Europas Akkordeon-​Star

Im Dezember 2020 feierte Galliano seinen 70. Geburtstag. Ruhestand? Nicht doch.

11. April 2021

Lesezeit: 10 Minute(n)

Richard Galliano

Europas Akkordeon- Star

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Früh geübt: Richard als 7-jähriger mit seinem Vater Lucien und Band im Jahr 1958 (Foto: Archiv Richard Galliano)

Für den Akkordeonjazz – besonders den europäischen – hat kaum ein Musiker so viel erreicht wie Richard Galliano. Nachdem er viele Musikpreise eingesammelt, weltweit Konzerte gespielt sowie zahlreiche Alben aufgezeichnet hat und für seine „New Musette“ und „New Jazz Musette“ bekannt geworden ist, hat er sein Spektrum neu aufgefächert. Seit etwa zehn Jahren ergänzt er seine jazzige, Musette bis Tango und Brasilianisches einbeziehende Musik um klassisches Repertoire, etwa von Bach, Mozart und Vivaldi. Nicht zuletzt hat er mit seinem Vater eine eigene Lernmethode für Akkordeon herausgebracht. Im neuen Jahr feiert Galliano seinen 70. Geburtstag. Ruhestand? Nicht doch.

 

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Der junge Richard im Jahr 1964 (Foto: Archiv Richard Galliano)

Exklusiv: Solostück von Richard Galliano

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Eigene Wege mit dem New Jazz Musette Quartett (Foto: Archiv Richard Galliano)

Charisma und etwas Glanz, das Akkordeon als „Star“, das dürfte es für manche Fans solcher Musik öfter geben. Wenn sich ein Akkordeonist heutzutage als internationaler Musikstar bezeichnen kann, ist es allen voran wohl Richard Galliano. Er hat eine Menge Zeit und Ideen darauf verwandt, der französischen, europäischen und internationalen Szene etwas Neueres als Musette zu bringen. Seine jazzigen Harmonien, detailliert ausgefeilten Improvisationen und gekonntes Solospiel haben ihn zu einem „der“ europäischen Jazzmusiker gemacht. Aufgewachsen ist Galliano in den 1950er Jahren in der Filmstadt Cannes. Seit Mitte der 1970er ist die französische Metropole Paris seine Wahlheimat. Von dort aus berichtet er im Oktober in einem Skype-​Interview über alte und neue Entwicklungen seiner Musik und seines Musikerlebens. Das Jahr 2020 wird für ihn ein besonderes, er feiert seinen siebzigsten Geburtstag. Die soeben 2019 erschienenen, teilweise eingespielten Repertoires, und die vielen Konzertdaten wirken so, als wolle er „pünktlich“ einen ordentlichen Schwung Musik unter die Leute bringen. Zur Ruhe setzen möchte sich der französische Maestro jedenfalls genauso wenig wie die meisten Kreativen.

Anfänge eines berühmten Jazzakkordeonisten

In jungen Jahren hatte Galliano, der heute selbst für viele ein Vorbild ist, seinerseits Vorbilder am Akkordeon. Da war zunächst natürlich sein Vater Lucien, der traditionelle Musette spielte. Bald zählten Künstler wie der Belgier Gus Viseur dazu, und Landsmann Marcel Azzola. „Als ich klein war, war er mein Idol“, erinnert sich Galliano. „Ich hab mir alle Alben angehört. Nachher ist er dann ein guter Freund geworden.“ Über die Jahre spielten die beiden zusammen viele Konzerte und komponierten gemeinsam Filmmusik. Besonders bekannt wurde das Stück „Afro Musette“, das sie mit Elementen aus Musette und afrikanischen Rhythmen kreierten. Es erschien in den 1990er Jahren auf der Compilation „Paris Musette“. Akkordeonkünstler Azzola verstarb Anfang 2019 mit 91 Jahren. Bis dahin waren die beiden Musiker immer wieder in engem Austausch. Doch nicht nur europäische Vorbilder waren wichtig für Galliano, sondern auch amerikanische. Sie brachten ihm allem voran den Jazz ihrer Heimat näher, was sich für ihn als wegweisend erwies. Wichtige Jazzeinflüsse waren die Swing-​Pioniere Art van Damme und Frank Marocco, mit denen er sich in höherem Alter persönlich anfreundete. Ebenfalls inspiriert sah er sich durch weniger bekannte Jazzakkordeonisten wie Tommy Gumina und Ernie Felice. Seit jungen Jahren hat er sich den Jazz so umfassend angeeignet, dass er aus seinen unterschiedlichen Einflüssen längst stilistisch etwas Neues und Eigenes entwickelt hat. So ist eine Menge Material entstanden, besonders für das Jazzakkordeon.

Galliano entdeckte eine weitere musikalische Region für sich, die einem angesichts seines Stils nicht unbedingt als erstes einfallen würde. „Ich glaube, die besten Akkordeonisten, die ich kenne, sind Brasilianer“, stellt er im Gespräch fest. „Sie sind sehr jazzig, gleichzeitig sehr traditionell, da sie die Musik ihres Landes spielen, wie Choro, Forró und Bossa Nova. Das sind wirklich gute Musiker, und sie haben einen sehr modernen Ansatz. Sie spielen viel nach Gehör.“ Es hat einigen Eindruck bei Galliano hinterlassen, was für Improvisations- und Interpretationskünstler diese Akkordeonisten oft sind. Er erlebte das selbst vor vielen Jahren auf Reisen, als er einem von ihnen zuhörte. „Er spielte ein Stück, das mir gefiel, und ich sagte zu ihm: ,Das ist eine schöne Komposition.‘, worauf er sagte: ,Ja, aber das ist eine Komposition von Ihnen!“ Der Komponist hatte glatt seine eigene Musik nicht gleich erkannt. Zum einen, so erklärt er, war das Stück mehrere Jahre alt, und er hatte seitdem viel anderes geschrieben. Zum anderen hatte der brasilianische Künstler die Komposition sehr individuell und neuartig interpretiert. Es war für Galliano eine willkommene Aufgabe, sich mehr mit den Kreativen dieser Weltregion und ihrer Musik auseinanderzusetzen. Gelegenheit dazu bekam er unter anderem im Rahmen eines Dokumentarfilm-​Projekts. Die brasilianische Akkordeonszene wurde mitgeformt durch einflussreiche Musiker, wie Severino Dias de Oliveira, genannt „Sivuca“, und Dominghinos. Beide sind inzwischen nach einigen Jahrzehnten Karriere verstorben. Galliano zeigt sich zugleich von heutigen, jüngeren Künstlern beeindruckt, etwa von Nonato Lima oder Mestrinho. Diese Einflüsse sieht er für sich als so wesentlich, dass er sagt: „Ich denke, ich bin mehr Latino- als Musette-​Musiker.“
Die „richtige“ französische Musette, das war mehr die Sache seines Vaters. „Mein Vater spielte gern Akkordeon mit Klaviertasten, und er kannte sich wirklich gut mit Musette aus.“ Er war der erste Lehrer des jungen Richard, spielte bis ins hohe Alter selbst Akkordeon und trat zeitweise zusammen mit seinem berühmten Sohn auf. Bereits als Vierjähriger begann Richard, Akkordeon zu lernen. Sein Studium absolvierte er am Konservatorium in Nizza. Im Jahr 1975 siedelte er nach Paris um. Im selben Jahr begann er seine Zusammenarbeit mit dem Chansonnier Claude Nougaro. Eine weitere wichtige Begegnung ergab sich 1980 mit dem Musiker Astor Piazolla, der ihn ermutigte, seinen eigenen Stil zu kreieren. Dass er sich immer mehr stilistisch vom Akkordeonspiel seines Vaters wegentwickelt hat, sieht Galliano heute als einen wichtigen Teil seiner Künstlerbiografie. „Ich bin eine andere Generation, also habe ich eine andere Richtung gewählt“, stellt er fest. Trotzdem bezieht er mit heute siebzig Jahren seine frühen musikalischen Einflüsse weiterhin mit in sein Akkordeonspiel ein. Im Sommer 2018 ist Lucien Galliano, im Alter von 91 Jahren verstorben.

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Richard Galliano „Tango Pour Claude“ @Jazz_in_Marciac 2017

„Es gibt nur die Themen und Akkorde. In jedem Konzert improvisieren wir zu diesen Themen. Wir hören gut aufeinander. Einer spielt, probiert eine Idee, ein anderer antwortet. Es ist eine musikalische Unterhaltung.“ (Richard Galliano über sein Trio Mare ­Nostrum mit Jan Lundgren und Paolo Fresu)

Jazz – eine Inspiration bis heute

„Ich höre mir viel Jazz an, wie John Coltrane und Bill Evans, oder eine etwas mehr funkige Musik, wie Quincy Jones, Weather Report, oder Jaco Pastorius“, gibt Gallianos einen Einblick in seine persönliche Musiksammlung. „In der Klassik höre ich viel Debussy, Ravel, Chopin, auch Eric Satie. Aber mir gefällt jede Musik, alle Stile.“ Dann ist da noch der berühmte Jazztrompeter Chet Baker. Galliano hat in den 1980er Jahren selbst mit ihm gearbeitet, ist bis heute ein Fan. Oft drehen sich die Scheiben in den Abspielgeräten. Der Besuch von Konzerten gestaltet sich nämlich schon aus zeitlichen Gründen nicht immer so einfach. „Ich spiele 120 Konzerte im Jahr, das ist das Minimum“, berichtet der Musiker. Davon führt ihn ein Teil durch seine Heimat Frankreich, und viele in verschiedenste Länder weltweit. Der gemeinsame Klang von Akkordeon und Trompete ist etwas, das den Musiker bis heute fasziniert. So ist es nicht bei dem damaligen Duo mit Baker geblieben. Der Akkordeonist hat über die Jahre mit weiteren Trompetenstars wie dem Italiener Enrico Rava und dem US-​Künstler Wynton Marsalis gearbeitet. Eine mehrjährige Kooperation verbindet ihn mit dem Italiener Paolo Fresu, am Klavier ergänzt von Jan Lundgren aus Schweden. Ihr Jazztrio „Mare Nostrum“ findet bis heute eine Menge Anklang. Die drei bringen anspruchsvolle Kompositionen mit dem Freiraum zur Improvisation zusammen. „Es gibt nur die Themen und Akkorde“, so Galliano. „In jedem Konzert improvisieren wir zu diesen Themen. Wir hören gut aufeinander. Einer spielt, probiert eine Idee, ein anderer antwortet. Es ist eine musikalische Unterhaltung.“

Interessanterweise hat sich der so vielseitig in den Sphären von Jazz, Musette und Weltmusik verankerte Künstler zusätzlich intensiv mit klassischem Repertoire auseinandergesetzt. Mozart, Bach und Vivaldi sind heutzutage oft Teil seiner Solo-​Recitals, und er hat einige ihrer Werke für Alben eingespielt. Nun kannte keiner dieser Komponisten ein Akkordeon. Also ging und geht es immer mit darum, die für frühe Tasteninstrumente wie Cembalo oder für Streicher-​Besetzungen komponierte Musik auf das Akkordeon anzuwenden. In den letzten Jahren hat Galliano auf diese Art etwas in sein Repertoire geholt, das er im Grunde früher kannte als die Jazzmusik. „Ich habe immer klassische Musik am Akkordeon gespielt, vor allem, als ich sehr jung war“, so der Musiker. Erst als er um die Zwanzig war, wandte er sich vor allem dem Jazz zu. Ihm war klar geworden, dass es dort viel mehr Neues für ihn zu entdecken und zu entwickeln gäbe als in der klassischen Musik. Als ihn allerdings vor etwa zehn Jahren die Musikfirma Deutsche Grammophon fragte, ob er bereit wäre, ein Klassik-​Album einzuspielen, sagte er zu. Inzwischen gibt es eine Serie solcher klassischer Alben.
Galliano hegt zu Hause eine eigene, kleine Akkordeonsammlung. Zuletzt ist sie auf 28 Modelle angewachsen, als vor etwa eineinhalb Jahren sein Vater verstarb und ihm seine vererbte. Bandeoneons gibt es sieben. Einige haben ihm befreundete Musiker vermacht, etwa Astor Piazolla und Michel Legrand. Bei seinen Konzerten spielt Galliano meist Victoria-​Akkordeons, ist allerdings von anderen Modellen ebenfalls angetan. „Ich hab eines von Giulietti, das ist wirklich gut“, so der Franzose. „Das habe ich geschenkt bekommen.“ Scandalli ist mit in der Sammlung, und mehrere ältere Modelle des Herstellers Cavagnolo. Eines davon schenkte ihm seine Großmutter, als er 13 Jahre alt war. Es enthält Catraro-​Stimmplatten, auf die der Künstler in Sachen Sound bis heute große Stücke hält. „Die sind handgemacht, und haben einen besonderen Klang“, konstatiert er. „Ich spiele bei einem Konzert für 350 Leute, aber komplett akustisch, ohne Verstärkung.“ Er nennt diese speziellen Stimmplatten daher „die Stradivari des Akkordeons“. Das ist ganz in seinem Sinne, da er am liebsten unverstärkt spielt. „Ich denke, das akustische Spielen ruft mehr Gefühle hervor, weil die Zuhörer den realen Ton hören.“

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Als Zweitinstrument das Bandoneon (Foto: Paolo Soriani)

„Ich denke, das akustische Spielen ruft mehr Gefühle hervor, weil die ­Zuhörer den realen Ton hören.“

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Konzert mit Toots Thielemans

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„Opa Richard“ mit Enkelin Lili (Foto: Archiv Richard Galliano)

Die Musik weitergeben

Galliano hat mit seinem Vater eine Methode entwickelt, um Akkordeon spielen zu lernen. Die beiden erhielten dafür 2010 einen Kulturpreis, dem „Prix SACEM“. Die Lernmethode ist inzwischen in Frankreich, Italien und in den USA veröffentlicht worden. Leider hat Vater Lucien die Veröffentlichung in den Vereinigten Staaten selbst nicht mehr miterlebt. Sein Sohn ist sicher, dass ihm diese weitere internationale Verbreitung gut gefallen hätte. „Da haben wir eine schöne Arbeit hinbekommen, denn das ist eine Synthese verschiedener Methoden, französische und italienische, dazu alle Erfahrungen meines Vaters, der fast hundert Jahre Akkordeon gespielt hat, und meine“, bringt es Galliano auf den Punkt. Nicht zuletzt ist das Lernmaterial mit Zeichnungen aufgelockert, um die Sache vor allem für junge Schüler interessanter zu machen. „Das ist spielerisch“, so der Künstler. „Musik spielen muss als erstes Freude machen.“ Er hat in seiner eigenen Familie die Musik ebenfalls weitergegeben. Sein Sohn Jean-​Christophe ist Schlagzeuger, die beiden spielen ab und zu in einem Quartett zusammen. Seine Tochter Marion spielt Flöte, ihre zehnjährige Tochter, Lili, lernt Klavier. Galliano hat letztens die Schule der Enkelin besucht, um in ihrer Klasse das Akkordeon vorzustellen, und was sich damit spielen lässt. „Am Ende habe ich jeden mal das Akkordeon ausprobieren lassen. Es waren 32 Schüler, jeder hat ein wenig gespielt.“ Das mitgebrachte Bontempi-​Modell war Gallianos erstes Akkordeon, als er etwa sechs, sieben Jahre alt war. Er überließ es der Klasse als Geschenk, so dass die Schüler damit nun selbst weiter üben können.

Heutzutage ist Galliano immer mit einem Knopfakkordeon zu sehen. Angefangen hat er als Junge mit einem Klaviermodell, wie sein Vater. Der empfahl ihm allerdings, zum Knopfakkordeon zu wechseln, was er schließlich tat. Es ist eine Sonderanfertigung von Victoria, die sich von den üblichen französischen Akkordeons unterscheidet. Es ist um einiges leichter, was mehr Flexibilität ermöglicht, es gibt Unterschiede in der Anordnung der Stimmplatten, und im Aufbau. „Damit kann ich eine Menge unterschiedliche Sachen spielen“, erklärt Galliano. Ein typisch französisches Cavagnolo-​Akkordeon sei ebenfalls ein großartiges Musikinstrument, ergänzt er. Das eigne sich allerdings vor allem für Musette. Um Jazz oder klassische Musik zu spielen, sei ein anders angefertigtes Modell sinnvoller. Über viele Jahrzehnte hat er alle Konzerte im Stehen gespielt. Bis auf Solo-​Recitals im Sitzen macht er das bis heute so. „Das Gewicht des Akkordeons spürt man da kaum, das ist sehr gleichmäßig verteilt“, so der Künstler.

Ein Komponist, der improvisiert

Wenn er neue Kompositionen schreibt, sitzt Galliano dafür bevorzugt am Klavier. „Wenn ich mich ans Klavier setze, mit der Idee, etwas zu komponieren, taucht immer was auf“, berichtet er. Bisweilen, so ergänzt er, identifiziert er sich von der ganzen Spielweise her sogar fast mehr mit diesem Musikinstrument. In Phrasierung und Harmonien sieht er das Klavier oft als Vorbild für sein Akkordeonspiel. Dass es für ihn eine solche Inspirationsquelle ist, begann früh. In jungen Jahren hörte er besonders gern dem Klavierspiel von Jazzmusikern zu. Heutzutage schreibt Galliano selbst seltener neue Stücke. „Ich improvisiere viel, das ist Komponieren im Moment“, sagt er. „Da muss man gar nicht mehr aufhören zu spielen, und sich das notieren.“ Vom freien Akkordeonspiel im Improvisationsfluss, davon leben in weiten Teilen besonders seine Solo Recitals. Seine früheren Kompositionen hat der Musiker gerne anderen gewidmet, etwa den Frauen in seiner Familie, Margaux, Marion und Lili, oder Freunden, wie Art van Damme. Auch nach dem französischen Chansonnier und Zeichner Claude Nougaro benannte er ein Stück. Heute zählen „Valse à Margaux“ und „Tango pour Claude“ zu den meist gespielten seiner Kompositionen. Die Musik entstand, wie er feststellt, oft zuerst aus einer Idee oder einem Gefühl heraus. Erst wenn sie fertig war, widmete er sie jemandem.

Die Zeiträume sind dabei ganz unterschiedlich. Während ein Song bald nach der ersten Idee fertig ist, erstreckt sich manch anderer Prozess über Jahre. „Oft lasse ich ein Musikstück ein Jahr „ruhen“, manchmal drei, zehn oder sogar fünfzehn Jahre“, beschreibt der Komponist. Sein Oratorium „Les Chemins Noirs“ hatte einen relativ langen Entstehungsprozess. Wenn jemand das fertige Werk vorträgt, ist es für Galliano fast so, als wäre er nur Zuhörer und hätte die Musik gar nicht geschrieben. Er nimmt, wie er sagt, am Ende manchmal viel Abstand von einer Komposition. Sein Oratorium wird im Januar 2020 erstmals vorgetragen, in einer Besetzung mit Akkordeon, Kontrabass und Chor.
Gallianos Fazit zur heutigen Präsenz des Akkordeons im Jazz ist positiv. „Es macht mir Freude, dass ich da einen Weg geebnet habe“, so sein Fazit. Junge französische Künstler wie Vincent Peirani spielen heute ihre eigene Musik, konnten aber anfangs anknüpfen an einen bereits etablierten, modernen Akkordeonjazz. An der Vorarbeit hatte Galliano wesentlichen Anteil, nicht nur in Frankreich, sondern international. Viele haben seine Musik gehört, seine Stücke gespielt und seine Master Classes besucht. Galliano selbst? Mit Blick auf seinen siebzigsten Geburtstag stellt er fest, ein wenig mehr als vor zehn Jahren sucht er jetzt schon aus, was wichtig ist für ihn, wo er am besten seine Zeit einbringen soll. Konzerte, Veröffentlichungen, das zählt jedenfalls weiterhin dazu. Filmmusik geht ihm ebenfalls durch den Kopf. Er hat im Lauf der Jahre für einige Filme komponiert. Zuletzt war ein Dokumentarfilm über brasilianische Forró-​Musik am Akkordeon dabei. Würde sich eine neue, interessante Möglichkeit auftun, würde er sich gern wieder ans Klavier setzen, für einen weiteren Soundtrack.

 

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Aktuelle Alben:

Richard Galliano (solo), Valse(s) (Universal Music Division Decca Records France, 2020)

Richard Galliano (solo), „Impressions Nocturnes“ (­Cézame Music, 2019)
Richard Galliano (solo), „Tokyo Concert“ (Milan Records, 2019)

Richard Galliano & Prague String Quintet „Tribute to Michel Legrand“ (Jade, 2019)

Website: www.richardgalliano.com

 

Erstmals veröffentlicht in:

akkordeon magazin #72
Februar/März 2020
Fotos: Paolo Soriani, Archiv Richard Galliano

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