lernen. Der Wechsel zur Harmonika war nicht zuletzt ein Versuch, mit einem neuen Musikinstrument eine musikalische Basis zu erarbeiten. Von einem Tag auf den nächsten gelang das nicht. „Roland hat mir im Unterricht ein Stück aufgegeben, und ich hab das dann die ganze Woche nicht gespielt“, so Andreas. „Ich hab das einfach bei der nächsten Unterrichtsstunde wieder gespielt.“ Lehrer Roland erwies sich als geduldig, und Andreas lernte drei Jahre bei ihm Steirische Harmonika. Für ihn war das im künstlerischen Bereich eine wichtige Zeit. „Das hat erst das musikalische Muster bei mir begründet“, stellt der Hobbyakkordeonist fest. Er kann seitdem beispielsweise mühelos alles vom Blatt spielen, was ihm vorgesetzt wird. Dass er trotzdem zusätzlich Akkordeon übte, darauf achteten die Eltern. Es ist nachher wieder sein Hauptinstrument geworden. Musiker finden für eine gemeinsame Band, das erwies sich im nicht unbedingt dicht besiedelten Bayerischen Wald als schwierig. Das gemeinsame Musizieren sieht Andreas aus heutiger Sicht als einen wesentlichen Motivationsfaktor. Umso mehr freut er sich heute, wenn sie im Ensemble wieder Gelegenheit haben, ein Festival oder eine private Feier zu beschallen.
Äff-tam-tam – Musikanten | Sterl Walzer | Musikantentreffen in der Oberpfalz (2017)
Kulturelles Multitalent
Roland Pongratz hat sich mit der Zeit zahlreiche Funktionen im kulturellen Bereich angeeignet. Er studierte Volkskunde, Musikpädagogik und Geografie, und wurde nachher im Landkreis Kulturbeauftragter. Seit zwei Jahrzehnten hat er diese Funktion. Es passt zur Familiengeschichte, denn sein Vater ist dort bis heute Volksmusikpfleger. Jetzt arbeiten sie zusammen. Eine wichtige Initiative startete Roland 1998 mit drumherum – Das Volksmusikspektakel in Regen. Das begann mit kleinen Konzert- und Besucherzahlen. Heutzutage treffen sich viele aus der Volksmusikszene, um die 50.000 Besucher sind keine Seltenheit. Zusätzlich haben sich eine Volksmusikmesse und ein Kunsthandwerksmarkt etabliert. Eine einzige, große Hommage also an die hiesige Kultur. Fast jedes Jahr tritt Roland Pongratz mit den Äff-tam-tam-Musikanten selbst auf.
Erst ein Jahr gibt es die Volksmusikakademie in Freyung, wo Jung und Alt bei etablierten Volksmusikern lernen können. Roland Pongratz war vom Start weg als Berater dabei, als die Idee entstand. Nach drei Jahren Bauzeit wurde das Haus 2019 eröffnet. Der Kulturgestalter ist begeistert, wie es sich inzwischen entwickelt hat. Er ist als musikalischer Leiter weiter mit von der Partie, durfte Dozenten aussuchen und Inhalte gestalten. Allzu viele solche Lernmöglichkeiten gibt es sonst nirgends. Pongratz möchte etwas von der regionalen Kultur weitergeben, und so hat er gern ein Umfeld dafür mit hergestellt. Als ihm die inhaltliche Leitung angetragen wurde, war er zuerst wegen der zeitlichen Kapazitäten nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre. Am Ende konnte er doch nicht widerstehen. „Wenn man die Möglichkeiten kennengelernt hat, die dieses Haus bietet, und dass es so geworden ist, wie man es das erste Mal auf dem Plan gesehen hat“, beschreibt der Musiker. Hier kommt er trotz seiner ruhigen Art ein bisschen ins Schwärmen, und es klingt ein wenig verhaltener Stolz durch. Vor fünf Jahren war es kaum vorstellbar, ergänzt er, wie das funktionieren könnte, mit dem Budget, den Trägern. Jetzt ist alles realisiert. „Da ist schon eine sehr emotionale Nähe da“, erklärt Roland Pongratz. Er ist, wie er selbst sagt, in die Lehrstätte ganz verliebt.
Volksmusikfans finden sich
Bei den allesamt wesentlich jüngeren Musikern seines Ensembles ist die Situation anders. Sie spielen alle auf ausgezeichnetem Niveau, aber meist als Hobby. Andreas Weiß ist beruflich als Ingenieur tätig. Er hat vor einigen Jahren in seiner Zeit bei der Bundeswehr im Heeresmusikkorps mitgemischt, allerdings an der Posaune. Heutzutage hilft der Harmonikaspieler gelegentlich in hauptberuflichen Volksmusikgruppen aus. Die meiste Zeit beschäftigt ihn die Entwicklung von Elektroautos. Die anderen in der Formation haben ebenfalls die verschiedensten Berufe. Was sie alle verbindet, ist die Musik. Es gibt dabei erstaunlich alte, regional bedingte Gemeinsamkeiten. Gymnasiallehrer Josef Schmidt ist auf jeden Fall zu nennen. Der war ein offensichtlich sehr motivierender Lehrer, und sowohl Roland Pongratz, als auch die Jüngeren, hatten in ihrer Schulzeit Unterricht bei ihm. „Er hat das Talent gehabt, dass er diese Musikrichtung total attraktiv vermittelt“, erinnert sich Andreas Weiß. „Die Jugendlichen waren nicht abgeschreckt von so einer alten Musik, die keiner mag, und die keiner hören mag, die uncool ist oder so, ganz im Gegenteil.“ Schmidt war bekannt dafür, Schüler kurzfristig zu seinen Auftritten mitzunehmen. So kam zur Theorie gleich die Praxis dazu. Etwas von dieser motivationalen Anregung wirkt bei allen im Septett nach.
Es war Roland Pongratz, der die Jüngeren um sich scharte. Einen guten Teil der Arrangements schreibt er ebenfalls. Das heißt nicht, dass er immer das Repertoire auswählt. „Ganz am Anfang habe ich relativ viele Stücke ausgesucht und arrangiert, so dass wir relativ schnell einen Grundstock hatten“, berichtet der Harfenist. „Aber dann war auch klar, jeder bringt Stücke ein, auf die er Lust hat.“ Die einen mehr, die anderen nie, je nach Lust und Laune. Damit was voran geht, müssen es halbwegs konkrete Dinge sein. „Nur zu sagen, das fände ich cool, hilft bei uns nix“, so Pongratz. „Da muss er schon sagen, ich bring eine Aufnahme mit, ein Vorbild, oder die erste Stimme auf Noten, irgendwas.“ Schließlich sehen sie sich selten und ebenso selten proben sie. „Jeder redet gern von der Probe“, scherzt Roland Pongratz. „Wir müssten mal wieder eine machen.“ Es braucht halt Zeit und Organisation. Zwar stammen alle aus der Gegend um Regen, heute lebt aber nur die Hälfte dort, die anderen wohnen in München. Dennoch ist klar, dass im Ensemble an den Arrangements möglichst gemeinsam gefeilt wird. Was könnte die Trompete spielen, was die Geige, solche Dinge. Stücke, die für die relativ originelle Besetzung so notiert sind, gibt es de facto keine. Anfangs suchte sich die Band einzelne Covers von der österreichischen Combo Tanzgeiger. Bald erarbeiteten sie sich ein immer breiteres Spektrum unterschiedlicher Stücke.
Jedes davon hat seine eigene Geschichte. Da ist der Häuslmo Marsch von Hans Matheis. Der Harmonikaspieler aus der Ortschaft Oberpolling hat mit seiner Häuslmo-Musi um die 120 Stücke in die Szene gebracht. Er ist 2006 mit 72 Jahren verstorben. Pongratz kannte ihn persönlich, so wie viele weitere in der regionalen Volksmusikszene. Eine noch ältere Historie hat der Sterl-Walzer der Brüder Otto und Alois Sterl. Die zwei Brüder aus Kirchberg lebten von Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1950er Jahre. Zu ihrer Zeit waren sie als ausgezeichnete Harmonikaspieler bekannt. Tobi Reiser, Paul Obermeyer, Otto Ebner und zahlreiche weitere, die einst zur bayerischen Volksmusik beigetragen haben, oder das weiterhin tun, sind im Programm zu finden. Dann sind da traditionelle Lieder, die dem Volksmund abgelauscht sind, und von denen oft gar nicht bekannt ist, wer sie geschrieben hat.
Das in der Volksmusik im Vergleich zur Steirischen Harmonika seltenere Akkordeon ist für Andreas Weiß schon der Besetzung wegen günstig. „Die Gruppe hat ein Fundament in Form des Kontrabasses, und eine Begleitung in Form der Harfe“, erklärt er. „Was die Steirische im Vergleich zum Akkordeon auf der Bassseite mehr hat, nämlich Bass und Begleitung, brauchen wir also gar nicht. Die Diskantseite bei der Steirischen hat den Nachteil, dass sie nur für vier Tonarten geeignet ist. Ein Akkordeon ist dagegen völlig flexibel.“ Er spielt meistens eine Hohner Gola von 1962. Da es ihnen auch um Tanzmusik ging, wollte die Combo typische Vorgaben einhalten. So sollten beispielsweise Bass- und Begleitfunktion sowie Melodiefunktion ausgewogen sein. Einiges ergab sich sowieso durch die Leute, die mitmachen sollten, und die Musikinstrumente, die sie spielten. „Bei uns ist das Akkordeon ein Mittelding zwischen drittem Melodieregister und zur Begleitcombo gehörend, das wechselt und gibt dadurch ganz andere Klänge“, so Roland Pongratz. Für ihn selbst erwies sich die Harfe als klanglich und von der Lautstärke her günstig. Bis 300 oder 400 Zuhörer spielen sie alles akustisch, wenns mehr sind, müssen Mikrofone her. Wenn eines der regelmäßig organisierten Konzerte ansteht, freut sich die Band besonders, wenn gleich Zeit ist für ein komplettes Programm. Oder, wie es Andreas Weiß formuliert: „Wir sind spielfreudig!“
Erstmals veröffentlicht in:
akkordeon magazin #73
Fotos: Herbert Pöhnl, BR/Wilschewski, Klaus Hoffmann
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