Die fünf Säulen der Kommunikation in der Musik: „Die Kunst der Balgführung“
Wie kommt das Gefühl in die Musik? (Teil 4)
Eine fünfteilige philosophische Betrachtung mit praktischen Übungen für das atmende Akkordeon von Carmen Hey (Akkordeonpoetin, Autorin & Creative Coach). — Musik ist internationale Kommunikation ohne Worte. Jeder kann sie verstehen. Die Sprache der Musik ist das Gefühl. Es erzeugt die Tiefe in den Melodien und bringt sie in entsprechende Schwingung. Die Ausdrucksweise des Interpreten ist vergleichbar mit der eines Erzählers, dessen Kunstfertigkeit darin besteht, Ohren und Herzen zu öffnen.
Teil 4
Über die Schönheit des persönlichen Stils
Ich wähle! Stil
Phrasierung, Tempo, Technik, Aufbau, Gestaltung
Apfeltöne, die über sieben Berge klingen – „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Beste im ganzen Land? Ihr seid es, meine Königin, aber Schneewittchen, hinter den Hügeln, mit den sieben Flügeln, ist tausendmal interessanter als ihr!“
- Dieser Essay widmet sich der Schönheit des persönlichen Stils, den inneren Impulsen der Wahrhaftigkeit und den äußeren Feuern des Willens, und geht der Frage nach, wie es gelingt, sich selbst treu zu bleiben.
Damit dein Akkordeonspiel eine ganz eigene Note bekommt, strahlt, echt klingt, anziehend ist und von Lebensfreude getragen wird, beherzige die sieben Geheimnisse der Zwerge.
Zwergengeflüster 1: Leichtigkeit
Das größte unausgesprochene Geheimnis großartiger Menschen, Künstler und Erfinder: Sie besitzen anmutige Leichtigkeit und geschnmeidige Flexibilität. Ihre innere und äußere Beweglichkeit ist es, die herausragende Menschen auf natürliche Weise zum Erfolg führt.
Alle Starre ist zerbrechlich!
Wie findet man also ohne Überforderung zum eigenen Stil? Antwort: Der Stil erhält die Schönheit vom Gedanken. Indem du eine gesunde gedankliche Balance herstellst, beachtest und würdigst, bist du deinem Ziel schon ganz nah. Zu oft wird gedankenlos vor das Spieglein getreten – ohne dass man sich zuvor zurechtgemacht, den ersten Schluck frisch duftenden Kaffees genippt und sich mit besonnenem Herzen einem Vorhaben zugewandt hat. Da gibt es kein erstes Guten-Morgen-Lächeln für sich selbst und keinen tiefen Tagesjubel aus dem Bauchgefühl heraus. Bitte erst sortieren, dann reflektieren! Und wenn du wieder weißt, wer du bist, brauchst du ja auch das Spieglein nicht mehr zu befragen. Yippieh!
Achte auf eine Balance zwischen Gefühlen und Gedanken, wenn du spielst, sodass du selbst Freude empfindest. Fühle dich hinein in dein Musikstück – nicht kopflastig, sondern mit Begeisterung für den Augenblick. Bewege den Luftstrom zwischen den Spannungsbögen der Melodien ganz ohne Druck hin und her. Öffne und schließe den Balg mit Spannung, aber ohne zu pressen – in einer balancierten Symmetrie! Das bringt Bewegung und Leichtigkeit in deine Musik.
Tipp: Luftige Leichtigkeit
Zwergengeflüster 2: Frohsinn
Träume, Ziele, Pläne und Taten sind der Motor für erfüllendes Glück und vollen Genuss. Wenn da nicht zwischendurch der Stress grell aufblitzen würde … Was da wirklich hilft: ein frohes Lächeln! Wenn es auch zunächst noch etwas gequält sein mag, zeigt es dann aber doch überströmende Wirkung. Wenn dich also Anspruch und Druck ärgern, nimm rasch ein kleines Handspiegelchen (aber nicht das der Königin!) heraus und lächle hinein. Und dann warte ab, was geschieht.
Unterdrücke nichts! Lass alles kommen, was du empfindest. Experimentiere mit inneren Bildern, während du ein Stück spielst. Überlege, was zum Stück passt – vielleicht eine Landschaft oder eine Begegnung. Es ist hilfreich, sich auf bildhafte Vorstellungen ganz intensiv einzulassen. Dann kannst du deinen Ausdruck nach Belieben ausschmücken und deiner Freude im Herzen folgen. Spezielle Akkordeon-Techniken, die einmal angelegt wurden, funktionieren dann plötzlich wie von selbst, ganz automatisch. Weil der Fokus nicht mehr nur auf dem Handwerkszeug liegt, sondern auf einem schönen Klang. Du wirst sofort beschenkt mit einem großartigen, aussagekräftigen Klangergebnis. Probiere es aus!
Tipp: Der Freude im Herzen folgen
Zwergengeflüster 3: Vertrauen
Was steht dem eigenen Zutrauen manchmal im Weg? Wie entsteht Überforderung? Wo kommt der Jäger ins Spiel der Königin, wie sitzt der giftige Kamm im schönen Haar? Welch bittere Verführung bietet das rote Apfelbäckchen, und in welch gläsernem Sarg liegst auch du ab und an? Viele Fragen – eine Antwort: Vertraue! Dir, dem Leben, deinen prächtigen Gaben, Stärken und Fähigkeiten. Traue auch den gewundenen Wegen, auf denen du gehst. Und traue der strahlenden Sonne, die dich wärmt – hinter Wolken scheint sie immer! Ist dies nicht ein hübsches Bild, das Vertrauen und Trost schenkt?
Die boshaften Absichten der Königin sind nur Spiegelbilder. Sie sind ein Geschenk, denn sie liefern wichtige Informationen, die Muster und Prägungen erst sichtbar machen, ungeliebte Gewohnheiten, die du vielleicht früher einmal als Schutzwall gebraucht hast.
Die meisten Akkordeonspieler tun sich schwer, ihrem persönlichen Ausdruck zu vertrauen. Auch bei den Profis ist nicht alles authentisch, der Interpret und seine Musik stimmen nicht immer überein. So wird häufig entweder zu kräftig überzogen oder schlapp untertrieben – das Ergebnis ist zu schrill, zu schwach, verstimmt oder zu schräg.
Die Kunst besteht jedoch darin, schöne Töne im Einklang mit sich selbst zu formen, sie in dieser Verbindung dann zu halten und frei zu entfalten. Sich stimmig einzulassen und seinen musikalischen Impulsen zu trauen, darum geht es.
So wie ein bunter Schmetterling auf blühender Frühlingswiese genau weiß, welches die richtige Blüte ist für eine gelingende Annäherung!
Tipp:Sich einlassen
Zwergengeflüster 4: Festigkeit
Wie gut es gelingt, voranzukommen und „sein Ding“ zu machen, hat immer mit der eigenen Festigkeit, also mit Selbstsicherheit zu tun. Schau einmal in dich hinein – sind deine Vorhaben und Träume gut verankert in dir? Kannst du dem Mainstream entrinnen, der alles dominierenden, neidischen Königin aus dem Weg gehen, hin zu den beständigen Zwergen, hinter den sieben Bergen?
Das verlangt einen festen Stand und Mut – nach den wachrüttelnden Stolpersteinen und nach dem Glassarg – jedoch mit der berauschenden Vorfreude auf einen innigen Kuss! Aber ja doch!
Mit einem gut verankerten Auftakt wird dein Vortrag besonders stark. Wenn du dich als Allererstes mit dir selbst fest verbunden fühlst. Und dich im zweiten Schritt dann bitte mit Wertschätzung selbst verwöhnst – noch bevor dich Kritik oder Applaus überraschen. Höre dann entspannt deinem Atem zu und spüre dein Akkordeon, nah an deinem Herzen. Halte einen kurzen Augenblick inne. Betrachte deine Haltung, den Sitz der Gurte und die Gemütlichkeit des Stuhls. Sorge für einen stabilen und aufrechten Sitz. Achte gut auf deine Haltung. Wenn alles passt, lege los und zeige etwas von deiner inneren Festigkeit und äußeren Präsenz. Jeder besitzt sie. Finde sie, unbedingt! Das ist etwas so Schönes.
Tipp: Innerer Auftakt
Zwergengeflüster 5: Beherztheit. Das Feuer des Willens.
Die minder schöne Königin ist abhängig von ihrem Spiegel an der Wand. Sei du es nicht! Bleib ganz bei dir: mutig, schön und beherzt. Es lohnt sich in jedem Fall. Du wirst mit etwas Übung couragierter werden und es dann immer leichter haben als mit Zaghaftigkeit. Bist du selbst beflügelt, spüren das auch sofort deine Zuhörer. Und umgekehrt! Schlappe Kopisten waren noch nie interessant, oder?! Den Wagemutigen gehört die Welt!
Forza! Mit dem eigenen Stil mutig voran! Stil zu haben bedeutet, keinem anderen Stil zu folgen. Halte dich also an kein Maß außer an dein eigenes. Aus der Fülle der Möglichkeiten kann und darf jeder schöpfen. Ansprüche an Perfektion sind zum Glück immer subjektiv. Das weiß inzwischen hoffentlich auch unsere anspruchsvolle Königin. Sie braucht vielleicht noch ein bisschen … Mitgefühl!
Tipp: Crescendo con Fuoco
Zwergengeflüster 6: Sanftmut
Es macht sanft, seinem Herzen zu vertrauen. Sanftmut ist selten, aber erstrebenswert. Sie macht Menschen besonders und interessant.
Alles Einzigartige ist begehrenswert, alles Einfallslose auf Dauer öde und fad. Entwickle deine persönliche Ästhetik in Stil und Ausdruck und du wirst stets auf der Sonnenseite wandeln … und mit den Zwergen das damit einhergehende schöne Lebensgefühl feiern!
Mit sanftem Spannungsbogen und guter Balgführung musiziert es sich ganz besonders schön! Lass deine Gefühle schwingen mit sanfter Gelassenheit und mit den Bewegungen des Balges. Um die Kunst der schönen Töne zu beherrschen, höre dir selbst gut zu – so, als würdest du für dich selbst musizieren. Das tust du auch! Schenke dir und deinen Zuhörern die Aufmerksamkeit all deiner Sinne: ein offenes Gehör, ein offenes Herz, eine tanzende Seele, wache Augen, warme Ausstrahlung, dynamische Bewegungen … und all das, was Spaß macht, um sich spielend zu entfalten!
Tipp: Die Seele tanzen lassen
Aus: Carmen Heys Workbook »Die Kunst der Balgführung«. Download hier als PDF.
Mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht in:
akkordeon magazin #83
Mai 2022
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