Wie kommt das Gefühl in die Musik? (Teil 5)

Die fünf Säulen der Kommunikation in der Musik: „Die Kunst der Balgführung“

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8. März 2023

Lesezeit: 8 Minute(n)

Die fünf Säulen der Kommunikation in der Musik: „Die Kunst der Balgführung“

Wie kommt das Gefühl in die Musik? (Teil 5)

Eine fünf​teilige philosophische Betrachtung mit praktischen Übungen für das atmende Akkordeon von Carmen Hey (Akkordeonpoetin, Autorin & Creative Coach). — Musik ist internationale Kommunikation ohne Worte. Jeder kann sie verstehen. Die Sprache der Musik ist das Gefühl. Es erzeugt die Tiefe in den Melodien und bringt sie in entsprechende Schwingung. Die Ausdrucksweise des Interpreten ist vergleichbar mit der eines Erzählers, dessen Kunstfertigkeit darin besteht, Ohren und Herzen zu öffnen.

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Teil 5

Innen Gefühl – Außen Musik

Ich genieße! BOTSCHAFT

Publikum, Wahrnehmung, Flexibilität, Lampenfieber

Gefühle sind Impulse

Glänzende Augen und entzücktes Erstauntsein. Jetzt war sie hörbar geworden, die Persönlichkeit. Von diesem Augenblick der Tiefe wurden beide ergriffen. Die Gänsehaut war gerade dabei, sich wieder zu beruhigen.

Das Musikerherz war sichtbar geworden. Keine Anstrengung, kein Sichbemühen, kein Sichdarstellen, kein Kleinsein, keine Angst, fehlerhaft oder kritikwürdig zu sein. Kein unwürdiger Gedanke stand dem musikalischen Ausdruck im Wege. Es war perfekt – einer Sternschnuppe gleich. Ohne Umwege hinein in ein natürlich gewordenes Verständnis von Musik. Reizvolle Macht, die den musikalischen Moment lenkt und wunderschöne Töne in Form lebendiger Spiralen moduliert. Bewegend, klar, rein, erfüllend, aufwärts strebend, erhellend und voller Lebendigkeit. Was war anders als sonst? Das Unglaubliche dabei war, dass Interpret und Zuhörer gleichzeitig und gleich stark berührt waren. Herausragender Augenblick! Kein Abstand zwischen Absender und Empfänger. Kraftvoller Zauber, vier Ohren zu einem großen Lauschen inspiriert.

Wie überträgt sich Gefühl in Musik?

Immer wieder fragen mich Schülerinnen und Schüler, was denn nun zuerst kommt: Entspringt das Gefühl einem vorangegangenen Gedanken oder folgen die Gedanken den Gefühlen? Ich denke, dass sie beide ein unzertrennliches, altes Liebespaar sind! Manchmal der eine, manchmal der andere zuerst. Aber immer zusammen, immer vereint. Ist das nicht schön? Das Paar beginnt einen gemeinsamen Tanz zur Musik, die aus dir entspringt und die du den beiden anbietest. Vielleicht ist der eine Partner (Gefühl) schon etwas erfahrener, vielleicht ist der andere (Gedanke) schon etwas geschulter. Möglicherweise ist es auch so, dass beide ganz scheu und unsicher sind. Man sagt, dass evolutionsgeschichtlich das Denken die jüngere Kraft sei, denn ursprünglich waren Gefühle als Reaktion oder Schutz- und Warnsystem angelegt. Nicht erst groß nachdenken, ob es Sinn macht, einen hungrigen Löwen anzulächeln.

Ich meine aber schon, dass die Gefühle im Laufe der Menschheitsgeschichte viel reicher und subtiler geworden sind, vor allem aber auch höher schwingen. Jubel, Frohsinn und Glückseligkeit kann ich mir in der Steinzeit – ehrlich gesagt – weniger vorstellen. Da hat sich doch inzwischen etwas getan. Auch ist bekannt, dass Gefühle und Gedanken in unterschiedlichen Frequenzen schwingen. Sie können nieder- oder hochschwingend sein – je nachdem, wie sie vom Absender erzeugt und als Energie in den Raum gesendet werden. In der Wissenschaft ist dies durchaus messbar und damit nachweisbar.

Tipp: Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind die Forschungsarbeiten von Ricard Matthieu, vorgestellt in seinem Buch „Allumfassende Nächstenliebe“

Matthieu Ricard (2016): Allumfassende Nächstenliebe. Hamburg: Blumenau.

. Hier wird sehr deutlich, dass Mitgefühl und Empathie sich grundlegend voneinander unterscheiden. Und auch, wie man sich darin schulen kann, energiebringende, schöne Gedanken und Gefühle zu erzeugen. Und das braucht man ja schließlich als Musiker!

Musik ist nicht nur Schwingung/Frequenz. Nicht nur der Unterschied von Tonhöhen (Kammerton A = 440 Hz, früher übrigens der Telefonton). Auch die Schwingungsqualität ist in der Musik von fein bis grob hörbar.
Wie viel Freude ist in deiner Musik enthalten? Wie viel Gefühl lässt du zu? Und welche Gefühle teilst du mit deinem Publikum? Traust du dich etwas? Musik ist die flüchtigste und zugleich höchste Form der 7 Künste. (Die 7 freien Künste waren 7 aufeinander bezogene Studienrichtungen, die zu einer umsichtigen Bildung des Menschen beitragen sollten: Grammatik, Rhetorik, Dialektik und Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie.) Immer neu gestaltet, schwingt sie mit uns durch das Leben. Was wäre schon eine Welt ohne Vögel, Naturklänge, Gesang und Musik?

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Wunderwelt in Bildern. Das Spiel mit dem Moment

Dargebrachte Musik, die aus dem Inneren, dem Wesenskern entspringt, ist stark und verführerisch. Sie beginnt sofort und ungefiltert durch unsere Gefühls- und Gedankenwelten zu schwingen. Das ist es, was sie so unwiderstehlich macht. Das ist es, was Musik so heilsam macht. Und das ist es, was die Seele voller Freude aufnimmt. (Wenn es nicht gerade Death Metal ist …)

Tipp: Authentizität ist der Schlüssel. Sei wie du bist, spiele wie du bist. Dann sind Schönheit und Anziehung garantiert. Egal, ob du rote Backen hast, ein Doppelkinn sichtbar ist, du angestrengt oder aufgesetzt wirkst. Oder in irgendeiner anderen Art und Weise dir selbst ja doch nie gut genug bist!

Fehlerfrei, glatt und perfekt – das kann schließlich jeder. Aber einzigartig, kantig, unverbogen, aussagekräftig, klar, echt und frisch – das trauen sich nur Wenige!

Was ist das Geheimnis? 

Kann man es erzeugen? Und wann ist es wirklich echt? Und wie kann ich dabei den 7 Giften entkommen?

Verbinde dich immer zuallererst mit deinem Herzen. Dort eröffnet sich dir eine bildliche Blumenwiese von Ausdrucksmöglichkeiten. Und zwar genau die, die dir und deinem Wesen entsprechen. Deine Farben, deine Blumenpracht und deine Landschaft sind genau das, was andere berührt und bewegt! Schau deshalb nicht zu viel hinüber zu den 7 Bergen und surfe auch nicht zu viel auf fremden Wellen, stiehl nicht die Identität eines anderen, dessen Kunst doch immer unerreicht für dich bliebe.

Tipp: Bleib bei dir. Bleib bei deiner unverwechselbaren und schönen Eigenart. Sie ist deine Gabe, ein großes Geschenk der Natur an dich. Es gibt kein Wesen ohne einzigartige Gabe. Alles, was ist, hat Sinn.

Wenn du einen Titel spielst, schließe für einen Moment die Augen und erforsche, welche Landschaft, welches Bild, welche Geschichte du siehst und wovon du erzählen möchtest. Musik ist nämlich Erzählung ohne Worte!

Die 7 Gifte (vor denen man sich in acht nehmen sollte)

Reinbeißen in den Apfel? Stress ist nichts anderes als Widerstand. Guter Hinweis, wenn etwas schiefläuft! Musiker haben eine ganz besonders hohe Empfindsamkeit und sind durch ihre große Offenheit auch leicht verwundbar.

Tipp: Achte also auf deine Natürlichkeit und lass dich nicht ablenken. Besonders nicht von den folgenden „kleinmenschlichen Affekten“, die eigentlich jeder kennt. Ich erwähne sie hier, um einfach daran zu erinnern und auch anzuregen, darüber einmal wieder nachzudenken. Es lohnt sich!

  1. Stolz – Denn sich als etwas Besseres anzusehen, ist eine deutliche Weigerung, sich in seinem eigenen Menschsein anzunehmen.

Vielfalt ist das Schönste, was es auf der Welt zu entdecken gibt. Sie bereichert alle und alles. Man sieht es übrigens immer, wenn sich ein Künstler nur profilieren will.

  1. Gier – Mehr zu wollen, mehr zu haben, mehr zu können als andere: Das verfälscht unser Wesen, ist herz- und maßlos. Und würde es wirklich glücklicher machen, hätte man all den Erfolg, den man haben will?

Genug ist, das zu besitzen, was innerhalb der eigenen Möglichkeiten liegt. Der Schlüssel ist die Stimmigkeit mit sich selbst.

  1. Neid – Sich zu vergleichen, um dann herauszufinden, was man nicht hat und kann. Macht das Sinn?

Wer selbst etwas hat, muss nichts bei anderen stehlen! Oder mit einem Zitat der Stylistin Rachel Zoe ausgedrückt: „Style is a way to say who you are without having to speak.“

  1. Bitterkeit – Wenn es brennt in der Seele, ist Aggression im Spiel. Und die macht einsam und hässlich.

Wenn du dich zeigst, so wie du bist, ist das Ergebnis Erfolg. Es gibt keine schönere Nähe als die innige.

  1. Unklarheit – Was unser Denken und Fühlen eintrübt, taucht die Farben des Lebens in graue Töne.

„Die beste Farbe auf der ganzen Welt ist die, die gut an dir aussieht“, sagte Coco Chanel. Und sie musste es ja wissen!

  1. Enge – Wenn das Haben wichtiger ist als das Sein, sind meist angstbesetzte Konkurrenzgedanken die Ursache. Oder ist die Ursache dafür, dem Besitz so viel Bedeutung beizumessen, angstbesetztes Konkurrenzdenken?

Lohnt sich Konkurrenzdenken wirklich? Ich glaube, dass es wertvollere Interaktionen gibt.

  1. Trägheit – Wenn dich Lustlosigkeit im Griff hat und du vergessen hast, dass die Welt viele Überraschungen und Abenteuer für dich bereithält.

Was dich als Musiker und Interpret reich macht ist: Erfahrung, Weisheit und Lebensglück.

Tipp: Mit dem ganz Eigenen in Kontakt zu sein, ist Schutz und gleichzeitig Glanz. Das exakt ist es, was man hören, sehen und wahrnehmen wird, wenn du spielst und dich zeigst. Du kannst es gar nicht verbergen.

Außergewöhnliche Echtheit in Liebe ist doch das goldene Elixier, nach dem sich alle Welt so sehr sehnt …

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Workbook
Aus: Carmen Heys Workbook: »Die Kunst der Balgführung«. Download hier als PDF.
Mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht in:
akkordeon magazin #84
September 2022
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CarmenHey2
Die Autorin
Carmen Hey: Expertin für Ausdruckskraft und Gefühl in der Musik
Ihr Motto: „ … sich spielend entfalten!“
Ort: lebt und arbeitet in Berlin
Instrumente: Martinelli und Gadji
Das Besondere: Kunst der Balgführung und ­Entwicklung von Lernprogrammen
Beruf und Berufung: Seit vielen Jahren hilft Carmen Hey Menschen dabei, ihren Fähigkeiten zu vertrauen und dem inneren Ruf des Herzens zu folgen. Für sie ist es wesentlich und ganz selbstverständlich, zu wachsen und flexibel zu sein. Zuerst den Blick auf das Eigene zu richten und sich fortwährend weiterzuentwickeln, gehört aus ihrer Sicht zum Besten, was man für sich und andere tun kann. Carmen Hey arbeitet als Akkordeonistin in der internationalen Musik-, Studio-, Film- und Eventbranche. Sie gründete 2001 in Berlin ihre eigene Akkordeonschule „Creative Atelier für Musik und Lebenskunst“. Hier bietet sie Kurse, Creative Coaching und Workshops an. Sie ist als Komponistin (Weltmusik/Jazz) tätig und schreibt Akkordeon-​Workbooks sowie Essays zum Thema Kreativität und Inspiration in der Musik.
Podcast

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